Marie

Das ist die Geschichte von Marie. Das Mädchen aus Harrislee musste sterben, weil sie sich schützend auf seine Mutter warf, die vom Vater erstochen wurde.

Marie wurde am 27.02.2001 als erstes und einziges Kind ihrer Eltern geboren. Sie wuchs in einem großen, luxuriösen Haus, in einer Gemeinde Norddeutschlands auf. Ihr Vater war selbstständig, beliebt, bekannt. Er galt als Lebemann, fuhr große und teure Autos, hatte Einfluss.

Doch er hatte auch eine impulsive, aggressive und herrschsüchtige Seite. Schlug seine Frau, schrie Kollegen und Geschäftspartner an, drohte ihnen. Er hatte Affären, die seine Frau zwangen, einer offenen Beziehung zuzustimmen – anderenfalls hätte er sich getrennt. Wie Marie mit und unter diesen Umständen lebte, war nicht recherchierbar. Der Vater hatte sich, auf Wunsch und mit Geld des eigenen Vaters, selbstständig gemacht. Doch seine Firma erbrachte nicht den Gewinn, den er für seinen Lebensstil benötigte. Er lieh sich Gelder, verschuldete sich immer mehr und geriet psychisch unter Druck.

Am 16.02.2009 forderte ein Geldgeber binnen 48 Stunden sein Geld zurück – 930.000€. Später gab der Mann bei der Vernehmung an, massiv bedroht worden zu sein. Man habe ihm gedroht, erst Marie qualvoll zu töten und wenn er dann noch immer nicht zahle – auch seine Frau und die Familien seiner Geschäftspartner. Diese Vorwürfe konnten nicht erhärtet werden. Die Geldeintreiber gaben an, dass sie an Familie und Umfeld des Vaters nicht interessiert gewesen wären. Nach der Unterhaltung mit dem Geschäftsmann fuhr der Vater mit Pfefferspray, Grillanzünder und Messern bewaffnet nach Hause. In seinem Geständnis gab er an, geplant zu haben, sich die Pulsadern aufzuschneiden, sich selbst mit dem Pfefferspray betäuben und das Auto anschließend in Brand stecken zu wollen. Tatsächlich aber                 nutzte er all jene Gegenstände, um seine Frau zu töten.

Er griff sie an, wollte sie lautlos und sauber durch Ersticken mit einem Kissen töten. Als diese sich jedoch mit Schreien, Tritten und Schlägen zu wehren versuchte, griff der Vater zu Pfefferspray und begann sie mit einem Messer zu attackieren. Über hundert Mal stach er zu.

Marie hörte die Schreie ihrer Mutter und versuchte sich schützend auf sie zu werfen. Dabei stach er auch auf das kleine Mädchen ein. Bei ihr wurden mehr als fünfzig Stiche festgestellt. Schnittverletzungen an Armen und Händen zeugten von einer immensen Gegenwehr, die das blond gelockte Mädchen geleistet hatte.

Als er Frau und Kind tot glaubte, legte er in seinem Haus Feuer und flüchtete mit dem Auto. Marie lebte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch. Sie starb an einer Kohlendioxidvergiftung durch die Rauchentwicklung.

Nachdem der Brand gelöscht und die erfolglose Reanimation der beiden Opfer abgebrochen wurde, schrieb die Polizei den Vater als dringend tatverdächtig zur Fahndung aus. Er konnte vier Tage später in einem Berliner Hotel festgenommen werden. Zuvor hatte er der Lokalzeitung seiner Heimat eine E-Mail mit dem Tötungsgeständnis und seinen Selbstmordabsichten geschickt, anhand derer er lokalisiert wurde. Sein Oberkörper und sein Hals wiesen 60 Schnittverletzungen auf, er überlebte jedoch.

Beisetzung:
Marie wurde mit ihrer Mutter gemeinsam in einem Grab beerdigt.

Gerichtsurteil:
Das Gericht verhandelte an 28 Tagen über den Fall. Es war einer der größten und längsten Mordprozesse Norddeutschlands.

Mehrere Gutachter, die den Vater befragten, untersuchten und bewerteten, kamen zu dem Ergebnis einer psychischen Störung, hervorgerufen durch den emotionalen und wirtschaftlichen Druck. Somit galt er als vermindert schuldfähig. Der Richter sprach – im Rahmen der verminderten Schuldfähigkeit – die Höchststrafe von 15 Jahren Haft aus. Der Mord geschah aus niederen Beweggründen und – im Fall seiner Ehefrau – aus Heimtücke.

Im Jahr 2011, nachdem der Prozess abgeschlossen und der Täter bereits im Gefängnis saß, kam der Fall Marie erneut vor Gericht. Die Eltern des Täters versuchten, ihr Erbe einzuklagen. Hierzu eine kurze Erklärung:

Die Mutter Maries besaß offensichtlich Besitztümer, die auf sie allein genannt waren. Nach ihrem und Maries Tod fielen diese ihren Eltern – also den Eltern der Mutter – zu. Die Eltern des Vaters gingen leer aus. Dies fochten sie an. Da Marie erst nach ihrer Mutter starb, fiel das Erbe zwischenzeitlich an sie. Nach Maries Tod stünde beiden Großelternpaaren nun je 50% der Erbmasse zu. Zwar starb Marie laut Todesurkunde VOR ihrer Mutter (hier wurde als Zeitpunkt das Ende der Reanimation eingetragen), während des Prozesses wurde jedoch deutlich, dass Marie noch lebte, als ihre Mutter bereits tot war. Diesen Umstand versuchten die Eltern des Vaters sich zu Nutze zu machen, um doch noch an die Gelder zu kommen.

Wie das Gericht entschied ist nicht bekannt.

Dieser Vorgang vervollständigt jedoch das Gesamtbild, das die Familie väterlicherseits während des Prozesses abgab.