Pascal & Leon

Dies ist die Geschichte von Pascal und Leon aus Ichtershausen in Thüringen. Die Brüder wurden kurz nach ihrer Geburt in Plastiksäcke gesteckt und auf einem alten Fabrikgelände abgestellt wie Müll.

Jeweils im August 2014 und Oktober 2015 zog sich die drogenabhängige Schwangere in das heimische Bad zurück, um dort ihre Kinder zu gebären. Beide Babys fielen in die Toilette und wurden dann in einem Handtuch eingewickelt auf dem Badvorleger sich selbst überlassen. Die zu dem Zeitpunkt der Geburt unter Drogen stehende arbeitslose Mutter sagte vor Gericht aus, sie habe sich anschließend schlafen gelegt. Der Vater hingegen wollte von den Schwangerschaften nichts gewusst haben. Der genaue Tathergang konnte nicht ermittelt werden. Es blieb unklar, ob die 28-jährige Mutter oder der 33-jährige Vater die Kinder schlußendlich in blaue Müllsäcke gesteckt hatte.

Die neugeborenen Jungen wurden nahe einer alten Fabrik entsorgt. Ihre kleinen Körper wurden im Januar 2016 zufällig entdeckt. Leon wurde durch eine Spaziergängerin gefunden. Er war schon schwer entstellt und sein Anblick war nicht zu ertragen. Es wurden in seinem Blut 1,1 Promille Alkohol sowie Rückstände der Droge Crystal Meth nachgewiesen.

Nach Freigabe des Tatortes wurde von einem Reporter eine weitere Babyleiche gefunden: Pascal. Er lag stark verwest und noch in Handtücher eingewickelt in einem Plastiksack; nur wenige Meter von seinem Bruder entfernt. Die genaue Todesursache konnte aufgrund der starken Verwesung nicht mehr festgestellt werden.

Pascal und Leon haben noch größere Geschwister. Diese waren 6 und 13 Jahre alt, als die Babyleichen entdeckt wurden. Es ist aber nicht bekannt, ob diese etwas von den Schwangerschaften und Geburten mitbekommen hatten. Auf die Mutter kamen die Ermittler nur, weil Zeugen aufgefallen war, dass sie schwanger gewesen sein musste, aber nie ein Baby bei sich hatte.

Die Familie war dem Jugendamt bekannt. Eine Familienhelferin besuchte diese im Oktober 2015, nachdem der erstgeborene Sohn um Hilfe gebeten hatte. Es sollte sichergestellt werden, dass er genügend zu essen und wettergemäße Kleidung in seiner Größe hatte. Die Betreuung durch das Jugendamt fand in regelmäßigen Abständen statt. Schwangerschaften wurden bei den Besuchen jedoch nicht wahrgenommen.

Beisetzung:
Erst als Pascal und Leon beerdigt werden sollten, gab die Mutter ihren Söhnen einen Namen. Sie beantragte, bei der Trauerfeier anwesend sein zu dürfen. Dies wurde von der Staatsanwaltschaft genehmigt.

Der Protest darüber war in den sozialen Medien allerdings so groß, dass sie im Gefängnis blieb. Zu der Trauerfeier für die kleinen Brüder kamen 200 Menschen. Ihre letzte Ruhe fanden Pascal und Leon auf dem Friedhof der Klosterkirche St. Georg und Marien in Ichtershausen am 17. März 2016.

Das Pfarrerehepaar hielt eine bewegende Rede:

“Den beiden Jungs Pascal und Leon wurde das irdische Leben geschenkt, ein göttliches Geschenk, das zu geben nur in Gottes Händen liegt. Aber sie durften nicht leben. Von den Händen der Menschen, denen sie anvertraut waren, wurde es ihnen wieder genommen. Zumindest dazu scheinen Menschen fähig: das kaputtzumachen, was Gott ihnen schenkt und anvertraut.
Das Leben von Pascal und Leon wurde brutal beendet, als es gerade begonnen hatte.
„Wenn ein Schwan stirbt, schweigen die Tiere…“ Angesichts dessen, was Pascal und Leon angetan wurde, verschlägt es einem die Sprache. Diese Tat verursacht ein ohrenbetäubendes Schweigen, bei allen, die von ihr hörten. Und trotzdem müssen wir reden. Hilflose Worte gegen das lähmende Schweigen. Es ist die Zeit der Klage, der Anklage, der Trauer und der Wut. Es ist aber auch eine Zeit des Friedenfindens, des Friedenmachens. Denn das Leben ist kostbar.”
Quelle: 21.03.2016, Evangelischer Kirchenkreis Arnstadt-Ilmenau

Gerichtsurteil:
Der Prozess gegen die Eltern fand im August 2016 vor dem Landgericht Erfurt statt. Der Mutter wurde Totschlag durch Unterlassen, dem Vater zweifacher Mord vorgeworfen.

Bei der Polizei hatte die Mutter noch schwere Vorwürfe gegen den Vater der Kinder erhoben und gegen ihn ausgesagt. In den Verhandlungen schwieg sie allerdings und belastete ihren Ex-Freund nicht.

Vor Gericht konnte durch Sachverständige festgestellt werden, dass die Jungen nach der Geburt am Leben gewesen waren. Gewebeproben von Leon ergaben, dass er mindestens eine Stunde gelebt hatte. Außerdem wurden DNA-Spuren der Mutter am Tatort gefunden.

Die Staatsanwaltschaft forderte daraufhin neun Jahre Haft für die Mutter. Die Verteidigung der Mutter forderte hingegen bei Pascal einen Freispruch und bei Leon lediglich 2 Jahre und 9 Monate wegen Totschlags durch Unterlassen.

Die Mutter der Babys bekam letztlich eine Haftstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wegen Totschlags durch Unterlassen. Sie schwieg während der ganzen Zeit des Prozesses.

Für den Vater wurden 13 Jahre Haft wegen zweifachen Totschlages gefordert. Im Prozess konnten keine Mordmerkmale gefunden werden. Er wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Urteilsbegründung:

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass beide Babys lebend zur Welt gekommen waren. Die Beweisaufnahme ergab, dass sich beide Schicksale der Kinder ähnlich abgespielt haben mussten.

Der Vorsitzende Richter musste jedoch eingestehen, dass es im Nachhinein nicht mehr möglich war, die Taten lückenlos aufzuklären. Unklar blieb, wer die kleinen Jungen in die Müllsäcke stopfte und ihrem Schicksal im Wald überließ. Jedoch kam nur das Ex-Paar als Täter in Betracht.

Der Mann wollte die zwei Schwangerschaften seiner Ex-Lebensgefährtin nicht bemerkt haben. Der Vorsitzende Richter fand deutliche Worte für die Frau, die ihre erste Aussage bei der Polizei vor Gericht nicht wiederholte, sondern es vorzog, still zu sein.

„Sie haben ihm – ohne es zu wollen – einen letzten großen Dienst erwiesen“, sagte von Hagen. „Sie hätten ihren toten Kindern einen letzten Dienst erweisen können.“
Quelle: 05.12.2016, Stern

Beide hörten sich die Worte der Urteilsbegründung teilnahmslos an.

Die anschließende Revision der Mutter wurde im August 2017 vom Bundesgerichtshof abgelehnt.