Tanja

Hallo 🙂

Erstmal danke das ich meine Geschichte mit Ihnen teilen darf. 🙂

Zu Beginn einmal, da meine Geschichte doch recht lang ist und ich sie nicht wirklich kürzen kann, da sonst vieles fehlen würde (ich bin bereits dabei eine Autobiografie zu schreiben) bitte ich jeden, der sie liest, diese zu Ende zu lesen.

Ich bin 1999 in Eschweiler bei Aachen geboren und bin ein Extremfrühchen von gerade mal 23 Schwangerschaftswochen. Meine Mutter ist zu diesem Zeitpunkt bereits manisch depressiv und mein Vater seit genau 20 Jahren alkohol- und drogenabhängig. Ich war ungewollt und bekam dies schon damals mehr oder weniger zu spüren. Meine Mutter kam nur einmal am Tag zu mir auf die Neurointensivstation und das auch nur, um mich einmal kurz zu sehen. Nach weiteren 17 Wochen durfte ich dann nach Hause. Also das Freifahrtticket in die Hölle (ich selber nenne es die Hölle).

Als ich 1 Jahr alt war, wurde meine Mutter erneut schwanger. Kai wurde im Dezember 2000 geboren und war genau wie ich ungewollt.

Nur bei ihm war es anders, denn er wurde vom 1 Tag an eingesperrt und nicht versorgt. Meine große Schwester, selber erst 6 Jahre alt, übernahm dann die Versorgung von Kai und mir. Das ging bis 2002 auch ganz gut, doch dann kam unser Vater und nahm Kai mit. Als Mama 2 Stunden später ins Zimmer kam, trug sie Kai leblos im Zimmer und flehte immer wieder, er solle doch atmen.

Ich wusste, Papa hat ihn umgebracht.

Im Mai 2003 wurde Kai dann begraben und auch heute besuche ich dieses Grab regelmäßig und weiß, dass es bald aufgelöst wird, da wir es nicht mehr zahlen können.

2004 schien ich dann das perfekte Alter für sexuellen Missbrauch zu haben. Er fing an, mich zu vergewaltigen.

Beim vorletzten Mal 2007 kam ich mit schweren Blutungen in das Kinderkrankenhaus, wo ich 3 Wochen auf der Intensiv verbrachte. Ich war 8 Jahre alt und bereits da schon schwer depressiv und wollte sterben. Ich sagte immer wieder zu den Schwestern: “Lasst mich bitte sterben“.

Am 23.05.2007 wurde ich vom Jugendamt abgeholt und mir wurde bewusst, die Hölle hat ein Ende. Aber die Narben werden bleiben.

Ich kam also in ein Kinderheim. Meine Mutter kam mich regelmäßig besuchen, ebenso meine große Schwester. Ich lernte schnell Dinge, die ich vorher nicht konnte und ging zu einer Grundschule. Dort wurde dann meine Unterentwicklung deutlich, denn ich konnte weder schreiben noch lesen. Ich bekam Förderunterricht und lernte dort doch schnell lesen und schreiben. Bis ich aber flüssig lesen und schreiben konnte, dauerte es 2 Jahre. Ich kam dann auf eine Förderschule und wurde dort individuell gefördert mit dem Ziel einer Hauptschule. 2012 wurde ich dann von meiner Vergangenheit eingeholt und ich fing an mich zu schneiden. Ich kam in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort war ich ganze 2 Monate und bin von da aus in ein anderes Heim. Dort wurde ich noch suizidaler und fing an mich auf Gleise zu stellen.

Also wieder einmal Psychiatrie.

Dort wurde ich dann auf Medikamente eingestellt und wieder entlassen. Ich kam in eine Pflegefamilie und wurde dort ebenfalls abgewiesen, ignoriert und alleine gelassen. Nach 5 Monaten wechselte ich dann die Pflegefamilie. In dieser Familie erfuhr ich das erste Mal Nähe und Liebe und fühlte mich wohl und sicher. Ich ging weiterhin auf eine Förderschule, machte aber in der Entwicklung große Sprünge und als ich dann dort wieder mal suizidal wurde, kam ich in eine neue Familie.

Dort bekam ich nach 3 Monaten meinen ersten epileptischen Anfall .  4.Mai 2015.

Die Kinderklinik stellte mich auf Antiepileptika und ich durfte wieder heim. Dort fing man an, mich für kleinste Fehler zu schlagen. Ich wies mich selbst in eine Psychiatrie in Bonn ein. Dort diagnostizierte man dann schwere depressive Episoden, schwere schizophrene Episoden und schwerstes psychisches Trauma.

Ich kam in die offene Psychiatrie und von dort in eine Wohngruppe. Dort flog ich dann nach 4 Wochen wegen Ausrastern raus und ich zog dann in meine jetzige eigene Wohnung, wo ich jetzt seit 3 Wochen lebe.

Das ist mein Lebenslauf. Und auch heute habe ich noch Spuren in und an mir.

  • Chronische Mittelohrentzündung mit Cholesteatom (Verlauf der Knochenvereiterung)
  • eine Beinataxie, die mir 50% Grad im Behindertenausweis schenkt
  • schwere Epilepsie
  • chronische Lungenunterfunktion durch die vielen Versuche, mir die Luft zu nehmen
  • Schlafapnoe
  • chronische Verstopfungen
  • kleines, immer wiederkehrendes Loch in der Mageninnenwand
  • der linke Fuß hat eine Fehlstellung durch mehrere Trümmerbrüche

und dann noch die psychiatrischen

  • Bulimie
  • Borderline Syndrom
  • schwere depressive Episoden
  • schwere schizophrene Episoden
  • Bindungsstörungen
  • schweres psychisches Trauma
  • geistige Unterentwicklung von ca. 2 Jahren, also bin ich geistig 14
  • und Dissoziationen in Form von Krampfanfällen und Bewusstlosigkeit

Trotz alledem lebe ich weiter und habe Ziele. Mein Wunschberuf ist Notfallsanitäter und dafür brauche ich die Realschule.

Ich möchte allen da draußen sagen, man kann trotz noch so schwerer Schicksalsschläge leben. Auch mit diesen Einschränkungen. Man darf nur den Glauben an sich selber nie verlieren und ich glaube an jeden einzelnen da draußen, der kämpfen muss.

Ihr könnt es schaffen, vertraut euch anderen an und zeigt das ihr stark seid. Wenn ihr am Boden seid, holt euch Hilfe, gebt bitte nicht auf!

Heute bin ich froh, dass ich lebe und ich glaube, ihr seid es irgendwann auch 🙂

Ich glaub an euch

Eure Tanja