Mirel

Bekanntwerden von Kindesmisshandlungen lösen in der Bevölkerung regelmäßig reflexartig Forderungen nach härteren Strafen für Täter sowie verstärkter Kontrolle für Konfliktfamilien aus. Hier ist es jedoch wichtig, Ursachenforschung zu betreiben – oft ist gewaltsames Verhalten von Eltern ihren Kindern gegenüber eine Folge von Überforderung, Ausweglosigkeit, Stress oder Druck.

Hier beginnt die Geschichte von Mirel aus Wien/Österreich, das als ungelöstes Rätsel in die Kriminalgeschichte eingegangen ist.

Mirels Mutter, ursprünglich aus Bosnien stammend, brachte Mirel 1998 zur Welt, nachdem sie aus vorangegangener Ehe bereits vier Kinder bekommen hatte. Anfang 1998 kam ihr späterer Freund aufgrund von Krieg vom ehemaligen Jugoslawien nach Österreich und sie lernten einander Anfang 1999 kennen. Zu jener Zeit war sie Bedienerin und Kellnerin. Im März jenen Jahres zog er bei ihr ein und während sie arbeitete, passte er auf das Kind auf. Später erzählte er, Mirel sei sehr anstrengend gewesen, habe oft geweint und Fieber bekommen. Gesundheitlich sei das Kind sehr schwach gewesen, sodass ihm die Mutter oft Tabletten und Zäpfchen hatte geben müssen.

Am Abend des 12. April 1998 brachte die Mutter Mirel mit Herz- und Atemstillstand ins Krankenhaus, nachdem ihr Freund sie angerufen und nach Hause gebeten hatte, weil er befürchtete, das Kind läge im Sterben. Bei der Einlieferung ins Krankenhaus befand sich Mirel bereits im Koma, sodass jede Hilfe zu spät kam. Am 14. April starb Mirel schließlich mit 13 Monaten in einem Kinderhospital an den Folgen von 30 Knochenbrüchen und einem Hirnödem.

Daraufhin wurde die Polizei verständigt. Bei der Obduktion wurden Verletzungen im Brustbereich, schwerste Misshandlungsspuren im Genitalbereich, innere Blutungen, eine Sprengung der Brustwirbelsäule sowie Serienrippenbrüche, Brand- und Stichwunden festgestellt, die mindestens vier verschiedenen Attacken von zum Teil zehn bis zwölf vergangenen Wochen oder älter zugeordnet werden konnten. Damit hatte Mirels junger Körper nach einem monatelangen Martyrium schließlich keine Kraft mehr, um länger zu kämpfen.

Mirels Mutter vermutete, dass ihr Kurzzeitfreund das Kind geschlagen und gequält haben musste, während sie gearbeitet hatte. Bereits eineinhalb Monate vor dem Vorfall hatte sie täglich blaue Flecke am Körper und im Gesicht des Kindes gefunden, von denen der Freund behauptet hatte, das Kind sei von der Bank gefallen oder habe sich beim Spielen verletzt. Dieser hatte sich nach dem Ableben des Kindes allerdings in sein Heimatland abgesetzt, sodass er dazu nicht befragt werden konnte. Die Mutter wurde festgenommen und später wegen „Wegschauens“ als Beitragstäterin zur Kindesmisshandlung zu fünf Jahren unbedingter Haft verurteilt, wovon sie aber tatsächlich nur zweieinhalb Jahre im Gefängnis verbrachte. Die übrige Zeit wurde auf Bewährung ausgesetzt.

Als den Fall 13 Jahre später eine andere Sachbearbeiterin bei der Anklagebehörde übernahm, fiel dieser einige Fehlhandlungen in der bisherigen Vorgehensweise auf. Bislang hatte man nach dem Kurzzeitfreund der Mutter mit nationalem Haftbefehl statt mit internationalem Haftbefehl gesucht, obwohl bekannt war, dass der Mann Familie in dem ehemaligen Jugoslawien hatte. Auf Anweisung der neuen Staatsanwältin wurde nach dem Kurzzeitfreund nun mit internationalem Haftbefehl gesucht. Am 22.07.2012 fand man ihn schließlich in seiner Heimat, wo er sich eine neue Existenz aufgebaut und eine Familie gegründet hatte. Er wurde festgenommen und schließlich nach Österreich ausgeliefert.

Dort wurde dem zu diesem Zeitpunkt 46jährigen Serben in Wien der Prozess wegen Quälen eines Unmündigen mit Todesfolge gemacht, wo der Strafrahmen bei ein bis zu zehn Jahre Haft liegt.

In Österreich bewertet das Strafgesetz den Wert eines Menschen nach dem Alter des Opfers und dem Geschlecht des Töters. Zudem wird der Tod eines Kindes – in Österreich wird hier nicht von Mord, sondern Körperverletzung mit Todesfolge gesprochen – weniger hart bestraft als der Tod eines Erwachsenen.

Vor Gericht wurden neben dem ursprünglich falschen Haftbefehl weitere diverse Pannen aufgedeckt: Der Gerichtsmediziner wies nach, dass rund die Hälfte der Verletzungen von Mirel, die man bei der Obduktion gezählt hatte, dem Kind zugefügt worden waren, als der Angeklagte noch gar nicht mit der Mutter zusammengewesen war. Bei der Hausdurchsuchung gefundene Beweismittel wie ein blutiger Männerslip und ein Babypyjama mit Blutflecken waren nie einer DNA-Analyse unterzogen oder aufbewahrt worden, so dass sie später hätten untersucht werden können. Doch selbst wenn diese Kleidungsstücke noch vorhanden gewesen wären, so wäre die Analyse irrelevant gewesen, da Kindesmisshandlung mit Todesfolge in Österreich nach zehn Jahren verjährt.

Zudem existierten seit 1995 bereits Vorwürfe gegen die Mutter wegen Vernachlässigung der Fürsorge und Körperverletzung, denen nie nachgegangen worden war. Mutter und Kind waren bereits lange vom Sozialen Dienst betreut worden und schienen unauffällig. Die möglicherweise zu dieser Zeit schon bestehenden Probleme waren nicht beunruhigend gewesen, dennoch hatten sich die Vorwürfe gehalten.

Der Angeklagte selbst schob bei seiner Vernehmung der Mutter die Schuld für Mirels Tod zu, die Angst gehabt hatte, das Kind würde zum Arzt kommen und ihr dann weggenommen werden, wenn jemand die Verletzungen des Kindes bemerkte. Für ihn sei das Kind wie ein Sohn gewesen, den er nie verletzt hätte.

Am 14.03.2013 wurde er vom Schöffensenat im Straflandsgericht vom Vorwurf der tödlichen Kindesmisshandlung wegen mangelnder eindeutiger Beweise freigesprochen. In den Augen des Gerichts war kein Tötungsvorsatz nachweisbar. Das Gericht sah es als erwiesen an, der Mutter im damaligen Verhör zu viel Glauben geschenkt und ihren Kurzzeitfreund als alleinigen Täter ins Visier genommen zu haben.

Auch der Zeugenauftritt der Mutter habe „zahlreiche Widersprüche“ ergeben, monierte die Richterin. Das Schicksal Mirels und „dass dagegen nicht gehandelt wurde“, sei „sehr bedauerlich“, meinte Öner: „Die Mutter wurde zur Verantwortung gezogen. Mehr war hier leider nicht zu erbringen.“ Quelle: http://tablet.krone.at/tablet/kmm__1/story_id__354757/sendung_id__488/story.phtml

Der Angeklagte brach bei Verkündung des Urteils in Tränen der Erleichterung aus.

Im Anschluss an die Verhandlung legte die Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch im Zweifel Rechtsmittel ein. Als das Urteil in schriftlicher Form vorlag, wurde die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch nicht ausgeführt, weshalb der Freispruch Rechtskraft erlangte. Somit bleibt die Täterschaft ungeklärt.