Lara-Mia

Das ist die Geschichte von Lara-Mia aus Hamburg-Wilhelmsburg. Sie wurde nur neun Monate alt. Bei ihrem Tod in der Nacht vom 10. auf den 11. März 2009  wog das kleine Mädchen kaum noch 5 kg.

Die 18-jährige Mutter besuchte noch eine Berufsschule, als sie mit ihrem ersten Kind Lara-Mia schwanger wurde. Zu dieser Zeit lebte sie noch bei ihrem Vater, der sie allerdings aus der Wohnung warf, nachdem er von der Schwangerschaft erfahren hatte.

Lara-Mias Mutter war zudem bereits drei Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ebenso wie ihr Lebensgefährte, der leibliche Vater von Lara-Mia. Dieser wurde letztendlich zu einem Jahr Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt.

Noch während der Schwangerschaft trennte sie sich von dem Kindsvater und lernte einige Zeit später ihren drei Jahre älteren neuen Lebensgefährten kennen. Auch er war schon mit der Justiz wegen Diebstahl, Sachbeschädigung und Leistungserschleichung in Erscheinung getreten. Mit ihrem neuen Partner bezog die junge Frau eine gemeinsame 3-Zimmer-Dachgeschosswohnung, welche dem Paar vom Jugendamt zugeteilt worden war. Da Lara-Mias Mutter und ihr Lebensgefährte von Harz IV lebten, zahlte das Sozialamt die Einrichtung der neuen Wohnung.

Die Mutter brach zudem ihre Schule ab, um sich, wie sie später aussagte, voll und ganz um die Versorgung ihrer kleinen Tochter kümmern zu können. Weiterhin habe sie sich von Bekannten getrennt, die einen schlechten Einfluss auf sie hätten, weil sie Drogen konsumierten oder anderen Mist bauten.

Das Jugendamtes sorgte auf Grund der schwierigen Familienverhältnisse dafür, dass die Familie von einer Betreuerin für fünf Stunden wöchentlich aufgesucht wurde. Das Paar schilderte die Betreuerin im Umgang mit Lara-Mia als sehr liebevoll. Beide würden auf die Bedürfnisse des kleinen Mädchens eingehen und auch die Wohnung sei in einem sauberen Zustand.

Die Tante von Lara-Mia hingegen informierte mehrere Male das Jugendamt sowie den Kinder- und Jugendnotdienst. Bei Besuchen sei ihr aufgefallen, dass ihre kleine Nichte nur sehr schlecht bis gar nicht versorgt wurde. Lara-Mia habe immer alleine in ihrem Bett gelegen, ihre Mutter habe sie kaum heraus genommen, wäre kaum mit ihr nach draußen gegangen und habe lieber am PC gesessen. Ihre Tiere, wie ihren Hundewelpen, Ratte und Hase hätte sie besser versorgt, mit diesen hätte sie auch einen Tierarzt aufgesucht. Mit ihrer kleinen Tochter aber hätte sie rein gar nichts unternommen.

„…die Mutter… nahm Lara nie in den Arm und küsste sie, sie setzte ihr bei der Kälte nicht mal ein Mützchen auf. Im Schrank lagen nur drei schmutzige Strampelanzüge. Sie wusste nicht einmal, dass Babys zum Brei etwas trinken müssen.“ Quelle: Bild, 12.06.2010

Letztendlich kam es soweit, dass die Tante bei Besuchen die Kleine nicht mehr zu Gesicht bekam.

Lara-Mia wurde von ihrer Mutter auch nicht mehr zu den Vorsorgeuntersuchungen gebracht. Die Betreuerin der Familie, welche acht Tage vor Lara Mias Tod noch einmal die Familie aufgesucht hatte, erkannte nicht den kritischen Zustand des kleinen, nunmehr völlig abgemagerten Mädchens.

Obwohl Lara-Mutter selbst gegenüber der Betreuerin anmerkte, dass sie mit Lara-Mia einen Arzt aufsuchen wolle, winkte die Betreuerin ab. Sie teilte der Mutter mit, dass sie jetzt erst einmal in den Urlaub fahren würde. Im Anschluss daran könne man dann gemeinsam einen Arzt aufsuchen.
Acht Tage später, es war der 11. März 2009, wurde die Mutter von ihrem Hund geweckt und ging mit diesem Gassi. Nach ihrer Rückkehr schaute sie nach Lara-Mia und fand ihre Tochter leblos in ihrem Bettchen vor. Sie alarmierte den Notarzt.

Die eingetroffenen Rettungskräfte und die Polizisten fanden ein nacktes, völlig abgemagertes kleines Mädchen vor, welches auf dem Teppichboden lag. Für Lara-Mia kam jede Hilfe zu spät. Da bei Lara-Mia bereits die Leichenstarre eingesetzt hatte, wurde vermutet, dass sie bereits am Vorabend verstorben war. Die Wohnung wurde als verdreckt und unsauber beschrieben, überall habe Müll herumgelegen. Im Kinderzimmer sei Fäkaliengeruch festgestellt worden, auf dem Kinderbett sowie auf dem Boden hätten benutze Windeln und durchnässte Strampler gelegen. Die Matratze des Kinderbettes sei nicht bezogen gewesen, sowie fleckig und verdreckt.

Zum Zeitpunkt ihres Todes wog Lara-Mia im Alter von neun Monaten nur 4,8 kg. In diesem Alter hätte sie mindestens das Doppelte wiegen müssen. Nach abschließender Obduktion konnte aber ein plötzlicher Kindstod nicht ausgeschlossen werden. Ein Gutachter gab allerdings später an, dass die chronische Mangelernährung von Lara-Mia sehr wahrscheinlich die Ursache für ihren Tod gewesen sei.

Beisetzung:
Am 02 April 2009 wurde Lara-Mia in Hamburg beigesetzt. Nur 20 Trauergäste kamen, um von dem kleinen Mädchen Abschied zu nehmen.

Gerichtsurteil:
Im Juni 2010 mussten sich Lara-Mias Mutter und ihr Lebensgefährte vor dem Landgericht Hamburg wegen Totschlag durch Unterlassen, Misshandlung von Schutzbefohlenen, gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen und Verletzung der Führsorgepflicht verantworten. Den beiden wurde zur Last gelegt, Lara-Mia die spätestens ab Februar 2009 lebensgefährlich abgemagert war, nicht ausreichend ernährt zu haben.

Am 16. Juli 2010 verurteilte die Jugendkammer des Landgerichts Hamburg die Mutter zu zwei Jahren auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sowie Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Der Lebensgefährte wurde zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Fürsorge- sowie Erziehungspflicht verurteilt.

Gegen diese Urteile legte die Staatsanwaltschaft erfolgreich Revision ein. Im Sommer 2010 wurden die Urteile durch den Bundesgerichtshof in Leipzig aufgehoben. In der Begründung hieß es, dass die Urteile rechtsfehlerhaft gewesen seien, Beweise nicht ausreichend berücksichtigt worden waren und in einem erneuten Prozess Mutter und Lebensgefährte nicht wieder so glimpflich davon kommen dürften.

Weiterhin wurde angemerkt, dass das Landgericht Hamburg der Mutter und ihren Lebensgefährten allzu leichtfertig zugebilligt habe, dass sie den drohenden Tod von Lara-Mia nicht erkannt hätten. In dem Urteil wurde der Notruf der Mutter als strafmildernd bewertet, wobei ihre Tochter zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr am Leben war. Es sei ein sinnloser Anruf gewesen, welchen die Hamburger Richter aber als Rücktritt von einem versuchten Totschlag gewertet hatten.

Für den Lebensgefährten dürfte eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht nicht wieder in Frage kommen, denn:

„Als der Fall richtig dramatisch wurde, da war er längst erwachsen.“
Quelle: Hamburger Abendblatt

Auch eine Bewährungsstrafe für Lara-Mias Mutter sollte im zweiten Verfahren nicht wieder in Betracht gezogen werden.

Im November 2011 wurde die Mutter zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Fürsorgepflicht nach Jugendstrafrecht verurteilt.

In zweiten Prozess zeichneten Zeugen kein gutes Bild von ihren Mutterqualitäten. Sie habe, so die Zeugen, keine Muttergefühle für Lara-Mia gezeigt, das Mädchen den ganzen Tag in einer Wippe liegen lassen, ihrem Baby keine Zärtlichkeiten zukommen lassen und sei, sobald Lara-Mia angefangen habe zu schreien, raus auf den Balkon gegangen, um dort eine Zigaretten zu rauchen. Gefüttert habe sie ihr Kind nur abends, dann habe sie Lara-Mia regelrecht mit Essen vollgestopft, so lange bis sie sich erbrach.

Das Gericht kam zu der Erkenntnis, dass die Mutter gegenüber ihrer kleinen Tochter einfach nicht die nötige Energie und Geduld aufbringen konnte, um diese ausreichend zu versorgen. Schließlich habe sie sich damit abgefunden, dass ihre Tochter sterben könnte.

Gegen dieses Urteil hatte die Mutter noch Revision eingelegt, welche jedoch vom Bundesgerichtshof als unbegründet verworfen wurde. Somit war das Urteil rechtskräftig.

Wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen verhängte das Amtsgericht Harburg im Sommer 2010 einen Strafbefehl gegen die zuständige Sozialarbeiterin. Sie musste 2.700 Euro Strafe zahlen. Hiergegen legte diese auch keinen Widerspruch ein, sodass die Geldstrafe rechtskräftig war. Es hatte keine Verhandlung darüber stattgefunden, welche Rolle der Sozialarbeiterin in dieser Tragödie zugekommen sei. Lediglich ging es darum, mit dem verhängten Strafbefehl das Verfahren zu beenden.

Auf Grund der Verhandlungsunfähigkeit des Lebensgefährten wurde sein Prozess von dem der Mutter abgetrennt. Im November 2016 war er dann wieder verhandlungsfähig und der Prozess begann. Im Januar 2017, also acht Jahre nach Lara-Mias Tod, wurde auch er zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen versuchtem Totschlag durch Unterlassen, gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Fürsorgepflicht verurteilt.

In der Urteilsbegründung sagte der Richter:“Spätestens einen Monat vor dem Tod erkannte der Angeklagte, dass das Kind ohne ärztliche Hilfe sterben könnte.“