Tristan

Das ist die Geschichte von Tristan. Er wurde am 26. März 1998 im Alter von dreizehn Jahren auf grausame Weise ermordet. Es ist einer der bekanntesten hessischen Mordfälle. Sein verstümmelter Leichnam wurde an einer Unterführung des Frankfurter Liederbachs im Stadtteil Höchst gefunden. In einer sechsstündigen Obduktion wurde ein Verletzungsbild festgestellt, das es weltweit so noch nie gegeben hatte.

Tristan wurde am 03. Oktober 1984 in Frankfurt am Main geboren. 1995 schlug das Schicksal zum ersten Mal zu. Als Tristan elf Jahre alt war, beging seine Mutter Selbstmord. Der Vater kümmerte sich seither allein um seinen Sohn. Unterstützung bekam er von der Großmutter, da er aus finanziellen Gründen seine Vollzeitstelle nicht aufgeben konnte.

Nach der Grundschule besuchte Tristan die Meisterschule.

Tristan war kein Draufgänger und ging Ärger grundsätzlich aus dem Weg. Sein Vater beschrieb ihn als netten Jungen. Kleinere Konflikte zwischen den beiden gab es zwar, aber nichts, was in der Pubertät ungewöhnlich ist. Vater und Sohn hatten ein kumpelhaftes, gutes Verhältnis. Da er jedoch arbeiten musste, hielt sich Tristan viel draußen auf. Gern am Liederbach und der Gegend um den Höchster Bahnhof.

Am 26. März 1998 ging Tristans Vater gegen 04:30 Uhr zur Arbeit. Durch den Tod seiner Mutter musste Tristan früh lernen, selbstständig zu sein. Daher machte er sich jeden Morgen selbst fertig. Gegen 08.00 Uhr rief er aus einer Telefonzelle seinen Vater an. Tristan wollte wegen Rückenschmerzen zum Arzt gehen anstatt zur Schule. Sein Vater überredete ihn jedoch, erst später den Arzt aufzusuchen.
Im Anschluss an das Telefonat traf er zufällig einen Freund, mit dem er noch eine Zigarette rauchen wollte. Tristan kam dann verspätet gegen 09.00 Uhr in der Schule an.

Nach dem Unterricht ging er zum gemeinsamen Mittagessen, ließ sich aber anschließend gegen 13:30 Uhr von seiner Klassenlehrerin wegen eines Arztbesuches entschuldigen. Tristan gab erneut starke Rückenschmerzen an, die er sich bei einem Sturz vom Baum zugezogen habe. In Wahrheit hatte er die Verletzung am Rücken jedoch von einem Freund. Die beiden hatten sich gegenseitig mit Steinen beworfen.

Nachdem er das Schulgebäude verlassen hatte, fuhr Tristan mit dem Bus Richtung Bahnhof Höchst. Gegen 14:15 Uhr sah ihn am Bahnhof ein Schüler allein auf einer Bank sitzen.

Um 15:20 Uhr wurde Tristan das letzte Mal lebend gesehen. Er saß auf einer Bank in einer parkähnlichen Anlage nahe des Höchster Busbahnhofs und unterhielt sich mit einer Hundehalterin. Als sie sich nach dem Gespräch nochmals umdrehte, saßen bei Tristan zwei männliche Personen, vermutlich aus dem Ausland stammend.

Der Mord geschah etwa um 15:30 Uhr. Drei Jugendliche machten sich nach einem Spielplatzbesuch auf den Weg zum Bahnhof und wollten hierfür eine Abkürzung durch den Tunnel des Liederbaches nehmen. Nachdem sie dort allerdings zwei Minuten lang einen Mann beobachtet hatten, der sich an einem Betonsockel über etwas beugte, beschlossen sie umzukehren und den längeren Fußweg in Kauf zu nehmen.
Ohne es zu wissen, hatten die drei Jugendlichen den Mörder bei seiner Tat beobachtet. Aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse und der Entfernung konnte keine genaue Täterbeschreibung erfolgen.

Erst als etwas später zwei weitere Kinder den Tunnel als Abkürzung nutzten, fanden diese den entsetzlich zugerichteten Leichnam von Tristan auf dem Betonsockel. Sie informierten einen Betreuer eines nahe gelegenen Kinderhortes, der schließlich um 17:08 Uhr die Polizei rief.

Tristan wurde von seinem Mörder im Tunnel des Liederbaches überwältigt. Er schlug Tristan mehrmals mit der Faust ins Gesicht. Kurzzeitig konnte er sich befreien und versuchte im Bachbett zu fliehen, doch Tristans Kampf blieb erfolglos. Der Täter holte ihn ein und würgte Tristan mit dem Unterarm bis zur Bewusstlosigkeit. Von hinten schnitt ihm der Mörder schließlich die Kehle durch – von einem Ohr zum Anderen. Der Schnitt war so tief, dass Tristan beinahe enthauptet wurde.

Was den Ermittlern noch immer ein Rätsel bleibt, ist die Art und Weise der Verstümmelungen. Der Mörder schnitt Tristan an 20 Stellen mit einem Messer 11 Zentimeter große Stücke aus seinem rechten Bein und Gesäß. Dann setzte er oberhalb des Schambeins einen tiefen Schnitt, öffnete den Hodensack und entnahm ihm schließlich beide Hoden. Die Prozedur dauerte 15 Minuten. Die Muskelstücke und Hoden nahm der Mörder in Tristans Rucksack mit. Sie wurden bis heute nicht gefunden.

Nach der Tat ließ der Mörder Tristan im Liederbach ausbluten, sodass am Tatort kaum Blutspuren zu finden waren. Der Mörder nahm sich nochmals viel Zeit, um Tristan sorgsam zu positionieren, anstatt schnell zu flüchten. Er nahm bei Tageslicht das hohe Risiko auf sich, entdeckt zu werden. Tristan wurde in Schlafhaltung auf den Betonsockel in der Mitte des Tunnels gelegt. Die Positionierung des Leichnams erinnerte an die Aufbahrung bei einer Beerdigung. Der Mörder holte sogar vom Eingang des Tunnels einen Schuh zurück, den Tristan während seines verzweifelten Kampfes verlor. Diese legte er auf die Schnittwunden an Hüfte und Oberschenkel, um sie bestmöglich zu verdecken. Auch Tristans Gesicht bedeckte er mit der Jacke und versuchte ihm wieder die Hose hochzuziehen, was aufgrund der schweren Schnittverletzungen nicht vollständig gelang.

Die Kriminalwissenschaft nennt dieses Verhalten emotionale Wiedergutmachung (engl. „un-doing“). Mörder versuchen ihre Tat symbolisch ungeschehen zu machen.

Der ca. 100 Meter lange Tunnel wurde nach Tristans Tod aus Sicherheitsgründen mit Eisenstäben vergittert.

Über die Beerdigung von Tristan liegen uns keine Informationen vor. Sein Vater wurde jedoch für mehrere Fernsehsendungen interviewt und er kämpfte noch viele Jahre nach dem Tod seines Sohnes mit den Tränen, wenn er von ihm erzählte. Die Erinnerungen an seinen Sohn quälten ihn sichtlich. Einen Weg mit der Trauer umzugehen, habe er nie gefunden. Stattdessen verdrängte er vieles. Tristans Vater stellte sich täglich die Frage, ob und wie der bestialische Mord an seinem Sohn hätte verhindert werden können. Ende 2014 starb er im Alter von 59 Jahren als gebrochener Mann – ohne zu wissen, wer für Tristans Mord verantwortlich ist.

Tätersuche:

1998
Durch die Beobachtungen von drei Jugendlichen zum Tatzeitpunkt, konnte die Polizei eine ungefähre Täterbeschreibung erstellen und nach dem Mann suchen.

Die Polizei suchte auch im Drogenmilieu nach Tristans Mörder, da Mitschüler behaupteten, er habe Schulden bei einem Dealer. Diese Aussagen konnten jedoch nicht bestätigt werden.

Auf einem von Tristans Schulbüchern befand sich ein blutiger Fingerabdruck. Ein Abgleich mit weltweit allen verfügbaren Datenbanken von Fingerspuren blieb allerdings erfolglos.

Wenige Tage nach Tristans Beerdigung erhielt die Polizei einen Anruf. Ein Mann behauptete, er sei der Mörder von Tristan und stehe am Bahnhof. Als die Beamten dort eintrafen, fehlte von dem unbekannten Anrufer jedoch jede Spur.

Die Staatsanwaltschaft setzte für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, eine Belohnung von umgerechnet 10.000 Euro aus.

1999
In einem Waldstück bei Niedernhausen (ca. 20 Kilometer entfernt von Frankfurt-Höchst) wurde der Rucksack von Tristan gefunden. Darin befand sich unter anderem eine Deutschlandkarte in tschechischer Sprache. Die Spurensuche in Tschechien führte jedoch zu keinen neuen Erkenntnissen.

Ein Unbekannter hatte auf dem Friedhof 1,20 Meter tief gegraben und versuchte an den Sarg von Tristan zu gelangen. Seine Tat konnte er nicht vollenden, da er höchstwahrscheinlich dabei gestört wurde und ungesehen entkam.

2000
Ein ähnlicher Mordfall in Böblingen (bei Stuttgart) wird bekannt und lässt die Ermittler in Tristans Fall aufhorchen. Der 11-jährige Tobias wird erstochen aufgefunden. Genau wie Tristan wurde Tobias an einem abgelegenen Gewässer getötet. Auch ihm wurden die Hoden abgeschnitten. Zusammenhänge zwischen dem Mord an Tobias und dem Mord an Tristan konnten allerdings trotzdem nicht gefunden werden.

2002
Ab 2002 sollen auf Bitten der Polizei mehr als 10.000 Männer aus Frankfurter Stadtteilen freiwillig ihren Fingerabdruck abgeben. Einen Massenabgleich in dieser Größenordnung hatte es bisher in Deutschland nicht gegeben. Ziel dieser freiwilligen Aktion war, dass alle männlichen Einwohner (auch ehemalige) und Pendler zwischen 15 und 45 Jahren erfasst werden.

Zudem wurde in vielen Staaten Osteuropas ermittelt und Profiler des BKA versuchten, den Fall und die Persönlichkeit des Mörders zu analysieren. Den Täter schätzte man als Einzelgänger ein mit schweren psychischen Störungen. Möglich sei zudem, dass Tristan seinen Mörder kannte oder zuvor bereits gesehen hatte. Doch selbst die Fachleute wussten keine Antwort darauf, warum Tristan Muskelstücke und sogar die Hoden entfernt wurden; ob es sich um einen Pädophilen handelte und ob er wieder morden wird.

Anfragen an das Kriegsverbrecher-Tribunal und eine Anwerbestelle für Fremdenlegionäre ergaben keine neuen Erkenntnisse, die zur Ergreifung des Täters hätten führen können.
Aufgrund der bestialischen Verstümmelungen wurden auch alle Männer rund um Frankfurt überprüft, die wegen Tierquälerei angezeigt wurden – ohne Erfolg.

2007
Die Frankfurter Kriminalpolizei überprüft ab März 2007 mit einer fünfköpfigen Sonderkommission („AG Tristan“) nochmals alle 23.000 Spuren und Hinweise im Fall Tristan.

In der Hoffnung auf neue Hinweise gewährte die Staatsanwaltschaft SPIEGEL TV Magazin Einblick in die Ermittlungsakten.

Mittlerweile beschäftigten sich mit dem Mordfall auch das FBI, Europol und Fahnder der „International Crime Scene Conference“ (ICSIA).

2008
Durch die erneute Überprüfung aller 23.000 Spuren und Hinweise stießen die Ermittler auf einen Mann, nach dem nun gefahndet werden sollte. Ein 14-jähriges Mädchen machte im März 1998 bei der Kriminalpolizei eine Aussage über einen unbekannten jungen Mann mit Zopf, den sie in Tatortnähe aus einem Gebüsch herauskommen sah.

Dieser Mann wurde höchstwahrscheinlich auch bei einer damals von der Polizei durchgeführten Tür-zu-Tür-Befragung in einer Anwaltskanzlei gesehen. Anfang April 1998 sagten zwei Rechtsanwaltsfachangestellte aus, dass kurz nach der Tatzeit ein Mann in die Kanzlei kam und um Rechtsbeistand bat. Er schien nervös zu sein und gab ohne nähere Informationen an, dass er Mist gebaut habe. Man schickte ihn zu einem Fachanwalt für Strafrecht. Danach wurde er nicht mehr gesehen.

Er sprach ohne Akzent, war etwa 1,75 Meter groß, trug sein dunkelblondes Haar zu einem Zopf oder Pferdeschwanz und hatte eine Narbe an der Oberlippe. Die beiden Rechtsanwaltsfachangestellten schätzten sein Alter auf 20 bis 30 Jahre. Seine Augen waren blau.

Im etwa 10 km entfernten Hofheim wurde 1998 vermutlich der gleiche Mann an einem Kindergarten beobachtet, als er einen Jungen belästigte. Ein 12-jähriger Junge wurde von dem Mann mit Zopf sogar nach Höchst zum Bahnhof mitgenommen wo er Süßigkeiten erhielt.

Im April wurde der Fall Tristan in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ präsentiert. Die Ermittler hofften auf neue Hinweise aus der Bevölkerung.

2009
Das Phantombild des Mannes mit dem blonden Zopf wird veröffentlicht.

2010
Von der im Jahr 2007 gegründeten fünfköpfigen Sonderkommission „AG Tristan“ ist nur noch Kriminalhauptkommissar Uwe Fey übrig. Er ermittelt im Fall von Tristan von nun an allein.
2002 bat die Polizei mehr als 10.000 Männer ihren Fingerabdruck freiwillig abzugeben. Im Jahr 2010 fehlen noch immer 54 Männer, die sich weigerten. Die Staatsanwaltschaft prüfte zwar rechtliche Mittel, um die fehlenden Fingerabdrücke zu bekommen, fand aber keine gesetzliche Grundlage, diese legal zu erzwingen.

2011
Der Täter des im Jahr 2000 ermordeten Tobias wurde gefunden und festgenommen. Durch den Abgleich seiner Fingerabdrücke mit dem auf Tristans Schulbuch, konnte er als Mörder von Tristan jedoch ausgeschlossen werden.

2013
Ein neues Täterprofil wurde präsentiert, da nun feststand, dass es sich bei dem Mord um ein Sexualverbrechen handelte. Die sexuelle Fantasie handelte vermutlich vom Mord eines pubertären Jungen. Die Hoden von Tristan wurden mitgenommen, um sich daran zu erregen oder sie zu essen. Aufgrunddessen wurde auch in der kannibalistischen Szene ermittelt. Anfangs wurde auch im Drogen- und Strichermilieu gefahndet, was aber zwischenzeitlich ausgeschlossen wurde. Die Ermittler halten es für möglich, dass der Mörder bereits vorher als Leichenschänder aufgefallen oder im Besitz von Tier- und Sadomaso-Pornographie sei.

Die von der Staatsanwaltschaft ausgeschriebene Belohnung wurde im Laufe der Jahre auf 15.000 Euro erhöht. Ein Privatmann hatte die Summe aufgestockt auf 20.000 Euro. Im Jahr 2013 wurde die Belohnung sogar von einem weiteren Privatmann aus Süddeutschland auf 100.000 Euro erhöht.

Im November wird der Fall von Tristan erneut im Fernsehen („Spiegel TV“) gezeigt. Nach der Sendung gingen rund 300 Hinweise ein. Leider führten sie zu keinen neuen Erkenntnissen.

2014
Tristan ist wieder Thema im Fernsehen. „Hallo Deutschland“ (ZDF) berichtete über den Mordfall.

2015
Alexander Horn ist einer der erfolgreichsten Experten für besonders schwierige polizeiliche Ermittlungen und erzählte in der Fernsehsendung „Kriminalreport Hessen“ von seiner Arbeit im Mordfall Tristan, der als einer der makabersten in der jüngeren deutschen Geschichte gilt.

2016
Im Mai äußert das LKA den Verdacht, dass eventuell der Serienmörder Manfred Seel für den Mord an Tristan verantwortlich ist. Er lebte als Witwer in Schwalbach (ca. 7 km entfernt von Höchst) und starb 2014 an einem Krebsleiden. Nach seinem Tod entdeckten Angehörige eine zerstückelte Leiche in einer von ihm angemieteten Garage. In vier Mordfällen konnte man ihn als Täter ermitteln. Da er die ermordeten Frauen zerteilte und Organe entnahm, prüften die Kriminalbeamten, ob er auch Tristan getötet hatte. Die Leiche von Manfred Seel wurde hierfür exhumiert. Von sechs Fingern sei ein Abdruck möglich gewesen, welche jedoch nicht übereinstimmten mit dem blutigen Fingerabdruck an Tristans Schulbuch. Die vier fehlenden Abdrücke sollten von einer Klarinette des Hobbymusikers rekonstruiert werden. Dies ist allerdings nicht gelungen

Durch zwei weitere Fernsehsendungen im Mai und Juni („Aktenzeichen XY…ungelöst“, „Spiegel TV Magazin“) erhofften sich die Ermittler weitere Spuren.

Bis heute konnte der Mörder von Tristan nicht gefasst werden. Sollte es in seinem Fall neue Erkenntnisse geben, werden wir sie an dieser Stelle ergänzen.