Talea

„Der kleine Kinderkörper sei mit Blutergüssen übersät gewesen: im Gesicht, im Nacken, hinter den Ohren, am Rücken, am Po, an den Innenschenkeln und Armen. Nur an wenigen Stellen seien keine Verletzungen zu sehen gewesen. Die Hämatome rührten laut Obduktionsbericht nicht von Unfällen her.“ (Quelle: Spiegel Online, 22.1.2009)

Taleas Geschichte beginnt am 17. November 2002 und endet am 18. März 2008. Das kleine Mädchen aus Wuppertal starb im Alter von fünf Jahren. Im Gegensatz zu anderen Schicksalen hatte sich Taleas Mutter selbst mit der Bitte um Hilfe an das Jugendamt gewandt: Sie war alkoholkrank und zwischen ihr und ihrem Lebensgefährten, Taleas Vater, kam es immer wieder zu Prügeleien, denen Talea und ihre jüngere Schwester hilflos zusehen mussten. Nach dem Hilferuf von Taleas Mutter brachte das Jugendamt Anfang September 2007 die beiden Schwestern in verschiedenen Pflegefamilien unter. Ob mit oder ohne das Einverständnis der Eltern ist nicht ganz zu klären gewesen. In den Berichten  sind die Angaben dazu widersprüchlich.

Talea kam zu einer Pflegemutter, die sie eigentlich behüten und beschützen sollte. Doch genau diese Frau wurde später im Gericht von Zeugen als herzlos, resolut und beherrscht beschrieben. So sagte sie im Beisein des kleinen Mädchens zu einer Kinderärztin: „Die sollte doch nur sechs Wochen bleiben. Die ist schon viel zu lange da. Die muss wieder weg.” Diese Aussage, die Talea zum Objekt degradierte, schien symptomatisch für den wochenlangen Umgang der Pflegemutter mit dem Kind gewesen zu sein. Zunächst verlief vieles unauffällig. Ihren leiblichen Eltern fielen beim reglementierten Umgang mit ihrer Tochter zunächst ihre nahezu unheimlich einwandfreien Manieren auf – Talea saß kerzengerade am Tisch, fragte nach, ob sie etwas haben dürfe, kurz: Sie verhielt sich mit einem Mal überangepasst. Dass das Mädchen bereits  zu diesem Zeitpunkt von Hämatomen gezeichnet war, bemerkte ihre leibliche Mutter erst später.

Die blauen Flecken machten auch die Erzieherinnen im Kindergarten stutzig. Vermutlich schon ab November 2007 begannen die Misshandlungen bei Talea, aber erst ab Januar 2008 gab es immer auffällige neue Verletzungen, dass sie auch wiederholt ans Jugendamt gemeldet wurden. Taleas Pflegemutter hatte jedoch  immer gute Begründungen dafür, auch bei den Befragungen durch das Jugendamt: Das Kind sei gestürzt, habe sich gestoßen, habe eine Sehschwäche und falle deswegen öfter hin, habe ein Bauklötzchen ins Auge bekommen und so weiter. Die Betreuerin des Jugendamtes bemerkte bei ihren Besuchen nur kleine Verletzungen, einmal eine Bisswunde, die vom Hund der Pflegefamilie herrührte. Der Vermerk in der Akte lautete lapidar, das Kind könne nicht mit dem Hund umgehen. Einmal vertraute sich das Mädchen einer Erzieherin an, dass ihre Pflegemutter sie getreten habe. Wieder wurde das Jugendamt verständigt, wieder sah man keine Handlungsnotwendigkeit – Taleas Leidenszeit ging weiter.

Bis zu jenem 18. März erhielt das kleine Mädchen keine Hilfe und an diesem Tag eskalierte die Situation. Im Rückblick scheint es wahrscheinlich, dass Taleas Pflegemutter das Kind zur Strafe, weil sie sich eingenässt hatte, ins Badezimmer geschleift hatte, sie in die Badewanne setzte, ihr Mund und Nase zuhielt, um ihre Schreie zu ersticken und sie eiskalt abduschte. Danach ließ sie das Mädchen einfach in der Badewanne liegen. Taleas kleiner Körper verkraftete das nicht. Sie starb letztlich an Unterkühlung. Die Pflegemutter wählte zwar noch den Notruf, doch die Rettungskräfte konnten Talea nicht mehr helfen. Als das völlig durchnässte Kind per Rettungswagen im Krankenhaus ankam, betrug ihre Körpertemperatur gerade noch 27 Grad Celsius. Die Gerichtsmediziner fanden später an dem kleinen Körper unzählige Spuren von Gewalt. Blutergüsse am Ohr, am Auge, auf den Wangen, an den Armen. Auch das Profil einer Schuhsohle wurde dokumentiert.

Im Prozess sagte unter anderem die Kinderärztin aus, dass Talea bei dem einzigen Besuch im Januar 2008 völlig traumatisiert gewirkt und kaum auf sie reagiert habe. Die Kindergärtnerinnen der Einrichtung, in die Talea ging, berichteten, die Pflegemutter sei nicht herzlich und ihre Äußerungen über das Kind seien lieblos gewesen.

Beisetzung:
Da Talea immer eine kleine Prinzessin sein wollte, wurde sie in einem rosafarbenen Sarg am 26. März 2008 auf dem Unterbarmer Friedhof in Wuppertal beigesetzt.

Gerichtsurteil:

Die Anklage forderte 11 Jahre Haft, die Verteidigung einen Freispruch.
Die Pflegemutter, die erst im Laufe des Verfahrens ihr Schweigen brach und bestritt, am Tod des kleinen Mädchens schuld gewesen zu sein, wurde der Körperverletzung mit Todesfolge und des Misshandlung von Schutzbefohlenen für schuldig befunden und zu acht Jahren Haft verurteilt. Einen Tötungsvorsatz konnte das Wuppertaler Landgericht nicht feststellen.

Die Staatsanwaltschaft hatte noch ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Sachbearbeiterinnen des Jugendamtes wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen eingeleitet. Das Gericht sah keine rechtlich relevante Mitschuld beim zuständigen Jugendamt – es wurde lediglich festgestellt, dass dieses konsequenter hätte reagieren können.

Somit wurde das Verfahren eingestellt.

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung gingen in Revision. Ebenfalls die Nebenklage. Diese vertrat die leiblichen Eltern.

Der Bundesgerichtshof bestätigte allerdings das Urteil später gegen die Pflegemutter und es wurde somit rechtskräftig.