Nils

Das ist die Geschichte von Nils aus Marienbaum. Er starb am 25. August 2014 im Alter von vier Monaten an den Folgen eines Schütteltraumas.

Nils´ Mutter wurde mit 16 Jahren das erste Mal schwanger. Drei weitere Kinder folgten.

Im Jahr 2012 entstand über Facebook zwischen der verheirateten Frau und einem Mann, den sie noch aus Schulzeiten kannte, eine Annäherung. Irgendwann trennte sie sich von ihrem Ehemann, nahm den einjährigen Sohn mit und zog mit ihrem neuen Partner in eine Anderthalb-Zimmer-Wohnung. Die anderen drei Kinder verblieben beim Vater und verweilten nur am Wochenende bei ihrer Mutter und deren neuem Partner. Das Paar träumte von einer großen Familie. Doch wenn am Wochenende alle vier Kinder in der winzigen Wohnung aufeinander trafen, wurde es schwierig. Der neue Lebensgefährte flüchtete in seine Welt aus PC-Spielen, lauter Musik und Drogen. Er ließ sich nicht anmerken, dass ihm alles zuviel war, er wollte die Beziehung nicht gefährden. Sie wurde schwanger und das Paar zog mit dem Sohn aus der gescheiterten Ehe der Frau in eine größere Wohnung.

Es wurde ihr erstes gemeinsames Kind geboren, ein Mädchen. Ihr Leben finanzierten sich die beiden durch gelegentliche Jobs, durch Unterhaltszahlungen, dem Kindergeld und Hartz 4. Anfangs konsumierten beide auch nur sporadisch Drogen. Im Laufe der Zeit wurde es immer mehr. Die Drogen sollten dazu dienen, wach zu bleiben, um sich besser um die Kinder kümmern zu können. Allerdings, so gab der Lebensgefährte später zu, sei man oft so mit sich selbst und den Drogen beschäftigt gewesen, sodass die Kinder vergessen wurden.

Im August 2013 erlitt die erst vier Monate alte Tochter einen Bruch des Oberschenkels. Da die Knochen eines Babys noch sehr weich sind, konnte dies nur durch massive Gewalteinwirkung geschehen sein. Ebenso zeigte sie Anzeichen von Unterernährung.

Eine erneute Schwangerschaft stellte sich ein. Es werden Zwillinge, zwei Jungs, die im April 2014 zur Welt kamen.

Das Jugendamt schaltete sich ein, um eine Überforderungssituation zu verhindern. Dem Paar wurde eine Familienhilfe zur Seite gestellt, sowie eine Tagesmutter, die sich um die Tochter und den Sohn aus erster Ehe kümmern sollte. Ebenso eine Kinderkrankenschwester zur Versorgung der Zwillinge.

Die Sozialpädagogin, die die Familie aufsuchte, gewann den Eindruck eines verliebten Paares und befähigter Eltern.

Der Junge aus erster Ehe besuchte 14-tägig seinen Vater. Diesem fielen vermehrt blaue Flecken an seinem Sohn auf. Mit Händen und Füßen hätte sich sein Sohn gewehrt, wenn er wieder zurück zu seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten musste. Als er daraufhin das Jugendamt informierte, ließen sich die Sozialpädagogen von der Mutter und ihrem Lebensgefährten überzeugen, dass der Junge oft über seine eigenen Füße stolpern und sich zudem häufig mit seinem älteren Bruder streiten würde.

Auch der Tagesmutter, die die Geschwister betreute, fallen Hämatome an den Kindern auf. Das Gesicht des Mädchens war grün und blau. Einmal, so erzählte sie vor Gericht, habe der Junge ein blutunterlaufenes Auge und schwere Verletzungen im Gesicht gehabt. Zudem zeigte er sichtlich Angst vor dem Lebensgefährten. Sie wollte der Mutter und dem Lebensgefährten nicht mehr glauben, dass diese Verletzungen davon herrührten, dass der Junge auf Bauklötzen geschlafen habe. Vorsorglich fotografierte sie die Verletzungen.

Dem Jugendamt jedoch konnte das Paar weiterhin glaubhaft versichern, dass die Verletzungen anderweitig entstanden sind.

Am 11. Juli 2014 verließ die Mutter die Wohnung. Die vier Kinder und der Lebensgefährte blieben zurück. Die älteren Kinder, der Junge und das Mädchen, werden vor dem Fernseher in ihrem Zimmer geparkt. Nils schrie. Der Lebensgefährte, so seine Aussage, fütterte ihn und legte ihn wieder ins Bett zum Schlafen. Gleiches tat er mit dessen Zwillingsbruder. Später schaute er noch einmal nach Nils und sah, dass dieser blau angelaufen sei und nicht mehr geatmet habe. Er schüttelte Nils. Ein Notarzt wurde gerufen. Nils und auch sein Bruder wurden umgehend ins Krankenhaus gebracht. Nils überlebte nicht.

Er verstirbt am 25. August 2014 an den Folgen des Schütteltraumas.

Bei der Obduktion stellte der Rechtsmediziner fest, dass Nils, bis auf durch das Schütteln hervorgerufene Schädel-Hirn-Trauma, ein organisch vollkommen gesundes Kind gewesen sei. Es bestünden keine Anzeichen dafür, dass der Junge an Atemnot oder Bewusstlosigkeit gelitten habe. Eine medizinische Erklärung, warum Nils einfach so nicht mehr geatmet hätte, gäbe es nicht. Diese Art der Symptome zeigten sich aber nach langanhaltendem und heftigen Schütteln.

Während der polizeilichen Vernehmungen fragte der Lebensgefährte nicht ein einziges Mal nach seinem überlebenden Sohn, der zu dem Zeitpunkt noch im Krankenhaus lag. Eine Beamtin, die den Mann befragt hatte, sagte aus, von Trauer sei bei dem Lebensgefährten nichts zu spüren gewesen. Das Paar hätte vielmehr den Eindruck vermittelt, die Kinder seien ein lästiges Übel, worum man sich aber kümmern müsse.

Gerichtsurteil:
Im Prozess wies der Lebensgefährte alle Schuld von sich. Obwohl belegt werden konnte, dass er seinen vier Kindern massive Gewalt angetan hatte, stritt er alles ab. Seiner damals vier Monate alten Tochter habe er versehentlich beim Wickeln das Bein gebrochen. Seinen Sohn Nils habe er retten wollen, als dieser nicht mehr atmete. Geschüttelt hätte er ihn und unter Wasser gehalten. Auch die Gehirnverletzungen, die Nils` Zwillingsbruder aufwies, konnte er sich nicht erklären und suchte nach Ausflüchten.

Von Misshandlungen an ihren Kindern wollte auch die Mutter nichts wissen. Für jede Verletzung fand sie eine Erklärung. Ihr Lebensgefährte sei doch immer gut zu den Kindern gewesen.

Im Januar 2015 wurde der Lebensgefährte schließlich wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung von Schutzbefohlenen zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der Lebensgefährte mit roher Gewalt an seinen vier Kindern abreagiert habe. Die Familie sei ein Alptraum aus Gefühlskälte und Gewalt gewesen, auch wenn im Prozess nur ein Teil der Misshandlungen an den Kindern zum Vorschein gekommen wäre.