Raphael

Das ist die Geschichte von Raphael aus Geislingen an der Steige (Kreis Göppingen). Der kleine, blonde, lebhafte Junge starb im Alter von vier Jahren am 13. März 2011 nach Faustschlägen gegen seinen Kopf.

Raphaels Mutter, eine 26-jährige Frau, lebte vom Kindsvater getrennt und bezog im Jahr 2010, ein halbes Jahr vor Raphaels Tod, mit ihrem neuen 25-jährigen Lebensgefährten eine gemeinsame Wohnung in Geislingen an der Steige. Die Mutter soll ihren kleinen Sohn, auch schon vor ihrer neuen Beziehung, in den Jahren 2008 und 2009 mehrmals geschlagen haben. Wahrscheinlich billigte sie daher auch, dass sich ihr neuer Lebensgefährte fortan der Erziehung von Raphael widmete und ähnliche Methoden anwendete. Raphael wurde, auch erneut von seiner Mutter, mit der Faust ins Gesicht geschlagen, auf den Kopf, Rumpf, auf die Arme und Beine.

Im Dezember 2010 wurde dann das erste gemeinsame Kind des Paares geboren und beide planten Mitte 2011 zu heiraten.

Das soziale Umfeld Nachbarn, Freunde, Bekannte der Familie hatte laut Angaben keine Hinweise darauf, dass Raphael regelmäßigen körperlichen Züchtigungen ausgesetzt gewesen sein soll. Raphael besuchte nach dem Umzug nach Geislingen an der Steige den dortigen katholischen Kindergarten. Auch hier soll es keinen Verdacht auf etwaige Misshandlungen gegeben haben. Dies sei aber auch dem Umstand geschuldet, dass der kleine Junge erst wenige Monate diesen Kindergarten besuchte und im Winter Anzeichen auch körperliche Gewalt auch schwerer auffallen würden als in anderen Monaten, in denen die Kinder leichter bekleidet wären.
Auch das ein Kind mehrere Tage dem Kindergarten fern bliebe, könne auch dadurch resultieren, dass krankheitsbedingte Fehltage im Winter häufiger vorkämen als im Frühling, Sommer oder Herbst.

Auf einem Bild, welches die Mutter von ihren Sohn im Internet am 09. März 2011 einstellte, sind Raphaels Wangen und Stirn übersät mit blauen Flecken. Es wurde später vermutet, dass dieses Foto bereits in der Weihnachtszeit aufgenommen worden war.

Es war ein Samstagnachmittag, der 12. März 2011, als der Lebensgefährte den vierjährigen Raphael aufforderte, den Tisch für das Essen zu decken. Raphael weigerte sich und machte sich statt dessen ein wenig über seine Mutter lustig.

Mit dem Einverständnis der Mutter lies der Lebensgefährte sodann gewaltvolle Erziehungsmaßnahmen walten. Er schlug Raphael heftig mit geballter Faust auf den Kopf. Anschließend umfasster er den Hals von Raphael mit beiden Händen, hob ihn hoch und ging so mit ihm in das Kinderzimmer, wo er den kleinen Körper zu Boden fallen lies. Raphael hatte das Bewusstsein verloren und blieb so auf dem Boden liegen. Als seine Mutter ihn dann bewusstlos und ohne Puls auffand, verständigte sie kurz nach 17 Uhr den Rettungsdienst.

Raphael hatte einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten und der eingetroffene Notarzt leitete umgehend Reanimationsmaßnahmen ein. Anschließend wurde Raphael mit einem Rettungshubschrauber in eine Spezialklinik nach Tübingen geflogen. Dort entdeckten die Ärzte neben den gravierenden Schädelverletzungen auch zahlreiche weitere Verletzungen in Form von Blutergüssen am Körper von Raphael.

Sonntag Nacht, am 13. März 2011, erlag Raphael seinen schweren Hirnverletzungen.

Laut Obduktion haben Raphaels Hirnverletzungen die Schutzreflexe außer Kraft gesetzt, welche im Normalfall verhindern, dass Fremdkörper in die Lunge eingeatmet werden. Dadurch erlitt Raphael eine Lungenentzündung, die einen Sauerstoffmangel verursachte und letztendlich zum Hirntod führte.

In den folgenden Vernehmungen bestritt die Mutter ihren Sohn misshandelt zu haben, beschuldigte aber ihren Lebensgefährten.

Raphaels Schwester, zu diesem Zeitpunkt drei Monate alt, wurde vom Jugendamt in Obhut genommen.

Gegen das Paar wurde Haftbefehl erlassen und sie kamen in Untersuchungshaft. Im September 2011 hob jedoch das Amtsgericht Ulm diesen Haftbefehl auf mit der Begründung, es bestünde keine Fluchtgefahr, so dass beide wieder auf freien Fuß kamen.

Gerichtsurteil:
Im November 2013 wurde durch die Staatsanwalt Ulm Anklage gegen die Mutter und ihren Lebensgefährten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhoben. Der Mutter wie auch dem Lebensgefährten wurde vorgeworfen, Raphael mehrfach misshandelt zu haben. Letztendlich misshandelte der Lebensgefährte ihn zu Tode.

Die lange Verzögerung der Anklageerhebung kam dadurch zustande, da erst Ende 2011 die Ermittlungen der Polizei vollständig beendet wurden. Zudem habe es dann bei der Staatsanwalt einen Wechsel des Sachbearbeiters gegeben, wodurch erst mehr als zweieinhalb Jahre später Anklage erhoben werden konnte.

Im Juni 2016 verkündete das Landgericht Ulm sein Urteil. Die nun zwischenzeitlich 29-jährige Mutter und ihr damaliger Lebensgefährte wurden wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Haftstrafe von jeweils fünf Jahren verurteilt. Hiervon wertete das Gericht auf Grund der langen Verzögerung des Prozesses neun Monate als bereits abgegolten. Die Verteidigung der Mutter kündigte an, gegen das Urteil Revision einzulegen.

In dem Prozess beschuldigten sich Mutter sowie der ehemalige Lebensgefährte gegenseitig, so dass letztendlich nicht geklärt werden konnte, wer von beiden Raphael gegen den Kopf geschlagen hat und damit seinen Tod verursacht hatte.

65 Zeugen wurden vernommen und diverse Chatprotokolle wurden ausgewertet. Diese offenbarten, dass beide Angeklagte hier und dort gelogen hatten.

Raphael war bereits vor seinem Tod immer wieder Misshandlungen ausgesetzt. Angefangen von Ohrfeigen bis hin zu Tritten gegen seinen Kopf. Weder seine Mutter noch ihr Lebensgefährte mäßigten sich.

Beide hätten die massive Gewalt gegen den kleinen Jungen als Mittäter zumindest billigend in Kauf genommen, den anderen gedeckt und gelogen, wenn es um Raphaels blaue Flecken ging oder um seine abgebrochenen Zähne….
Quelle: Augsburger Allgemeine, 20. Juni 2016

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung war Raphaels Mutter erneut hochschwanger.

Im Oktober 2017 hob der BGH das Urteil des Ulmer Landgerichtes gegen das inzwischen getrennt lebende Paar auf. Es verwies den Fall zurück an eine andere Strafkammer des Landgerichts.

Damit sind beide zum jetzigen Zeitpunkt immer noch auf freiem Fuß.