Die Geschichte von Kevin aus Bremen beginnt am 23. Januar 2004 mit seiner Geburt und endet im Jahr 2006 mit seinem Tod. Kevin wurde nur zwei Jahre alt. Viele Menschen waren für seinen Tod verantwortlich. Behörden, Nachbarn und allen voran sein Vater. Niemand konnte oder wollte dem kleinen Jungen helfen, obwohl es unübersehbar war, dass Kevins Leben von Gewalt und Vernachlässigung geprägt war.
Kevins Mutter begann bereits im Alter von zwölf Jahren Drogen und Alkohol zu konsumieren. Um sich ihre Drogensucht finanzieren zu können, verübte sie immer wieder Straftaten, auf Grund derer sie mehrere Jahre im Gefängnis verbrachte. Sie versuchte mehrmals, der Drogensucht zu entkommen, mit Hilfe von Therapien. Neben ihrer Abhängigkeit war sie zudem HIV-positiv.
Kevins Vater begann ebenfalls sehr früh, im Alter von dreizehn Jahren, Drogen und Alkohol zu sich zu nehmen. Auch sein Vorstrafenregister war erheblich und auch er wurde mehrfach verurteilt und verbrachte insgesamt dreizehn Jahre in Haft. Seine letzter Haftaufenthalt endete im Dezember 2002.
Das Paar, deren Leben von Alkohol, Drogen und Strafttaten geprägt war, zog im Oktober 2003 zusammen.
Die mittlerweile 35-jährige Mutter brachte am 23. Januar 2004 ihr erstes Kind zur Welt. Der kleine Junge erhielt den Namen Kevin.
Kevins Start ins Leben war kritisch und auch die Familiensituation, in die er hineingeboren worden war. Nach seiner Geburt musste Kevin fünf Wochen lang künstlich beatmet werden, bis sich sein Zustand stabilisierte.
Anfang Februar 2004 fand im Klinikum Bremen-Nord eine Besprechung zwischen dem Oberarzt, einer Krankenschwester, einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes der Klinik, einer Familienhebamme, einem Vertreter des Suchtvereins, einer Mitarbeiterin des AK Kommunale Drogenpolitik und Kevins Eltern statt. Grund dieser Besprechung war die Klärung der Frage, ob die Eltern in der Lage seien, Kevin versorgen zu können.
Mitte Februar 2004 fand eine erneute Besprechung aller Beteiligten statt. Das Klinikum hatte Bedenken, ob die Mutter ihr Kind adäquat betreuen könne. Ebenso die Familienhebamme, die es nicht befürwortete, Kevin in die Obhut seiner Eltern zu übergeben. Der Vertreter des Suchtvereins sprach sich für eine Überlassung von Kevin in die Obhut seiner Eltern aus, allerdings unter engmaschiger Betreuung. Andere Beteiligte, wie die Drogenbetreuerin der Mutter sprachen sich dafür aus, Eltern und Kind nicht zu trennen.
Die junge Familie sollte eine Chance erhalten. Falls sich herausstellen sollte, dass es Probleme geben würde, sollte Kevin von seinen Eltern getrennt werden. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellen sollte, gab es Probleme, viele Probleme und es blieb nicht bei der dieser einen Chance.
Am 09. März 2004 wurde Kevin aus der Klinik entlassen. Eine Betreuung/Unterstützung seitens des Jugendamtes fand nicht statt. Erst nach einem Hinweis des substituierenden Arztes der Eltern, dass die Familie dringend Hilfe benötige, erhielt die Familie im Mai 2004 ein schriftliches Hilfsangebot seitens des Amtes für Soziale Dienste. Dieses wurde jedoch von Kevins Eltern abgelehnt und es fand somit weiterhin keine Betreuung statt. Obwohl bereits in der Geburtsklinik festgestellt worden war, dass es sich um eine Problemfamilie handelte, wurde es bei einen Hilfsangebot belassen und der zuständige Beamte, im weiteren Verlauf auch „Sachbearbeiter“ genannt, intervenierte nicht weiter.
Kevin war noch keine acht Monate alt, als es sodann Hinweise darauf gab, dass er Misshandlungen ausgesetzt war. Am 03. August 2004 wurde die Polizei informiert. Zeugen gaben an, die Mutter drogenberauscht und gewälttätig gegenüber ihrem kleinen Sohn spät Abends um 22 Uhr angetroffen zu haben. Die Mutter wies die ihr zur Last gelegten Anschuldigungen gegenüber den Polizeibeamten allerdings zurück. Im anschließenden Polizeibericht wurde vermerkt, dass die Mutter bereits öfter des Konsums von Betäubungsmitteln auffällig gewesen sei und:
„…es erscheint zweifelhaft, ob die Frau in der Lage ist, bei ihrem Kind eine sozialadäquate Erziehung zu gewährleisten, wenn sie Abends gegen 22 Uhr mit ihrem Säugling betrunken durch die Strassen spaziert.“
Auch der Sachbearbeiter erhielt diesen Bericht. Dieser kontaktierte daraufhin den substituierenden Arzt der Familie, der den Sachbearbeiter im Mai kontaktiert hatte. Er schilderte diesem, dass die Familie angebotene Hilfe abgelehnt hätte, der Polizeibericht aber bedenklich sei. Er hoffe, dass der Arzt noch einmal auf die Mutter einwirken könne.
Einige Tage später erschienen dann Kevins Eltern bei dem Sachbearbeiter. Sie versicherten ihm, dass sie auch weiterhin keine Hilfe benötigen, dass es ihnen gut gehen würde. Das Gespräch endete mit der Vereinbarung, dass der Sachbearbeiter die Familie „in absehbarer Zeit“ einmal persönlich aufsuchen werde.
Dieser Besuch fand dann auch statt. Allerdings erst am 08. Oktober 2004. In der Wohnung traf der Sachbearbeiter jedoch nur den Vater an. Dieser informierte ihn darüber, dass sich Mutter und Sohn seit Ende September in einer Kinderklinik befinden würden. Er erzählte dem Sachbearbeiter, Kevin hätte Frakturen am Bein und den Rippen. Die Beinverletzung wäre aber darauf zurückzuführen, dass Kevin mit seinem Beinchen zwischen den Sprossen seines Kinderbettchens hängen geblieben sei. Die Verletzung seiner Rippen wären wohl entstanden, als die Nachbarin, die angetrunken gewesen sei, Kevin auf dem Arm hatte und zu fest gedrückt hätte. Er betonte gegenüber dem Sachbearbeiter, dass er aber auch Kevins Mutter, ihrem Sohn niemals etwas antun würden. Während des Gespräches sah sich der Sachbearbeiter auch die Wohnung der Familie an und empfand diese als aufgeräumt und vor allem das Kinderzimmer sei liebevoll hergerichtet gewesen.
Drei Tage später fand ein Telefonat zwischen dem Sachbearbeiter und der Stationsärztin der Kinderklinik statt. Es wurde mitgeteilt, dass bei Kevin Schädel- und Rippenverletzungen diagnostiziert worden seien. Wann diese Frakturen entstanden seien und wer Kevin diese zugefügt habe, konnte nicht festgestellt werden. Weiterhin wurde erwähnt, dass sich die Mutter während des Aufenthaltes auf der Kinderstation ganz vorbildlich um ihren Sohn gekümmert habe. Es wurde aber auch angeraten, eine ambulante Hilfe zur Verfügung zu stellen.
Nach diesem Telefonat gab es zwischen dem Sachbearbeiter und Kevins Vater ein Gespräch. Der Sachbearbeiter informierte den Vater über die Aussagen der Kinderklinik. Der Vater versicherte, er wolle sich um Hilfe bemühen. Sodann kontaktierte der Sachbearbeiter die Familienberatung, damit diese sich der Familie annehmen sollte. Auch kam noch einmal der Einsatz einer Familienhebamme in der Familie auf.
Zum Einsatz einer Familienhebamme ist es nie gekommen, da es schlichtweg an Kapazitäten fehlte, wie ein Vermerk des Sachbearbeiters dokumentierte. Auch zur Familienberatung war es nicht gekommen, da der Vater einige Tage später dem Sachbearbeiter mitteilte, er möchte von diesem Hilfsangebot Abstand nehmen.
Nur ein Termin mit einem Mitarbeiter der „Frühen Hilfen“ konnte durch Aktivität des Sachbearbeiters Ende Oktober 2004 mit der Familie realisiert werden. Hier wurde seitens des Vaters festgehalten, dass der Mitarbeiter der Frühen Hilfe mit der „Gesamtsituation zufrieden“ gewesen sei und ein dauerhafter Betreuungseinsatz in sechs Wochen erfolgen würde. Weiterhin würde Kevin nun einmal in der Woche in einer Klinik untersucht werden.
Doch schon am 23. November 2004 wurde gegen Kevins Mutter von der Polizei Bremen eine Strafanzeige wegen Verletzung der Fürsorgepflicht gestellt. Man habe diese im Hausflur des Wohnhauses schlafend und alkoholisiert aufgefunden. Kevin habe neben ihr weinend auf dem Boden gelegen. Kevin war, so die Beschreibungen, verdreckt gewesen und war viel zu leicht, im Hinblick auf die Witterungsverhältnisse, gekleidet gewesen. Er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Anschließend, vom 24. bis 29. November 2004, wurde er in einem Kinderheim untergebracht.
Kevins Eltern hatten sich underdessen an ihren Methadon verschreibenden Arzt gewandt. Dieser kontaktierte das Amt für „Soziale Dienste“ und teilte mit, dass die Eltern ihren Sohn wiederhaben möchten. Das Amt notierte weiterhin, dass der Arzt keinen Grund sehen würde, Kevin seinen Eltern vorzuenthalten, „es gäbe viele alkoholisierte Mütter“.
Das Amt informierte allerdings das Kinderheim, Kevin nicht seiner Mutter zu übergeben. Am frühen Morgen des 25. November 2004 trafen Kevins Eltern zusammen mit ihrem substituierenden Arzt im Kinderheim ein. Der Arzt legte dort ein Attest vor, welches dem Vater bescheinigte, regelmäßig in seiner Praxis vorstellig zu sein und das er keine anderen Drogen einnehmen würde. Er bekäme nur sein Substitutionsmittel. Somit wäre er absolut in der Lage, sich um Kevin zu kümmern.
Dieses Attest wurde selbstverständlich auch dem Amt für Soziale Dienste weitergeleitet. Die Mutter gab sich reuevoll, weinte und bereute den Vorfall vom 23. November 2004. Letztendlich wurde entschieden, dass Kevin, unter der Voraussetzung, dass die Eltern einer sechswöchigen Hilfsmaßnahme zustimmen würden, ihren Sohn wieder in Obhut nehmen könnten.
Dem stimmten die Eltern zu und somit wurde Kevin am 29. November 2004 wieder seinen Eltern zurückgeführt.
Am 04. Januar 2005, zum Ende der sechswöchigen Hilfsmaßnahme fand eine Abschlussbesprechung statt. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass Kevin in seiner Familie sicher sei, die Eltern sich sehr kooperativ und interessiert gezeigt hätten. Sie hätten sich Kenntnisse darüber angeeignet, wie man mit einem Kind umzugehen und welche Bedürfnisse ein Kind habe. Die Prognose war positiv, das Ziel galt als erreicht, auch im Hinblick darauf, dass Kevins Mutter erneut schwanger war und in wenigen Monaten ihr zweites Kind zur Welt bringen sollte.
Kaum zwei Wochen später wurde der Vater beim Amt für Soziale Dienste vorstellig. Er habe Angst, man könne ihm erneut Kevin wegnehmen, da die Mutter eine Straftat begangen hätte und erneut Alkohol konsumiert habe.
Nur Tage später erhielt das Amt einen Gefährdungshinweis des Kinderarztes. Kevin hätte erheblich abgenommen und wäre extrem blutarm. Den angesetzten Kontrolltermin habe die Familie nicht wahrgenommen. Es wurde klar bekundet, dass man hier eine Kindeswohlgefährdung sehen würde.
Ein erneutes Gespräch zwischen Kinderarzt und Sachbearbeiter fand am 15. Februar 2005 statt. Der Kinderarzt bestätigte erneut, dass Kevin abgenommen habe und das in der Zeit von Mitte Januar bis Anfang Februar als die Mutter im Krankenhaus gewesen sei und der Vater allein die Fürsorge für Kevin übernommen habe.
Am 16. Februar, teilte der Kinderarzt dem Sachbearbeiter mit, die Eltern seien nun mit Kevin vorstellig geworden. Kevin würde es gut gehen, er habe auch wieder zugenommen.
Auf Grund der Straftat der Mutter setzte sich die Staatsanwaltschaft mit dem Sachbearbeiter in Verbindung und bat um Mitteilung über die familiäre Situation. Der Sachbearbeiter schilderte, auch im Hinblick auf die letzte Mitteilung des Kinderarztes, eine positive Situation. Daraufhin sah die Staatsanwaltschaft von rechtlichen Sanktionen gegen die Mutter ab.
Ende Mai 2005 brachte Kevins Mutter ihr zweites Kind tot zur Welt. Ende Juni 2005 erhielt der Sachbearbeiter die Mitteilung, dass die „Frühen Hilfen“ keinen Kontakt mehr zu der Familie hätten.
Im Gesamten sind die Geschehnisse nicht vollständig nachvollziehbar und damit auch nicht wiederzugeben bzw. zu rekonstruieren. Sicher ist, dass die Familie noch einmal eine Entgiftung durchlaufen sollte. Diese sollte Mitte Juli beginnen. Weshalb dies verordnet worden war, wo doch die Prognose so „vielversprechend und positiv“ schien, ist unklar.
Dokumentiert ist weiterhin, dass Kevins Vater am 14. Juni 2005 wegen räuberischen Diebstahls im Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von achtzehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden ist.
Die Familie trat ihren Entzug nicht zum vereinbarten Termin an. Stattdessen ging am 18. Juli 2004 eine Meldung der Polizei über einen Einsatz bei der Familie beim Amt ein. Der Vater habe die Beamten informiert, dass die Mutter völlig neben sich stehe und er nicht mehr weiter wisse. Die Wohnung sei beim Eintreffen der Beamten in einem absolut desolaten Zustand gewesen, ebenso wirkten die gesamten Lebensverhältnisse chaotisch. So sei auch der Vater alkoholisiert gewesen, habe die Mutter im Beisein von Kevin, der inzwischen siebzehn Monate alt war, als Schlampe beschimpft und ihr vorgeworfen, sie würde Kevin einfach allein lassen, damit sie sich Alkohol besorgen können. Letzt endlich lies der Polizeibericht nicht erkennen, dass sich die positive Prognose bewahrheitet hätte. Im Gegenteil: der Bericht gab an, dass die Situation in dem Haushalt zum Nachteil von Kevin sei. Es sei auch davon auszugehen, dass ein Elternteil immer unter dem Einfluss von Alkohol stehen würde, eine Versorgung von Kevin würde dabei nicht gewährleistet sein. Kevin sei von Kopf bis Fuß völlig verdreckt gewesen, seine Windel durchnässt.
Im Folgenden fand am 19. Juli 2005 ein Besuchstermin statt. Die Mitarbeiterin des Sozialzentrum konnten keine Kindeswohlgefährdung feststellen. Die Mutter leide noch sehr unter dem Verlust ihres zweiten Kindes und der Vater hätte augenscheinlich die Versorgung von Kevin übernommen. Die Eltern sollten sich lediglich weiterhin um ihren Platz für die Entgiftungskur bemühen. Es bestünde allerdings kein Anlass, Kevin aus der Obhut seiner Eltern zu nehmen.
Sechs Tage später erhielt der Sachbearbeiter den Polizeibericht vom 18. Juli 2004. In diesem Bericht schilderte die Polizei den Grund ihres Einsatzes bei der Familie. Anlass sei ein lautstarker Streit gewesen und in Folge dessen hätte eine Bewohnerin des Hauses die Polizei verständigt. Die Polizeibeamten trafen die Mutter, die unter Alkoholeinfluss stand, auf der Strasse an. Sie dementierte gegenüber den Beamten etwaige Schwierigkeiten und suchte sodann mit den Beamten die Wohnung auf. In der Wohnung hätte sich der emotional aufgeladene Vater befunden. Dieser sei aufgebracht über den erneuten Alkoholkonsum der Mutter gewesen und dass sie dadurch Kevin wieder vernachlässigt habe. Kevins Mutter wurde in Gewahrsam genommen, auch um weitere Streitigkeiten der Eltern zu vermeiden. Später am Abend erschienen noch einmal Beamte in der Wohnung. Inzwischen hatte sich Kevins Vater wohl beruhigt, hatte Kevin etwas zu essen gegeben und ihn schlafen gelegt. Gegenüber der Polizei schilderte der Vater die Probleme der Mutter, dass diese seit der Totgeburt ihres zweiten Kindes täglich alkoholisiert wäre und er sich dadurch nicht so um seinen Sohn kümmern könne, wie es nötig wäre. Auf Grund all der Probleme hege er der Absicht, sich von der Kindsmutter zu trennen. Erwähnt wurde auch in dem Bericht, dass der Vater zu aggressivem Verhalten neigen würde und auch gewalttätig gegenüber der Kindsmutter sei, gerade wenn diese wieder alkoholisiert wäre.
Obwohl der Polizeibericht detailiert die problematischen Umstände schilderte, in welcher Kevin lebte, notierte der Sachbearbeiter, dass sich die Familienverhältnisse wieder gebessert hätten. Die Streitigkeiten der Eltern wären beigelegt worden. Die angestrebte Kur würde in wenigen Tagen beginnen und sei über einen Zeitraum von drei Wochen angedacht. Eventuell erfolge im Anschluss sogar eine Verlängerung.
Anfang August teilte der Vater dem Sachbearbeiter mit, dass er und Kevins Mutter in der Kur angekommen seien. Nach Abschluss dieser Kur wolle man Bremen verlassen und in die Nähe von Alfeld ziehen, wo seine Mutter lebte. Er erhoffte sich von ihr Unterstützung. Eine weitere Mitteilung folgte am 24. August 2005. In dieser informierte der Vater den Sachbearbeiter darüber, dass die Kur beendet und man nun wieder in Bremen sei.
Am 12. November 2005 war abermals die Polizei vor Ort bei der Familie. Kevins Mutter wird leblos aufgefunden. Der Vater zeigte sich agressiv, versuchte sogar die Versuche, Kevins Mutter zu retten, zu erschweren. Die Notärztin konnte im Anschluss ein Fremdverschulden am Tod der Mutter nicht ausschließen, auch die Todesursache konnte sie nicht benennen. Da sich der Vater nicht beruhigte, wurde er in eine Klinik zwangseingewiesen. Kevin wurde wieder in die Obhut des Kinderheimes übergeben.
Das Kinderheim vermerkte in seinem Aufnahmebericht den Zustand von Kevin. Kevin sei ausreichend ernährt, aber zu leicht. Seit November 2004 hätte er lediglich 500g zugenommen, was bedenklich sei. Er wäre nicht altersgerecht entwickelt und deutlich zurückgeblieben, was die Motorik betreffen würde. Er zeige wenig Emotionen, weine lautlos, lache wenig und auf Anrede würde er nur verzögert reagieren. Er würde sich angstlich und unsicher zeigen, wäre am spielen interessiert, aber könne dies nicht, da er, was dies betreffen würde, keinerlei Erfahrungen habe. Sein Ausdruck im Gesicht sei stets gleichbleibend, so als würde er eine Maske tragen. Im Hinblick auf seinen Vater würde er emotionslos reagieren.
Einen Tag später besuchte der Vater, unter Einfluss von Drogen oder aber auch Medikamenten, seinen Sohn im Kinderheim. Er wolle Kevin in ein paar Tagen abholen und zu seiner Mutter fahren. Der Sachbearbeiter wies sodann das Kinderheim an, Kevin nicht seinem Vater zu übergeben. Ein Mitarbeiter für Amtsvormundschaft des Sozialen Dienstes sprach eine Empfehlung dahingehend aus, beim Amtsgericht einen Antrag zu stellen, die Vormundschaft für Kevin dem Jugendamt zu übertragen.
Das Familiengericht bestellte, nachdem der Sachbearbeiter den Antrag auf Übertragung der Vormundschaft gestellt hatte, das Jugendamt am 17. November 2005 zum Vormund für Kevin.
Am 21. November 2005 kündigte der Vater gegenüber dem Sozialarbeiter an, dass er Kevin sobald als möglich wieder haben möchte. Er wolle noch an diesem Tage die Klinik, in die er eingewiesen worden war, verlassen.
Dem Vater wurde mitgeteilt, dass hier Rücksprache mit dem Amtsvormund erfolgen müsse. Nach erfolgter Rücksprache wurde notiert, dass der Amtsvormund einer Rückführung nicht im Wege stehe. Ebenfalls wurde mit dem Arzt, der den Vater mit Methadon behandelte, gesprochen. Laut einem Vermerk in den Akten wurde hier diesbezüglich festgehalten, dass dieser Arzt eine Rückführung von Kevin zu seinem Vater befürworten würde. Auch der Arzt, der den Vater nach der Zwangseinweisung in der Klinik behandelt hatte, sprach sich für eine Rückführung aus. Allerdings wurde festgehalten, dass eine Fallkonferenz erfolgen solle. Noch am selben Tag wurde auch der Leiter des Sozialzentrums Gröpelingen durch den Sozialarbeiter kontaktiert. Auch dieser war der Meinung, dass Kevin zu seinem Vater zurückgeführt werden sollte, damit beide dann bei Kevins Oma leben konnten.
Das Kinderheim teilte diese Einschätzung nicht. Eine Mitarbeiterin hatte kein gutes Gefühl, wenn der Vater mit Kevin wieder allein gelassen werden würde. Der Leiter der Einrichtung zeigte sich entsetzt über die Absicht, Kevin wieder in die Obhut seines Vaters zu übergeben. Es wurde notiert, dass der Leiter den Vater als nicht erziehungsfähig einschätzte.
Auch mit Kevins Kinderarzt wurde gesprochen. Dieser befürwortete die Rückführung ebenfalls nicht. Er führte die Knochenbrüche an, die Kevin erlitten hatte welche auf „grobes Verhalten“ des Vaters zurückzuführen seien. Zudem sei die Gewichtsabnahme von Kevin und die unregelmäßige Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen als bedenklich einzustufen.
Was die Vorsorgeuntersuchungen betraf, vermerkte der Sachbearbeiter in seiner Akte, dass der substituierende Arzt des Vaters festgestellt hätte, dass das Vorsorgeheft ordnungsgemäß geführt worden sei.
Dem Vater wurde sodann angeraten, bei Gericht die elterliche Sorge zu beantragen. Der Amtsvormund wollte sich am 24. November 2005 mit dem Vater zu einen Gespräch diesbezüglich zusammenfinden.
Mit der Mutter des Vaters wurde ebenfalls Kontakt aufgenommen und nachgefragt, ob das Vorhaben des Vaters, in ihre Nähe zu ziehen, denn auch den Tatsachen entsprechen würde. Dies bestätigte die Mutter.
Am 28. November 2005 wurde Kevin aus dem Kinderheim entlassen und sollte dann mit seinem Vater zu dessen Mutter reisen. Doch der Vater trat die Fahrt mit Kevin nicht an. Stattdessen verblieb er in Bremen. Irgendwann reisten beide doch noch ab, nachdem der Sozialarbeiter deutlich machte, das sich der Vater auch an getroffene Absprachen halten müsse.
Kurz vor Weihnachten traf eine Anfrage der Familienrichterin beim Sachbearbeiter ein. Sie wollte wissen, wie es darum stünde, dem Vater wieder die elterliche Sorge für Kevin zu übertragen. Sie erbat sich weitere Informationen über die aktuelle Situation. Der Sachbearbeiter teilte der Familienrichterin mit, dass der Vater mit Kevin derzeit verreist sei zu dessen Oma, wo er sich auch dauerhaft niederlassen wolle. Weitere Informationen zu der Lebenssituation würden noch nachfolgen.
Während des Aufenhaltes bei der Oma, erhielt der Sachbearbeiter am 27. Dezember 2005 eine Information vom Jugendamt Hannover. Der Vater wäre im alkoholisierten Zustand auf dem Bahnhof angetroffen worden, Kevin wäre bei ihm gewesen. Vater und Sohn wurden nicht getrennt da Kevin wohlauf war.
Am 09. Januar 2006 kehrte der Vater mit Kevin nach Bremen zurück.
Da der Sachbearbeiter Mitte Januar immer noch nicht weiter auf die Anfrage der Familienrichterin geantwortet hatte, kontaktierte diese erneut den Sachbearbeiter und bat um Auskunft darüber, ob der Vater als Erziehungsberechtigter geeignet sei. Die Antwort des Sachbearbeiters war vage, er schilderte die Pläne des Vaters zu seiner Mutter zu ziehen, aber auch den aktuellen Vorfall in Hannover. Es wurde festgehalten, dass man sich, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen werden würde, noch einmal besprechen sollte.
Ende Januar 2006 fand ein Gespräch zwischen dem Sozialarbeiter und der Bewährungshelferin des Vaters statt. In Folge dessen notierte der Sozialarbeiter, dass die Bewährungshelferin von einem hohen Aggressionspotential des Vaters gesprochen hatte und sie darüber in Sorge sei, ihm die Versorgung eines Kindes zu überlassen, mit dem er womöglich überfordert sein könnte.
Letztendlich wurde im Februar 2006 vermerkt, dass der Vater erst einmal nicht aus Bremen weg ziehen würde. Auch die Amtsvormundschaft für Kevin sollte weiterhin Bestand haben. Kevin sollte in einer Tagespflegestelle untergebracht werden und der Vater müsse dafür sorgen, nicht wieder auffällig zu werden, da anderenfalls der Verbleib von Kevin bei ihm nicht sicher wäre.
Diese Information erhielt auch die Familienrichterin. Diese antwortete am 21. Februar 2006, dass sie eindringlich darum bitte, ein Auge auf den Vater zu haben und das sie sich in sechs Monaten wieder melden würde, um einen aktuellen Stand der Dinge einzuholen.
Mitte Februar war schließlich eine Tagesmutter, die Kevin tagsüber betreuen sollte, gefunden. Jedoch lehnte Kevins Vater diese Tagesmutter aufgrund ihrer Nationalität ab.
Daraufhin fand eine erneutes Hilfeplangespräch statt. In diesem wurde festgehalten, dass Kevin in einer Tagespflege untergebracht werden solle, bei der bereits vorgeschlagenen Tagesmutter, damit sein Vater seinem Methadonprogramm folgen, sich der Trauerarbeit widmen sowie sich auf Wohnungssuche begeben zu können.
Noch nicht einmal einen Monat später berichtete die Tagesmutter, dass Kevin nicht mehr zu ihr gebracht werden würde. Insgesamt sei er nur drei Mal bei ihr gewesen. Nach einem Gespräch mit dem Vater teilte dieser mit, er würde Kevin nicht mehr zur Tagesmutter bringen.
Für den 12. April 2006 wurde eine erneute Fallkonferenz einberufen, bei der auch Kevins Vater anwesend sein sollte. Doch dieser erschien nicht und wurde daraufhin zu einem Termin am am 20. April 2006 erneut eingeladen.
Auf diese Einladung reagierte der Vater erbost. Man solle ihn endlich in Ruhe lassen. Schließlich nahm er aber doch an dem neu anberaumten Termin teil. In diesem wurde vermerkt, dass Kevin in einem Spielkreis angemeldet worden war, den er, beginnend ab 18. April 2006, drei Mal wöchentlich besuchen sollte. Der bekannte Arzt, der dem Vater das Methadon vergab, kümmerte sich um die Anmeldung von Kevin in einem Kinderzentrum. Zudem würde der Vater einmal in der Woche eine Trauergruppe aufsuchen und sich um eine neue Wohnung kümmern.
Wieder einmal hielt sich Kevins Vater nicht an die getroffenen Absprachen. Ein Termin im Gesundheitsamt, bei dem Kevin eigentlich hätte vorgestellt werden sollen, nahm der Vater nicht war. Der Kinderarzt informierte daraufhin den Sachbearbeiter über diese Entwicklung und teilte ihm ebenfalls mit, dass ein neuer Termin für den 03. Mai 2006 an den Vater raus gegangen sei. Über diesen Vorfall informierte der Sachbearbeiter sodann auch den Amtsvormund.
Im Juni 2006 erhielt der Amtsvormund einen Anruf vom Kinderarzt des Gesundheitszentrums. In dem Telefonat teilte der Kinderarzt mit, dass der Vater erneut einen Termin nicht wahrgenommen hätte und er nun auch keine weiteren Termine vergeben würde. Auch habe er Kenntnis davon, dass Kevin in einem Spielkreis untergebracht werden sollte, aber der Platz, der für Kevin vorgesehen war, wurde inzwischen anderweitig vergeben, weil Kevin nie dort erschienen sei.
Nach dem Telefonat sah der Amtsvormund die Grenze überschritten. Er informierte den Sachbearbeiter über den aktuellen Verlauf und bat um ein Gespräch. Der Sachbearbeiter sah sich allerdings, aufgrund des Umzuges seiner Behörde, nicht in der Lage, sich kurzfristig persönlich mit dem Amtsvormund zu besprechen. Er teilte diesem aber mit, dass er am 06. Juni 2006 noch mit dem Vater gesprochen habe. Der Vater hätte Kevin nicht zum Spielkreis gebracht, weil er den Eigenanteil nicht zahlen könne und dies noch in Klärung gewesen sei.
Letztendlich lies der Amtsvormund nach weiteren Gesprächen mit dem Sachbearbeiter von der Notwendigkeit einer neuen Fallkonferenz ab.
Im Laufe der nächsten Wochen nahm der Vater auch nicht an den besprochenen Terminen zur Frühförderung von Kevin teil. Der Sachbearbeiter wurde darüber informiert, beruhigte aber mit den Worten, der Vater sei ein wenig schwierig im Umgang. Underdessen hatte der Vater auch immer neue Begründungen, warum er mit Kevin nicht erschienen war und warum er sich an die Absprachen nicht hielt.
Im August 2006 wurde sodann die Frühförderungsmaßnahme beendet. Die Begründung lautete, dass seit Wochen dafür bezahlt werden würde, aber Kevin nicht einmal teilgenommen habe. Somit waren die „Frühen Hilfen“ für Kevin beendet worden.
Auch zum Spielkreis, nachdem die Kostenübernahme bewilligt worden war, erschien Kevin nie. Auch dies wurde beendet. Wieder nahm der Sachbearbeiter Kontakt mit dem Vater auf.
Mitte August 2006 meldete sich erneut die Familienrichterin und bat um Mitteilung der aktuellen Situation. Der Sachbearbeiter schilderte ihr den derzeitigen Stand und das der Vater und Kevin zur Oma verreist seien. Auch der Arzt des Vaters kam ins Gespräch und die Familienrichterin schilderte, dass sie bezüglich diesem keine guten Erfahrungen habe. Man sollte nicht allein darauf vertrauen, was der Arzt in Bezug auf die Erziehungsfähigkeit des Vaters zu sagen habe, sondern solle doch besser selbst überprüfen, wie fähig der Vater im Umgang mit Kevin sei.
Es folgten weitere Gespräche, weitere Ausflüchte des Vaters, warum er Kevin nie zum Spielkreis gebracht hätte. Angeblich würden er und Kevin jetzt in einer Elternschule betreut werden. Nach Prüfung dieser Aussage stellte sich jedoch heraus, dass dem nicht so war.
Der Sachbearbeiter versuchte nun, den Vater persönlich, in Form von Hausbesuchen anzutreffen. Diese waren jedoch erfolglos. Der Vater wurde zu einem Gespräch ins Amt bestellt, Kevin solle er mitbringen. Auf diese Einladung reagierte der Vater, ihm und Kevin würde es gut gehen, wieder folgten Erklärungen und Ausflüchte. Er wäre mit Kevin wieder zu Besuch bei seiner Mutter gewesen. Alles wäre in Ordnung.
Als das Amt sich dann mit Kevins Oma in Verbindung setzte, teilte diese mit, dass sie Kevin und seinen Vater letztmalig am zu Weihnachten 2005 gesehen habe und seitdem auch kein Kontakt mehr bestanden habe. Alles, was der Vater erzählt habe, würde nicht der Wahrheit entsprechen. Von einem Umzug zu ihr sei schlichtweg keine Rede mehr gewesen.
Nach diesen neuen Erkenntnissen wurde das Amt nun aktiv. Es wurde eine Pflegestelle für Kevin gesucht und eine Inobhutnahme besprochen.
Für den 26. September 2006 wurde sodann ein Gerichtstermin anberaumt, zu dem der Vater zusammen mit Kevin erscheinen sollte, aber er erschien nicht. Es wurde abermals ein neuer Termin für den 02. Oktober 2006 angesetzt, aber auch zu diesem erschien der Vater nicht.
Kevin wäre inzwischen zwei Jahre und neun Monate alt gewesen, als das Familiengericht entschied, ihn aus der Obhut seines Vaters zu holen. Am 10. Oktober 2006 trafen Polizeibeamten vor der Wohnung ein, niemand öffnete. Daraufhin wurde die Wohnungstür von den Beamten aufgebrochen.
Den Leichnam von Kevin fanden die Polizisten im untersten Fach des Kühlschranks, in Plastiktüten eingewickelt. Kevin war 83 Zentimeter groß, sein Vater hatte ihn in dem 53 Zentimeter breiten Schrank verstaut.
Sein Körper wies insgesamt 24 Knochenbrüche an diversen Körperregionen wie Armen, Beinen und am Kopf auf. Einige seiner Knochen waren wiederholt gebrochen. Vor seinem Tod erlitt er 5 Knochenbrüche, einer dieser Knochenbrüche führte in Verbindung mit einer Embolie schließlich zu seinem Tod.
Kevin war laut Obduktion womöglich schon ein halbes Jahr tot, bevor er gefunden wurde. Ein halbes Jahr hatte seitens der Behörden niemand den kleinen Jungen persönlich gesehen, statt dessen wurden weitere Hilfsmaßnahmen beschlossen, obwohl Kevin schon längst nicht mehr am Leben war.
Beisetzung:
Kevin fand im November 2006 seine letzte Ruhe in einem weißen Sarg, neben dem Grab seiner Mutter auf dem Waller Friedhof in Bremen. Einige Familienangehörige und Nachbarn nahmen von ihm Abschied. Auf seinem Grabstein steht nur sein Name und die Jahreszahl.
Gerichtsurteil:
Im Juni 2008 wurde Kevins Vater wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie der Misshandlung von Schutzbefohlenen schuldig gesprochen. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von zehn Jahren und einer Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung, nach Verbüßung einer Haftzeit von drei Jahren.
In der Urteilsbegründung hieß es, dem Vater hätte nicht nachgewiesen werden können, das er Kevin habe töten wollen. Ihm hätte nicht bewusst sein können, dass Kevin an den Folgen der Knochenbrüche habe versterben können. Zudem könne auf Grund der Drogensucht eine verminderte Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werden.
Im August 2010 wurde das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gegen Kevins Amtsvormund gegen Zahlung einer Geldstrafe von 5.000 EURO eingestellt.
Auch das Verfahren gegen den Sachbearbeiter wurde eingestellt, da diesem von einer Gutachterin eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit attestiert worden war.
Die Sozialbehörde versuchte sodann, den Sachbearbeiter in den Ruhestand zu entsenden, jedoch setzte sich der Sachbearbeiter dagegen zur Wehr. Eine ärztliche Untersuchung ergab dann, dass er voll arbeitsfähig sei.
Seitdem ist er wieder im Einsatz für den Sozialen Dienst Bremen.