Das ist die Geschichte der kleinen Ronja. Mit nur neun Wochen starb sie am 16. Juni 2010 an den Folgen einer Hirnblutung, ausgelöst durch ein Schütteltrauma.
Ronja wohnte mit ihren Eltern in Lüneburg. Ihre Mutter hatte bereits drei Kinder aus vorhergehenden Beziehungen, welche aber nicht bei ihr lebten. Auch Ronja lebte anfangs nicht bei ihren Eltern, da das Jugendamt Ronjas Mutter für psychisch überfordert hielt. Aus diesem Grund bemühte sich das Jugendamt Ronjas Vater das alleinige Sorgerecht zu übertragen und sich selbst das Aufenhaltsrecht, also den Verbleib von Ronja in der Obhut des Jugendamtes, vorzubehalten.
„Wir hatten große Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Mutter“, sagte Lüneburgs Jugendamtsleiterin Marlis Otte dem Abendblatt. „Sie hat bereits drei Kinder, die nicht bei ihr leben.“ Ronjas Vater aber sei zuvor nicht auffällig gewesen. „Es gab keinen Anlass, ihm Erziehungsunfähigkeit zu unterstellen“. Quelle: Hamburger Abendblatt, 14.08.2010
Am 27. Mai 2010 fand bezüglich dem Verbleib von Ronja und der Sorgerechtsfrage eine mündliche Anhörung vor Gericht in Anwesenheit des Jugendamtes, des Verfahrensbeistandes und Ronjas Eltern statt.
Das Gericht lehnte in dieser Anhörung die Anträge, das alleinige Sorgerecht Ronjas Vater zu übertragen und das Aufenhaltsbestimmungsrecht für Ronja noch für sechs Monate beim Jugendamt zu belassen, ab.
Das Gericht sah sich gezwungen, den Vorrang der öffentlichen Hilfen wie zum Beispiel eine Familienaktivierung vor dem Entzug der Sorge zu stellen. Diese Entscheidung verstehe sich als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie aus den Erfahrungen eines Unrechtsstaates, in dem der Staat wesentlichen Einfluss auf die Erziehung der Kinder nehmen wollte. Auch eine teilweise Entziehung des Sorgerechts durch Belassung des Aufenthaltsbestimmungsrechts hielt das Gericht nicht für verhältnismäßig und dem Geiste der getroffenen Vereinbarung widersprechend. Quelle: Dein Niedersachen, 21.06.2010
Diese Familienaktivierung bedeutete eine Rückführung von Ronja in die Obhut ihrer Eltern unter der Bedingung, dass ihrer Familie eine sozialpädagogische Hilfe für 20 Stunden pro Woche und eine Rufbereitschaft rund um die Uhr zur Verfügung stand.
Der Sozialdezernent äußerte sich zur Entscheidung des Gerichts wie folgt:
Nicht die Eltern müssen beweisen, dass sie ein Kind erziehen können, sondern das Jugendamt, dass sie es nicht können.“ Der Antrag, das Kind in eine Pflegefamilie zu geben, wäre „aussichtslos“ gewesen, betont er. Quelle: Hamburger Abendblatt, 14.08.2010
Noch eine Woche vor Ronjas Tod war ein Betreuer bei der Familie vor Ort gewesen und hatte nichts Ungewöhnliches festgestellt. Im Gegenteil, der Betreuer hatte einen recht guten Eindruck von der Familie.
Einige Tage nach dem Besuch des Familienhelfers war Ronjas Vater mit seiner kleinen Tochter allein. Angeblich hörte Ronja nach dem Trinken auf zu atmen. Daraufhin verständigte er einen Betreuer vom Jugendamt.
Die anschließende Obduktion ergab, dass Ronja an einer Hirnblutung in Folge eines Schütteltraumas verstorben war.
Ronjas Vater gab zu, dass er seine kleine Tochter einige Tage vor ihrem Tod kräftig geschüttelt habe, nachdem sie sich verschluckt hatte.
Gegen Ronjas Eltern wurden Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Eine vorläufige Festnahme erfolgte jedoch nicht.
Währenddessen stand auch das Gericht in Lüneburg in der Kritik der regionalen Medien, da dieses den Vorgaben des Jugendamtes in der Anhörung nicht gefolgt sei. Der Tod von Ronja wäre vermeidbar gewesen, wenn das Gericht den Anträgen des Jugendamtes statt gegeben hätte und Ronja vorerst nicht wieder ihren Eltern übergeben worden wäre.
Diese Anschuldigung wies das Gericht fassungslos zurück, es habe den Tod von Ronja nicht mitzuverantworten.
Mit dieser sachlichen Klarstellung rufen die beteiligten Lüneburger Gerichte zu einer sachlichen Erörterung aller sich stellenden Fragen auf, die zur Vermeidung weiterer tragischer Fälle dienen können. Die Sachlage ist nicht abschließend geklärt, aber schon jetzt zeigt sich ein Dilemma. Denn ein vollständiger Ausschluss jeden Risikos ist nicht möglich. Bei tragischen Todesfällen von Säuglingen und Kindern wird immer wieder die Frage gestellt werden müssen, ob sie vermeidbar gewesen wären. Umso mehr gilt dies, wenn das Jugendamt bereits über mögliche Probleme informiert ist. Trotz des großen Aufschreis der Öffentlichkeit dürfen nicht die Rechte und Pflichten der Eltern und das Wohl des Kindes aus den Augen verloren werden. Oberstes Ziel bei zweifelhaften Fällen muss der Schutz des Kindes sein. Aber ebenso muss es oberstes Ziel sein, das Kind bei seinen Eltern aufwachsen zu lassen. Quelle: Dein Niedersachen, 21.06.2010
Gerichtsurteil:
Die Staatsanwaltschaft in Lüneburg stellte die Ermittlungen gegen Ronjas Eltern im Feburar 2011 ein. Obwohl ein Gutachten bestätigte, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein von einem Schütteltrauma verursachter Atemstillstand zum Tod von Ronja geführt hatte, konnten der Tathergang nicht mehr rekonstruiert und damit weder Ronjas Mutter noch ihrem Vater nachgewiesen werden.