Lea-Sophie

Das ist die Geschichte von Lea Sophie, die am 20. November 2007 in Schwerin im Alter von fünf Jahren starb.

Lea-Sophie kam im siebten Schwangerschaftsmonat auf die Welt, sie war ein Frühchen. Ihre Mutter fühlte sich mit der Versorgung des kleinen Mädchens überfordert, da Lea-Sophie sehr unruhig war und auch nicht richtig essen wollte. Daher verbrachten beide die ersten beiden Lebensjahre bei den Adoptiveltern der Mutter. Lea-Sophies Oma kümmerte sich viel um die Kleine, doch die leibliche Mutter und auch ihr Vater fühlten sich bevormundet und beschlossen im Frühjahr 2004 ihre eigene Wohnung in einem Hochaus zu beziehen. Die kleine Lea-Sophie nahmen sie mit. Die Wohnung wurde eingerichtet und auch Lea-Sophie erhielt ein schönes Kinderzimmer.

Doch das Leben der beiden Eltern lief nicht so wie erträumt. Lea-Sophies Mutter litt unter Verlustängsten, sie glaubte ständig, ihr Kind würde ihr weggenommen werden. Sie hielt sich vom Jugendamt, Erzieherinnen und auch Kinderärzten fern. Vom Kindergarten war Lea-Sophie längst abgemeldet worden.

Auch Lea-Sophies Vater kam mit dem neuen selbstständigen Leben nicht zurecht. Er suchte sich keine Arbeit, half nicht im Haushalt und mit seiner kleinen Tochter beschäftigte er sich kaum. Beide Eltern isolierten sich zunehmend von der Außenwelt. Lea-Sophies Mutter war unglücklich und unzufrieden, sie versuchte eine gute Hausfrau zu sein und war hauptsächlich damit beschäftigt, die Wohnung zu putzen. Lea-Sophies Vater schämte sich arbeitslos zu sein, er flüchtete sich in Computerspiele. Es kamen nie Freunde zu Besuch, beide verließen nur selten die Wohnung. Außer wenn die beiden Hunde, die ebenfalls mit in der Wohnung lebten, vor die Tür mussten. Lea-Sophie nahmen sie dabei nicht mit. Sie blieb alleine in der Wohnung zurück.

Lea-Sophie war ihren Eltern zu anstrengend. Ihr Vater war sehr streng zu ihr. So sollte sie zum Beispiel bereits im Alter von drei Jahren still sitzen und sich auch schon die Schuhe selbst zubinden. Lea-Sophie war nicht so, wie ihre Eltern es sich wünschten. Auch schafften sie es nicht, eine Bindung zu ihrer kleinen Tochter aufzubauen. Beide wurden immer unzufriedener mit ihrem Leben, vor allem mit Lea-Sophie.

Die Eltern stritten sich immer häufiger, dabei wurde es auch handgreiflich. Nachbarn beklagten sich über das Verhalten der beiden. Die Großeltern machten sich immer mehr Sorgen, auch weil Lea-Sophie immer weniger aß. Aber die Eltern wollten sich keine Vorschriften machen lassen, lehnten jede Hilfe ab.

Da Lea-Sophie wird immer dünner und unruhiger wurde, wendeten sich ihre Großeltern mit einem Brief am 02. November 2006 an das Jugendamt. Das Jugendamt schickte lediglich ein schriftliches Angebot für eine Beratung an die beiden Eltern, welche darauf nicht reagierten.

Als Lea-Sophies Eltern erfuhren, dass die Großeltern für die Mitteilung an das Jugendamt verantwortlich waren, erteilten sie ihnen Hausverbot. Im Juni 2007 sahen sie ihre Enkelin das letzte Mal und informierten auch noch einmal das Jugendamt.

Lea-Sophies Mutter wurde erneut schwanger. Ein Wunschkind. Doch Lea-Sophie verhiellt sich wieder nicht so, wie es sich ihre Eltern vorstellten. Schon in der Schwangerschaft war Lea-Sophie eifersüchtig auf ihr kleines Brüderchen. Mit der Geburt des Bruders im September 2007 wurde es schlimmer. Ihren Unmut darüber zeigte sie, indem sie sich wieder einnässte und Dinge durch die Gegend schmiss. Auch das Essen verweigerte sie zunehmend. Wahrscheinlich war das ihr Hilferuf nach Aufmerksamkeit und Liebe. Ihre Eltern aber wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Es herrschte kein harmonisches Familienleben, obwohl das der Traum der Eltern war.

Ein Nachbar rief am 12. November 2007 beim Jugendamt an. Er würde sich Sorgen um die Familie machen. Das Baby würde man nur abends, wenn die Mutter mit den Hunden rausginge, sehen und er vermutete, dass Lea-Sophie gar nicht mehr in der Wohnung leben würde. Daraufhin erschienen zwei Mitarbeiter des Jugendamtes vor der Wohnung, doch niemand öffnete. Beide gingen wieder, zurück ließen sie einen Brief. Am folgenden Tag, dem 13. November 2007 suchte Lea-Sophies Mutter das Jugendamt mit ihren kleinen Sohn auf. Lea-Sophie hatte sie nicht dabei, sie sagte den Mitarbeitern, Lea-Sophie sei bei Bekannten. Tatsächlich war Lea-Sophie aber allein daheim und verhungerte langsam in der Wohnung.

Am 20. November 2007 gingen die Eltern wieder einmal gegen Abend mit ihrem kleinen Sohn und den beiden Hunden spazieren. Lea-Sophie ließen sie wie immer in der Wohnung zurück. In dieser Zeit muss Lea-Sophie mit letzter Kraft versucht haben, in ihren Hochstuhl zu klettern. Denn als ihre Eltern wieder zurück kamen, fanden sie Lea-Sophie beinahe stranguliert an den Trägern ihrer Latzhose und leblos hängend im Hochstuhl. Lea-Sophies Vater rief umgehend, allerdings gegen den Willen von Lea-Sophies Mutter, den Notarzt. Die Mutter hatte Angst, dass man ihr die Kinder entziehen würde. Lea-Sophie wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie einige Stunden später an den Folgen der Mangelernährung und der zahlreichen Entzündungen an ihrem Körper starb.

Die Ärzte waren erschüttert über den Zustand der kleinen Lea-Sophie. Ihr Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen, sie hatte Hungerödeme und offene Wunden am Körper. Ihre Haare waren ihr büschelweise ausgefallen. Sie hatte Durchliegegeschwüre, die an Gesäß und Rücken bis zu ihren Knochen durchgedrungen waren. Es ist unwahrscheinlich, dass Lea-Sophie vor ihrem Tod noch laufen konnte. Vielmehr hat sie ihre letzten Wochen hockend oder liegend verbracht. Lea-Sophie muss unter unglaublichen Schmerzen gelitten haben. Die Windel, die Lea-Sophie trug, wurde wohl tagelang nicht mehr gewechselt, denn an ihrem Bauch sowie den Oberschenkeln wurden eingetrocknete Kotreste gefunden.

Die Obduktion von Lea-Sophie ergab, dass diese über Monate vernachlässigt worden war. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie nur 95 cm groß und wog nur noch 7,4 Kilo, so viel wie ein eineinhalbjährigen Kind. Ihr Oberarm hatte nur noch einen Durchmesser von 2,2 cm.

Insgesamt drei Hinweise erhielt das Jugendamt und dennoch wurde nie ein Versuch unternommen, Lea-Sophie zu Gesicht zu bekommen. Zu den Vorwürfen, für Lea-Sophies Tod mitverantwortlich zu sein, wollte sich das Jugendamt nicht äußern. Der Sozialdezernent von Schwerin sagte, dass dem Jugendamt kein Vorwurf zu machen sei, denn sie hätten sich an das vorgegebene Verfahren gehalten. Allerdings kam ein Sonderausschuss des Schweriner Stadtparlaments später zu einem anderen Ergebnis. Lea-Sophie könnte noch leben, wenn das Jugendamt sachgerecht gehandelt hätte.

Laut Aussagen der Eltern hatten sie immer wieder versucht, Lea-Sophie zum Essen zu bewegen, allerdings erfolglos. Lea-Sophies Vater erkannte zwar, dass seine Tochter möglicherweise sterben könnte, überließ aber die Verantwortung hierfür der Mutter. Diese wiederum hatte gehofft, Lea-Sophie würde irgendwann wieder etwas essen und auch, dass ihre Wunden heilen würden.

Beisetzung:
Eine Woche nach ihrem Tod wurde Lea-Sophie im engsten Familienkreis auf dem Waldfriedhof der Stadt Schwerin unter Anteilnahme von 30 Trauergästen beigesetzt. Ihre Eltern nahmen nicht an der Beisetzung teil. Die kirchliche Versöhnungsgemeinde in Schwerin-Lankow hatte Geld für den Grabstein für Lea-Sophie gesammelt. Auf diesem ist ein Bild von Lea-Sophie zu sehen und eine Widmung:
„Ich wollte leben so wie ihr, doch das Schicksal versagte es mir.“

Gerichtsurteil:
Die Staatsanwaltschaft forderte für beide Eltern eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Die Verteidigung jedoch beantragte die Haftstrafe auf acht Jahre zu begrenzen wegen Totschlags durch Unterlassen.

Schließlich wurden beide Eltern 2008 wegen Mordes durch Unterlassen zu einer Haftstrafe von elf Jahren und neun Monaten verurteilt.

Eine Mitschuld des Jugendamtes am Tod von Lea-Sophie wurde von der Staatsanwaltschaft verneint. Allerdings lagen insgesamt 46 Anzeigen gegen Mitarbeiter vor, welche im Anschluss an den Prozess geprüft werden sollten.

Gegen den Sozialdezernenten scheiterte ein Abwahlantrag, jedoch wurde er versetzt. Allerdings wurde der Oberbürgermeister durch einen Bürgerbescheid vorzeitig abgewählt.