Das ist die Geschichte der dreijährigen Sarah aus Thalmässing im Landkreis Roth (Mittelfranken). Sie starb einen langsamen, quälenden und schmerzhaften Tod und wurde am 10. August 2009 im Nürnberger Klinikum von ihrem Leiden erlöst. Weder Nachbarn, Angehörige oder das Jugendamt hatten etwas bemerkt. Viele wussten noch nicht einmal von Sarahs Dasein.
Sarah lebte mit ihrer Mutter und ihrem Vater in einem zweigeschossigen Wohnhaus. Sarahs Mutter hatte bereits zwei Kinder aus erster Ehe, die allerdings in einem Heim aufwuchsen. Seit 2005, dem Geburtsjahr von Sarahs Bruder, wurde die Familie zwei Mal pro Woche vom Jugendamt besucht. Man wollte Sarahs Mutter noch eine zweite Chance geben. Elf Monate nach Sarahs Geburt im Mai 2006 drängten die Eltern auf ein Ende der behördlichen Bevormundung. Nachdem alles wie eine Stabilisierug der Familiensituation aussah, wurde die Betreuung eingestellt.
Sarahs Mutter wurde von Nachbarn als sehr nett beschrieben, allerdings auch als wenig kontaktfreudig. Gesehen hat man Sarahs Eltern im Ort nur mit dem vierjährigen Bruder. Niemand merkte oder wollte merken, in welcher Gefahr Sarah sich befand.
Das Leiden von Sarah begann mit der unbemerkten Krebserkrankung ihrer Mutter. Sie hörte mehr und mehr auf, sich um ihr kleines Mädchen zu kümmern. Im Mai 2009, an Sarahs drittem Geburtstag, konnte man ihr die Unterernährung schon deutlich ansehen. Sarahs Vater erkannte den Zustand seiner Tochter, aber half ihr nicht. Anstatt Sarah zu versorgen, sich um sie zu kümmern, wenn er daheim war, hat auch er Sarah sich selbst überlassen. Da Sarahs Mutter bereits zwei Kinder aus ihrer ersten Ehe entzogen worden waren, hatte sie Angst, jemand könne Sarahs Zustand bemerken und das Jugendamt informieren. Deshalb wurde Sarah vor der Öffentlichkeit versteckt und in einem Zimmer eingesperrt. Sie lag den ganzen Tag im Bett und vegetierte vor sich hin. Im Alter von zwei Jahren konnte Sarah noch nicht laufen. Sarah bekam nicht mehr genügend Nahrung. Um ihren Hunger zu stillen, fing Sarah an, den Zellstoff ihrer Windeln zu essen. Überall lagen gebrauchte Windeln herum und die Wände waren mit Kot beschmiert. Wenn Freunde oder Verwandte sich nach Sarah erkundigten, wurden diese damit beruhigt, Sarah sei bei der Oma, bei der Schwägerin oder schlafe. In Wahrheit aber war Sarah ganz alleine in ihrem Zimmer eingesperrt, ohne Tageslicht, ohne Essen und Trinken. Ihr Schlafplatz war eine verdreckte und verkotete Matratze.
Irgendwann hatte Sarah keine Bedeutung mehr für ihre Eltern. Während sich ihre Eltern noch am Wochenende vor ihrem Tod auf einem Fest und im Freibad vergnügten, blieb Sarah in der Wohnung zurück. Hungernd und zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Am Abend des 8. August 2009, als Sarah bereits kein Lebenszeichen mehr von sich gab, verständigten die Eltern den Notarzt. Sarah wurde noch in ein Krankenhaus eingeliefert, verstarb dort aber zwei Tage später an Kreislaufversagen. Sie war bis auf das Skelett abgemagert und ausgetrocknet, wog bei ihrem Tod nur noch acht Kilogramm. Am Ende hatte ihr Körper angefangen, ihre Muskeln zu verdauen. Durch Harnablagerungen, als Folge des Hungerns und des Flüssigkeitsmangels, hatten sich Sarahs Kniegelenke verformt, sodass sie sich in ihren letzten Lebenswochen kaum noch bewegen konnte.
Sarah könnte noch leben, wenn Verwandte, Bekannte und Nachbarn nicht weggeschaut, sondern ihre Verwantwortung wahrgenommen hätten. Viele sagten vor Gericht aus, dass sie sich schon Sorgen um Sarah gemacht hätten. Doch geholfen haben sie ihr leider nicht. Der Leiterin der KiTa, die Sarahs Bruder besuchte, fiel auf, dass Sarahs Mutter sehr stark abgenommen hatte und auch immer ohne Sarah in die KiTa kam. Sie bot an, auch Sarah in die KiTa aufzunehmen. Dies lehnte Sarahs Mutter jedoch ab. Sarahs Mutter hatte auch eine Freundin, die sehr oft bei der Familie zu Besuch war. Sie hatte sich mehrmals nach Sarah erkundigt, jedoch wurde ihr immer gesagt, Sarah sei bei Verwandten. Weiter fragte sie nicht nach. Vier Monate vor dem Tod der kleinen Sarah hatte sie das Mädchen das letzte Mal gesehen. Sie sagte, ihr Mund sei verschmiert gewesen, möglicherweise mit Kot und dem Zellstoff von Windeln. Mehr habe sie nicht sehen wollen, das hätte ihr schon gereicht. Ein Nachbar sagte aus, er habe sich schon geärgert, wenn er Sarah im Februar mit kurzen Hosen und blau gefrorenen Beinen gesehen habe. Aber etwas dagegen unternommen hatte er nicht.
Sarahs Bruder hingegen war völlig gesund und wurde bei den Großeltern untergebracht. Der Vierjährige verbrachte schon immer regelmäßig Zeit bei ihnen, obwohl er im Gegensatz zu Sarah nicht ihr leibliches Enkelkind war.
Beisetzung:
Sarah fand neben zwei weiteren Kindergräbern, in einem weißen Kindersarg, auf dem Friedhof in Mühlstetten ihre letzte Ruhe. Nur fünf Familienangehörige kamen zu ihrer Beerdigung. Für Sarah gab es keine Trauerfeier, keine Musik, kein Glockenläuten. Kaum 30 Minuten später waren die Angehörigen von Sarah wieder verschwunden. Lediglich ein kleines Blumengebinde ließen sie zurück. Auf der Trauerschleife stand kein Wort der Entschuldigung, kein Wort der Trauer, kein Wort der Liebe. Auf dem kleinen, weißen, schlichten Holzkreuz hatte der Bestatter noch Sarahs Namen in goldener Schrift aufdrucken lassen. Im Leben, wie im Tod wurde Sarah von ihrer Familie einfach vergessen.
Gerichtsurteil:
Sarahs Vater wurden wegen Mord durch Unterlassen und Misshandlung von Schutzbefohlenen zu 13 Jahren Haft verurteilt.
Sarahs Mutter war auf Grund ihrer schweren Krebserkrankung nicht verhandlungsfähig. Das Verfahren gegen sie, wegen Mordes, wurde vor Prozessbeginn vorläufig eingestellt. Zwei Jahre nach Sarahs Tod starb sie. Das Landgericht stelle das Verfahren sodann endgültig ein.
Der Vater ging gegen das Urteil in Revision.
Den Ausgang konnten wir bis jetzt leider nicht recherchieren.