Mark und Mike

Das ist die Geschichte von Mark, zwölf Jahre alt und Mike, acht Jahre alt, aus Esslingen am Neckar (Baden-Württemberg). Die Brüder wurden am 22. Februar 2007 von ihrer Mutter erwürgt und erstochen.

Die zwei Brüder wohnten zusammen mit ihrer 33-jährigen Mutter im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses in Esslingen. Ihre Eltern hatten sich getrennt, doch der Vater lebte nur ein Stockwerk unter ihnen, zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin und dem gemeinsamen 5-jährigen Sohn.

Es war an einem Donnerstagmorgen. Mark und Mike gingen nach dem Einkaufen zusammen mit ihrer Mutter zu einem nahegelegenen Spielplatz. Es sollte ihr letzter Besuch auf einem Spielplatz sein. Das letzte Mal unter blauem Himmel herumtoben, das letzte Mal die Sonne auf der Haut spüren, das letzte Mal die Kindheit unbeschwert genießen. Die Brüder ahnten nicht, dass sie noch am gleichen Tag sterben sollten.

Zurück in der Wohnung holte sich die Mutter gegen 10.00 Uhr ein Antennenkabel, sowie aus der Küche ein Fleischermesser. Mark befand sich im Wohnzimmer, als sich seine Mutter von hinten anschlich. Mit dem Kabel schnürte sie ihm den Hals zu. Mark hatte keine Chance. Er versuchte noch etwas zu sagen, doch seine Mutter schnürte ihm weiter die Luft ab, bis er bewusstlos zu Boden sank. Sie streifte Marks Oberteil hoch und stach mit dem Messer sieben Mal in seine Brust. Die Einstiche waren bis zu vierzehn Zentimeter tief.

Mike spielte währenddessen im Kinderzimmer mit dem Gameboy, als sein Bruder ermordet wurde. Er hatte davon nichts mitbekommen und ahnte nicht, dass ihm das gleiche Schicksal bevorstand. Nur wenige Minuten nach Mark wurde auch er von seiner Mutter gewürgt und anschließend erstochen.

Der Vater der beiden Jungen kam gegen 17:30 Uhr von der Arbeit und wollte nach Feierabend seine Söhne besuchen. Als er seine Kinder leblos in der Wohnung vorfand, rief er sofort den Notarzt. Dieser konnte allerdings nur noch den Tod von Mark und Mike feststellen.

Nachdem die Mutter ihre Kinder aus dem Leben gerissen hatte, fuhr sie mit dem Bus in ein nahegelegenes Waldgebiet. Hier wollte sie Selbstmord begehen, indem sie sich Schnittverletzungen am Bauch und Hals zufügte. Ihr Suizidversuch missglückte jedoch. Sie verlor stattdessen nur das Bewusstsein und kam am nächsten Morgen wieder zu sich. Am Mittag fanden Spaziergänger die blutüberströmte Mutter und alarmierten die Polizei. Es bestand keine Lebensgefahr, aber die Schnittverletzungen mussten operativ behandelt werden. In einem Krankenhaus wurde sie noch am Nachmittag operiert und galt aufgrund dessen als nicht vernehmungsfähig. Einen Tag später wurde sie in ein Vollzugskrankenhaus verlegt und gestand schließlich den Mord an ihren Kindern.

Gerichtsurteil:
Gegen die Mutter wurde Haftbefehl wegen doppelten Mordes erlassen. Das Landgericht Stuttgart verurteilte sie zu elf Jahren Haft.

Während der Gerichtsverhandlung kam zum Vorschein, dass die Mutter ihre Kinder wegen einer für sie aussichtslosen Lebenssituation tötete.

Ihre Söhne liebte sie von ganzem Herzen und war stets eine fürsorgliche Mutter. Über die elfjährige Haftstrafe sagte sie, dass sie lebenslänglich verdient hätte.

Grund für ihre Verzweiflung war der Vater der Kinder. Er lebte mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen 5-jährigen Sohn nur einen Stock tiefer. Die Scheidung wurde jedoch erst nach Prozessende eingereicht.

Die Mutter von Mark und Mike widersprach ihrem Mann nie. Sie hatte Streit immer vermeiden wollen und ließ sich stattdessen von ihm kontrollieren und herumkommandieren. Sie putzte die neue Wohnung ihres Mannes, bevor dieser mit seiner neuen Lebensgefährtin dort einzog, sie passte oft auf deren kleinen Sohn auf und ließ sogar zu, dass die Geliebte einen teuren Zweitwagen von Daimler bekam. Sie hingegen hatte aus Geldmangel noch nicht einmal den Führerschein und musste mit zehn Euro pro Woche die Kinder und sich selbst ernähren. Sie ließ sich demütigen und sah keinen Ausweg aus diesem Psychoterror.

Handgreiflich wurde der Vater nie, setzte die Mutter jedoch lautstark mit Worten unter Druck und drohte ihr, die Kinder wegzunehmen. Sie hatte Angst vor ihm und hatte keine Kraft, sich ihm in den Weg zustellen. Stattdessen funktionierte sie wie eine Maschine. Ohne Emotionen und ohne dass es jemanden interessierte, wie es ihr ging. Da sie sich von ihrer Familie auseinanderlebte und keine Freunde hatte, war sie der Situation in ihren Augen hilflos ausgeliefert.

Gelernt hatte die Mutter den Beruf der Krankenschwester. Sie arbeitete in der Chirurgie, gab jedoch die Stelle auf, als sie schwanger wurde. Ihr Mann verdiente als LKW-Fahrer etwa 1.800 Euro. Das Geld reichte allerdings nicht für den Lebensunterhalt, sodass sie eine Putzstelle für 400 Euro annahm. Als man sie dort bei einem Diebstahl erwischte, wurde ihr gekündigt. Aus Angst vor ihrem Mann verschwieg sie, dass sie ihre Arbeit verloren hatte.

Der Vater war ein Kontrollfreak. Da er noch die Schlüssel zur oberen Wohnung besaß, konnte er diese Macht nutzen. Er trat ein, ohne zu klingeln oder zu klopfen. Respekt vor seiner Frau hatte er nicht. Er gab die Befehle; sie hatte zu hören und auszuführen. Widersprach sie oder klappte etwas nicht wie vorgesehen, schrie er sie an und drohte immer wiederkehrend mit der Wegnahme ihrer Söhne. War er nicht Zuhause, kontrollierte seine Lebensgefährtin, wann sie das Haus verließ und zurückkehrte.

Auch nach der Trennung verwaltete die Mutter auf Wunsch des Mannes sein Konto. Mit Geld konnte er noch nie umgehen, wie er selbst sagte. Er verwöhnte seine Kinder und neue Lebensgefährtin mit teuren Geschenken, obwohl das vorhandene Geld hierfür nicht reichte und an anderer Stelle dringend benötigt worden wäre. Daher war sie gezwungen, auf ihr Einkommen und ein Erbe von 15.000 Euro zu verzichten, damit ihr Mann sein Auto und das der Lebensgefährtin finanzieren konnte. Die zwei Daimler mussten in Raten abbezahlt werden.

Der psychische Zusammenbruch der Mutter begann schließlich wenige Tage vor dem Tod ihrer Kinder. Eine Autorechnung über die nächste Rate von 700 Euro stand an, doch die Familie hatte bereits kein Geld mehr. Ihr Mann zwang sie, die Verwandtschaft um Hilfe zu bitten. Keiner wollte oder konnte ihr das Geld leihen. Der Vater setzte ihr ein Ultimatum und verlangte das Geld bis zum Vormittag des 22. Februar 2007.

„Das ist deine letzte Chance, sonst kannst du unter der Brücke schlafen und ich nehme die Kinder.“
Quelle: Stern, 26. Oktober 2007

Ihre Gedanken kreisten nur noch um den Tod. Sie wollte sterben, aber die Kinder nicht zurücklassen.

„Es hat sich alles nur noch gedreht, ich kam da nicht mehr raus.“
Quelle: Stern, 26. Oktober 2007

Bevor sie Mark und Mike getötet hatte, quälten sie immer und immer wieder die gleichen Gedanken:

„Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Ich will nur noch meine Ruhe.“
Quelle: Stern, 26. Oktober 2007

Eine Gutachterin schilderte während der Verhandlung, dass der vorliegende Fall typisch sei für einen sogenannten erweiterten Suizid. Hierbei werden Familienmitglieder ohne deren Einverständnis mit in den Tod gerissen. Die Täter würden oft sozial isoliert leben und auch im Beruf keine Erfüllung finden. Der Hass richte sich gegen sie selbst. Die Familienmitglieder hingegen werden geliebt. Oft handle es sich um „schwache und überangepasste Menschen“
Quelle: Stern, 26. Oktober 2007

Die Tötung der Kinder gilt als Extremform des Widerstands gegen das jahrelange psychische Leid.