Romeo

Dies ist die Geschichte von Romeo aus Nürnberg. Sein Leben endete nach nur zehn Monaten auf entsetzliche Weise. Am 21. August 2003 wurde Romeo von seiner Mutter mit einem Brotmesser enthauptet.

Die Mutter litt bereits mit 21 Jahren an einer Psychose, die allerdings nicht fachgerecht behandelt wurde. Es trat keine Besserung ein, sodass sie 1998 mit nur 26 Jahren in Frührente geschickt wurde und ihren Beruf als Krankenschwester nicht mehr ausüben konnte.

Noch im gleichen Jahr gewann sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten im Lotto. Sie kauften sich von dem Geld im Nürnberger Stadtteil Sündersbühl eine einfache Drei-Zimmer-Eigentumswohnung in einem Zweifamilienhaus und begannen mit der Familienplanung.

1999 kam ihr erster Sohn zur Welt. Er bekam 2001 eine Schwester und schon 2002 folgte der kleine Romeo.

Trotz des Kinderglücks wurde die Mutter weiterhin von ihrer Psyche gequält. Zwar versorgte die Mutter ihre drei Kinder immer gut und kümmerte sich um den Haushalt, doch machte sie auf Nachbarn einen zunehmend abwesenden und verwirrten Eindruck. Sie kämpfte täglich mit Stimmungsschwankungen und wurde mehrmals betrunken angetroffen. Ein Nachbar hörte, wie sie in einem Telefonat ihrem Gegenüber erzählte, dass sie überfordert sei und all das nicht mehr schaffe.

Schon Wochen vor Romeos Tod fiel ihr der Alltag schwer. Sie hatte das Gefühl, alle könnten ihre Gedanken lesen und war davon überzeugt, dass sie die Nachbarn durch die Wände hörte, wie sie über sie redeten. Überall fühlte sie sich beobachtet und kontrolliert. Auch die Nächte wurden für sie unerträglich, da sie Angst hatte, dass im Schlaf mehrere unbekannte Männer in die Wohnung gelangen würden, um sie zu vergewaltigen.

Die Stimmen in ihrem Kopf wurden schlimmer und begannen zunehmend ihr Handeln zu beeinflussen. Die Mutter hörte sogar den 10 Monate alten Romeo, wie er sie bat, sie zu heiraten. Der 31-Jährigen war zwar klar, dass er nicht sprechen konnte, doch die Stimmen waren für sie deutlich hörbar.

Am Abend des 21. August 2003 erreichte die Psychose schließlich einen Höhepunkt, den Romeo das Leben kostete. Die Mutter litt unter der Wahnvorstellung, dass der Mond auf die Erde fallen würde und ein Leben nur noch auf einem anderen Planeten möglich sei. Dort sollte sie als Königin regieren, da ihre Knochen aus Eisen seien. Nur einer ihrer Söhne könne jedoch nach ihr regieren und die Krone erben. Die Stimmen befahlen ihr, sich für den 4-jährigen Bruder von Romeo zu entscheiden und ihrem Jüngsten den Kopf abzuschneiden. Die Mutter gehorchte und ging zu Romeo an den Laufstall. Mit einem 30 cm langen Brotmesser schnitt sie ihm den Hals durch, sodass sein Kopf vollständig vom Körper getrennt wurde. Romeo verblutete qualvoll.

Nachdem die Mutter das Blut aufgewischt und Romeos Leichnam zugedeckt hatte, rief sie den 47-jährigen Vater der Kinder an. Er lebte getrennt von ihr in einer Zweitwohnung. Sie erzählte ihm am Telefon, dass sie Romeo getötet habe. Die vom Vater alarmierten Polizisten eilten sofort zum Tatort. Dort fanden sie das geköpfte 10 Monate alte Baby im Laufstall. Die Arme der Mutter waren bis zu den Schultern hoch mit Blut verschmiert. Die Polizeibeamten stellten die Tatwaffe sicher und verhafteten die völlig verwirrte Mutter. Sie wiederholte immer wieder „Ich spinne“.

In der Wohnung befanden sich noch die älteren Geschwister. Die zwei Jahre alte Tochter und der 4-jährige Sohn wiesen keine Verletzungen auf und wurden in die Obhut des Jugendamtes übergeben. Ärzte und Psychologen sollten ein mögliches Trauma diagnostizieren und herausfinden, ob sie die schreckliche Tat hatten mit ansehen müssen. Die beiden Geschwister durften erst wenige Tage nach dem Mord zu ihrem Vater und wurden bis dahin von Fachleuten betreut. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, da das Motiv und die Rolle des Vaters zunächst unklar waren. Das Leben der beiden Kinder sollte nicht gefährdet werden.

Über die Beerdigung von Romeo liegen uns leider keine Informationen vor.

Gerichtsurteil:
Die Mutter wurde noch am Tatort festgenommen und per Haftbefehl wegen Mordes inhaftiert. Sie gestand zwar die Tat, machte darüber hinaus aber zunächst keine weiteren Angaben. Im Prozess verweigerte sie die Aussage, da es ihr schwer fiele, über den Tod von Romeo zu sprechen. Auch der Vater schwieg vorerst.

Während der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Mutter aufgrund von Halluzinationen ihr Baby ermordet hatte. Sie litt zum Tatzeitpunkt an einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie und war daher schuldunfähig. Daher beantragte die Staatsanwaltschaft die dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie.

Mit dem Urteil im Jahr 2005 konnte dies schließlich durchgeführt werden und die Mutter kam in den Maßregelvollzug des Bezirksklinikums Ansbach. Ziel ist hierbei nicht die dauerhafte Wegsperrung von Straftätern, sondern die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dies sollte erreicht werden durch die Teilnahme an Therapien, Behandlungswille und Tateinsicht, aber auch eine gezielte Einstellung von Medikamenten.

Die Mutter litt unter dem Verlust von Romeo. Der Blick in den Spiegel fiel ihr schwer und es war ihr kaum möglich, an etwas anderes zu denken. Selbstmordgedanken quälten sie. Sie liebte all ihre Kinder. Die drei waren das Wichtigste in ihrem Leben. Die Therapie half ihr, die Geschehnisse zu verarbeiten und damit umzugehen.

Die Therapien und Medikamente in der Psychiatrie halfen ihr zwar, aber Freunde fand sie dort nicht. Andere Patienten mieden den Kontakt zu ihr und bezeichneten sie als Monster. Da die Klinik in Ansbach jedoch nur 42 Kilometer von ihrer Wohnung in Nürnberg entfernt lag, konnte sie in regelmäßigen Abständen ihre Kinder sehen. Unter Aufsicht von Jugendamt und Familienhilfe durfte sie sogar gelegentlich in die Wohnung zu ihrem Freund und den beiden Kindern.

Im Sommer 2007 bekam die Mutter Ausgang und durfte vier Tage zu ihrer Familie zurückkehren. Mit den Kindern und dem Haushalt war sie allerdings schnell überfordert. Die Ärzte erkannten, dass sie sich in einem präpsychiotischen Zustand befand und eine Erhöhung der Medikamente ratsam wäre. Dies lehnten sowohl Mutter als auch Vater ab. Er war fest davon überzeugt, dass seine Lebensgefährtin wieder gesund sei.

Immer mehr ging es der Mutter um die Lockerungen und Besuche bei ihrer Familie. Sie begann die Therapien zu vernachlässigen und bestand auf eine Reduzierung der Tabletten.

Ein Satz, den sie gegenüber einer Mitpatientin äußerte, wurde ihr schließlich zum Verhängnis:

„Wegen so einer Bagatelle sitze ich nun schon seit fünf Jahren.“
Quelle: Abendzeitung, 27.01.2010

Sie zeigte sich zunehmend paranoid, misstrauisch und feindselig, weshalb die Ärzte im Oktober 2008 die Medikamenten-Dosis erhöhen wollten. Die Mutter weigerte sich weiterhin, sodass eine Therapie seitens der Ärzte nicht mehr erfolgsversprechend zu sein schien. Sie bemängelten ihre Krankheits- und Behandlungseinsicht. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Patientin war so zerrüttet, dass die Mutter am 30. Oktober 2009 gegen ihren Willen nach Taufkirchen verlegt wurde, um dort nochmal neu anzufangen. Die Ärzte in Ansbach fanden keinen Zugang mehr zu ihr. Auch ein Schreiben des vom Lebensgefährten eingeschalteten Anwalts konnte diese Maßnahme nicht verhindern.

Im ca. 200 Kilometer entfernten Taufkirchen wurde ihr Zimmer videoüberwacht und sie erhielt keine Lockerungen. Selbst ein Ausgang auf dem Gelände wurde ihr verwehrt.

Im Januar 2010 war es 15 Monate her, dass sie die mittlerweile 9-jährige Tochter und den 11-jährigen Sohn zuletzt gesehen hatte. Die Entfernung war der Familie für regelmäßige Besuche zu groß. Die Trennung ihrer Kinder fiel ihr sehr schwer. Der einzige Kontakt waren tägliche Telefonate am Abend. Die Wahrheit über Romeos Tod wurde vor den Geschwistern geheim gehalten. Ihnen wurde erzählt, dass ihr kleiner Bruder vom Wickeltisch gefallen und an den Verletzungen gestorben sei. Den Aufenthalt in der Psychiatrie erklärten sie den Kindern mit einer tiefen Trauer, bei der sie Hilfe bräuchte.

Aufgrund der Entfernung kämpfte die Mutter um eine Rückverlegung nach Ansbach. Der Vater unterstützte sie dabei und beauftragte mehrere Rechtsanwälte. Zudem legte er dem Bayerischen Landtag eine Petition vor. Eine Bezirksrätin der Partei „Die Linke“ besuchte die Mutter regelmäßig und forderte ebenfalls die Rückverlegung, um eine Integration in ihr soziales Umfeld zu ermöglichen. Die Bezirksrätin betonte, dass die Patientin gewissenhaft ihre Medikamente einnähme und wieder die Therapien besuchen würde. Einziger Streitpunkt war noch immer die Dosierung der Pillen. Eine Erhöhung lehnte die Mutter noch immer ab.

Der behandelnde Professor blieb trotz des Drucks von Anwälten und der Petition standhaft und lehnte die Rückverlegung ab. Er bestätigte zwar, dass die Mutter einen gesunden Eindruck erwecke, doch bei Stress würde die Psychose wieder zum Vorschein kommen. Außerdem begründete er seine Entscheidung mit einer mangelnden Einsicht der Patientin.

Sechs Jahre nach dem schrecklichen Tod von Romeo sprach sie kaum noch von ihrer Tat. Ihrem Lebensgefährten und ihr ging es vordergründig um die Rückverlegung und Vollzugslockerungen, damit sie ihre Kinder wieder besuchen könne. Zudem strebte sie noch immer eine Reduzierung der Medikamente an, obwohl sämtliche Ärzte dringend zu einer Erhöhung rieten. Eine Oberärztin und der behandelnde Professor sahen aber genau diesen Punkt sehr kritisch. Denn erfahrungsgemäß hätten Patientinnen mit ähnlichen Schicksalen große Angst davor, wieder rückfällig zu werden und würden genau aus diesem Grund alles, was die Medizin hergibt, schlucken und sich helfen lassen. Gerade weil sie so erschüttert sind über ihre eigene Tat. Bei der Mutter von Romeo fehlte diese Verhaltensweise.

Der Professor trug eine große Verantwortung und wies darauf hin, dass die Mutter noch zwei weitere Kinder habe. Würde er sich falsch entscheiden, gefährde er das Leben dieser beiden Kinder. Daher dürfe er auch gegen den Willen seiner Patienten eine sinnvolle Therapie durchsetzen. Im Falle von Romeos Mutter wäre dies eine höhere Dosis ihrer bisherigen Medikamente.

Im April 2010 erhielt die Mutter ihre erste Lockerung in Taufkirchen:
Sie durfte in Begleitung von Pflegern spazieren gehen.