Kaum ein Sexualmord hat so viel Aufsehen erregt wie der eines 27 Jahre alten vorbestraften Triebtäters im Jahr 1996 und löste solche bundesweiten Diskussionen aus. Kurz zuvor machte der Fall des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux Schlagzeilen und rückte diese Fälle wieder vermehrt in den Vordergrund und erschütterte die Gemüter. Nachdem die Rufe nach strengeren Gesetzen für Sexualstraftäter immer lauter wurden, gab es mehrere Anhörungen im Fall Natalie im Bundestag sowie im bayerischen Landtag, wo über das Für und Wider vorzeitiger Haftentlassungen diskutiert wurde.
Und hier beginnt die Geschichte von Natalie aus Epfach, deren junges Leben nach sieben Jahren auf tragische Weise endete.
Am Morgen des 20. September 1996 begab sie sich auf den Weg zur Schule. Nur wenige Meter von der Wohnung entfernt wartete ihr Mörder mit seinem Auto auf sie. Er zerrte sie ins Fahrzeug, um dann mit ihr auf einen nahen Parkplatz zu fahren, wo er sie fesselte und sich eine Strumpfmaske über das Gesicht zog, um unerkannt zu bleiben. Von dort fuhr er zu einem Feldweg, wo er Natalie entkleidete und ihren Körper betastete. Später sagte er aus, Natalie habe um ihre Freilassung gebettelt und versprochen, niemandem von seiner Tat zu erzählen. Sie sprach sogar einige Worte Italienisch mit ihm, weil sie ihn für einen Ausländer hielt. Ihr Vater würde ihm sicher Geld für ihre Freilassung geben, versprach sie. Da nahm der Elektriker sie beruhigend auf den Schoss, ohne an sein entblößtes Gesicht zu denken, von dem er vorher noch unüberlegt die Strumpfmaske gezogen hatte und geriet in Panik, als sich Natalie plötzlich zu ihm umdrehte und sein Gesicht sah. Er würgte sie und schlug ihren Kopf gegen einen Baumstamm, bis sie bewusstlos wurde. Dann fuhr er mit ihr zu dem Fluss Lech und legte sie dort in das Wasser, in dem sie schließlich ertrank. Ihre Kleider warf er in einen Altkleidercontainer.
Anschließend fuhr der Mann zurück zu Freunden und ließ sich dort nichts von seiner Tat anmerken.
Zwei Tage lang wurde Natalie vermisst und die Polizei fahndete intensiv, bis der Verdacht schließlich auf den Sexualstraftäter fiel. Er wurde unter Tatverdacht festgenommen und gestand die Tat. Einen Tag später wurde die Leiche des Mädchens geborgen.
Bei dem jungen Mann handelte es sich um einen wegen sexuellen Missbrauchs von mehreren Frauen und Mädchen Vorbestraften, der 1993 zu einer 4 ½ jährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Der eingeschaltete Gutachter hatte angenommen, durch die Taten habe er sein angeschlagenes Selbstbewusstsein wieder aufrichten wollen, eine anhaltende und schwere seelische Abartigkeit sei aber nicht erkennbar. Dem hatte sich das Gericht angeschlossen und ihn mit einer Allgemein- statt Sexualtherapie ins Gefängnis geschickt, die ihn später als leicht kränkbaren Mann beschrieb, der Probleme habe, mit Stress und Frust umzugehen, aber auch als „therapierbar mit überzeugender Einsicht von Notwendigkeit von Veränderungen“. Wegen „nicht ungünstiger Zukunftsprognose“ war er dann 1995 vorzeitig entlassen worden, doch selbst sein Verteidiger hatte nach dem Urteilsspruch 1993 erklärt, dass der Täter ohne Behandlung auf keinen Fall aus der Haft entlassen werden dürfe, da bei ihm hohe Wiederholungsgefahr bestünde.
Auf freien Fuß sei er ein ganz normaler Mensch gewesen, dem man seine Vergangenheit nicht hatte ansehen können. Er fand einen Job und lernte dort auch Natalies Vater sowie Großvater kennen.
Am 02.12.1997 begann der Prozess vor dem Landgericht Augsburg, dem die Eltern von Natalie als Nebenkläger beiwohnten. Acht Meter vom Mörder ihrer Tochter durch Panzerglas getrennt, wohnten sie den Verhandlungsterminen mal entschlossen aggressiv, mal verzweifelt melancholisch bei. Da auf diesem Verfahren große mediale Aufmerksamkeit lag, hatte der Oberstaatsanwaltschaft den Fall angenommen, um den zu erwartenden Emotionen mit der notwendigen Autorität zu begegnen.
Für die Medien und die Akten war der Fall klar, weshalb niemand die vielen Verhandlungstage nachvollziehen konnte, zumal Natalies Mörder sein Geständnis in der Hauptverhandlung noch einmal wiederholte. Der erste Anwalt des Elektrikers legte sein Mandat wegen des großen Drucks von außen schnell nieder und mit dem zweiten Verteidiger gelang nur eine unglückliche Verteidigungsstrategie, die ihn im denkbar unglücklichsten Licht erscheinen ließ. In seiner Befragung vor Gericht präsentierte der Täter sich als Psychowrack. Die Medien berichteten später über ihn als ängstlichen, kümmerlichen Mann, der mit eintöniger, etwas brüchiger Stimme von Depressionen, Enttäuschungen und Zurückweisungen von Frauen erzählte. Er habe sich das Kind am 20. September 1996 ohne es zu merken auf der Straße gegriffen und als es sich nach dem Missbrauch zu ihm umgedreht hatte, waren ihm die Sicherungen durchgebrannt. Der Mörder weinte während der Verhandlungen, wo jedoch nicht deutlich wurde, ob er um das Kind oder um sich selbst weinte.
Auf Befragen seines Verteidigers erzählte er dann eine Geschichte aus seinem Urlaub 1991 auf Gran Canaria, als ein Tänzer bei einer Vorstellung eingeborener Tänzer aus Afrika plötzlich auf ihn gezeigt und ihn durchdringend angesehen hatte, als der Mann versucht hatte, ihn zu fotografieren. Ihm sei später eingefallen, dass diese das Fotografieren von sich nicht mochten, weil sie Angst hatten, ihre Seele würde von der Kamera eingefangen. Anschließend sei er zum Strand gefahren und dort ohnmächtig geworden. Als er aufgewacht war, sei er mit Malereien am Körper aufgewacht und dieser Blick des Tänzers habe ihn als Albtraum verfolgt.
Der Versuch, seinen Mandanten vor dem Strafvollzug zu bewahren, indem er ihn in die Psychiatrie einweisen lassen würde, schien gescheitert. Beide beauftragten Gutachter, an deren Feststellungen Bedenken auftraten aus Unsicherheit, man könne das Wesen des Mörders nicht zur Gänze erfassen, kamen zum gleichen Ergebnis: Der Angeklagte sei voll schuldfähig, er habe keine psychische Störung, sondern sei ein aggressiver Sexualstraftäter mit einer hohen Rückfallgefahr. Dieses Ergebnis machte eine Unterbringung in der Psychiatrie mit anschließender Sicherheitsverwahrung unmöglich. Der Mörder schien durch das Raster zu fallen, denn für die Psychiatrie war er nicht krank genug, doch für den normalen Strafvollzug nicht normal genug.
Alle stellten sich auf ein mildes Urteil ein aufgrund der Vorverurteilung des gelernten Elektrikers. Am 18.12.1997 verhängte das Schwurgericht der 8. Strafkammer des Augsburger Landgerichts schließlich eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes, Freiheitsberaubung, sexuellen Missbrauchs und sexueller Nötigung gegen den Mann. Die besondere Schwere der Schuld sah man als erwiesen an. Die Eltern gingen nach Verkündigung des Urteils mit Natalies kleinem Bruder auf Kur, um dem Rummel zu entgehen. Nachdem der Fall ein öffentliches Ende gefunden hatte, wurde ihnen der Verlust nun erst richtig bewusst und man wollte sich an die Aufarbeitung des Geschehenen begeben.
Natalies Großeltern gründeten nach Natalies Tod den Verein „Bürgerinitiative Natalie e.V.“, um minderjährigen Opfern von Gewalttaten zu helfen. Als direkte Folge dieser Tat diskutierte der Bundestag und verschärfte das Sexualstrafrecht. Unter anderem wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt und eine Verbesserung des Schutzes und der Unterstützung der Opfer von Sexualstraftätern.
Der Sexualstraftäter saß seitdem im Hochsicherheitsgefängnis in Diez an der Lahn ein, bis er 19 Jahre später im Jahr 2015 bei der Augsburger Staatsanwaltschaft einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung stellte. Nach dem Grundgesetz muss jedem zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten die Aussicht gestellt werden, jemals aus der Haft entlassen werden zu können. Bevor dies jedoch geschehen kann, muss ein Gutachten zuvor eingeholt werden, das über die Verfassung des Täters Auskunft gibt. Der Antrag des Mörders wurde daraufhin abgelehnt, da man ein noch zu hohes Wiederholungsrisiko sah. Natalies Familie wurde über den Antrag nicht informiert, nahm aber die Ablehnung mit Wohlwollen auf, sodass der Mann nun noch mindestens fünf weitere Jahre im Gefängnis bleiben muss, ehe er erneut einen Antrag stellen kann. Er wird den Verlauf seiner Haft nun weiter im Auge behalten.
Beisetzung:
Ihre letzte Ruhe fand Natalie auf dem kleinen Friedhof in Epfach.