Katrin

Es reichte schon, wenn sie Stress im Studium hatte und genervt war, dann kam ich ihr gerade Recht. Entweder brüllte sie mich dann an oder sie verdrosch mich. Selbst mein Bruder, der noch ein Baby war, wurde von ihr fast täglich grob behandelt, geschüttelt, angeschrien oder gepackt und ins Kinderbett geworfen.

Es gab Tage, da nahm sie seine kleinen Ärmchen und drückte solange zu, biss er vor Schmerz brüllte. Sie verbrühte ihn absichtlich mit heißer Milch und setzte ihn einmal beim Baden in viel zu heißes Wasser. Wenn er schrie, gab es auch mal Schläge auf den Hinterkopf. Als mein Bruder bereits laufen konnte und ihr eines Tages beim Putzen im Weg stand, schleifte sie ihn an seiner Hand ins Kinderzimmer und schleuderte ihn mit voller Wucht in sein Babybettchen. Dort schloss sie ihn dann stundenlang ein und quittierte sein klägliches Wimmern zwischendurch immer wieder mit Schlägen gegen den Kopf.

Mein Vater bekam davon nie etwas mit und ich hätte es ihm auch niemals erzählt. Zu groß war die Angst vor meiner Mutter, die mir damit drohte, uns noch mehr weh zu tun, wenn ich irgendjemanden etwas verrate.
Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wozu diese Frau fähig war.

Wir zogen kurz nach dem Fall der Mauer aus unserer geräumigen Wohnung in ein schickes Haus, meine Eltern fuhren teure Autos, leisteten sich kostspielige Einrichtungsgegenstände, überhäuften uns Kinder mit allerlei Spielzeug und stellten nach außen hin die perfekte Familie dar, der es finanziell an nichts fehlte.

Wie es wirklich bei uns zuging, ahnte keiner. Je älter ich wurde, umso mehr schmerzte mich die tägliche Ablehnung meiner Mutter. Sie schlug zwar oft auf mich ein, aber viel mehr weh getan haben mir ihre Beschimpfungen und Demütigungen. Dass ich wertlos bin, ihr Leben ruiniert hätte und sie mich irgendwann tot schlägt.

Ihr Hass auf uns Kinder kannte scheinbar keine Grenzen mehr. Ganz selten war sie mal nett zu uns, lies uns in Ruhe oder spielte mit uns.

Als ich in die Schule kam, stand ich permanent unter Druck, sollte stets die Beste sein, immer gute Noten mit nachhause bringen, bloß nicht versagen oder negativ auffallen. Freunde hatte ich kaum, ich war viel zu verunsichert im Umgang mit anderen Kindern, bekam ja stets eingetrichtert, dass ich wertlos und nur lästig bin. Ich beneidete andere Kinder um ihre liebevollen und glücklichen Familien, ich sehnte mich so sehr nach etwas Geborgenheit.

Meine Mutter sorgte dafür, dass ich lange kein Selbstwertgefühl aufbaute und mich über Jahre hinweg minderwertig fühlte. Ich dachte schon in der Grundschule über Selbstmord nach und wollte nicht mehr leben, aber letztlich war ich einfach zu feige dafür. Ich versuchte also weiterhin, alles still zu ertragen.

Mein Vater, der nie eine große Rolle für mich spielte, eröffnete uns dann eines Tages, dass er sich scheiden lassen will und seine neue Frau mit ins Haus ziehen möchte. Wir sollten so schnell wie möglich ausziehen, aufs Sorgerecht für uns Kinder wollte er verzichten, uns aber regelmäßig sehen und Unterhalt zahlen.

Meine Mutter traf diese Neuigkeit wie ein Schlag. Nicht etwa, weil sie meinen Vater noch liebte, sondern weil sie immer versuchte, nach außen hin die Fassade von der perfekten Familie aufrecht zu erhalten. Sie genoss die finanziellen Annehmlichkeiten, die mein Vater ihr ermöglichte, sie lebte gerne in unserem großen Haus und musste nun einsehen, dass ihre Scheinwelt am Zerbrechen war. Uns blieb nichts anderes übrig als wirklich auszuziehen, da mein Vater die Dreistigkeit besaß und seine neue Freundin noch in unserer Anwesenheit einquartierte. Er wollte uns Kinder nach der Trennung ja nicht dauerhaft bei sich haben, also mussten wir weiterhin bei unserer Mutter bleiben. Und es wurde immer schlimmer. Sie war frustriert ohne Ende, fühlte sich vom Leben betrogen und hasste uns abgrundtief.

Jeden Tag hielt sie uns vor, wie gut es ihr gehen würde, wenn es uns nicht gäbe. Ich war verzweifelt, schämte mich für die Zustände bei uns zuhause und verspürte jeden Tag nur noch unbändige Angst. Mein Vater zeigte schon bald kein Interesse mehr an mir und meinem Bruder, er zahlte keinen Unterhalt wie versprochen und ließ uns im komplett im Stich.

Meine Mutter musste uns jetzt alleine durchbringen und ihren hohen Lebensstandard aufgeben. Sie war voller Hass. Auf meinen Vater, auf uns Kinder, auf ihr Leben, das sie sich wohl von Anfang an anders vorgestellt hatte.. Ich habe nie erfahren, warum sie uns überhaupt in die Welt gesetzt hatte, ich hab nie eine Erklärung dafür bekommen, warum sie uns das alles antun musste. Mit wem hätten mein Bruder und ich auch über alles reden sollen? Trotz der täglichen Qualen, denen wir ausgesetzt waren, wollte ich auf keinen Fall in ein Kinderheim.

Als feststand, dass ich das Gymnasium leistungsmäßig nicht mehr schaffte und nach den Sommerferien auf die Realschule wechseln musste, war meine Mutter nach einem Anruf meines Lehrers so wütend, dass sie nach der Arbeit in mein Zimmer stürmte, mich in die Küche schleifte und gegen die Heizung schubste. Sie schlug mir sofort mit ihrer Faust ins Gesicht, immer wieder ohrfeigte sie mich, schlug wieder mit der Faust zu, bis meine Nase anfing zu bluten, aber das reichte ihr noch nicht. Ich verlor während ihrer Schläge die Kontrolle über meinen Körper, machte mir in die Hose und zitterte wie Espenlaub. Sie war derart in Rage, dass sie dann ihren Gürtel nahm und eine halbe Ewigkeit auf mich einschlug. Sie trat auf mich ein, schlug mich wie eine Irre und ließ erst von mir ab, als ich völlig in mir zusammensackte. Nie werde ich ihren abgrundtief hasserfüllten Blick vergessen, der mich heute noch ab und zu verfolgt.

Ich hatte nach dieser Prügelattacke wochenlang Kopfschmerzen, Rückenprobleme, Nasenbluten, blaue Flecken, Striemen und war seelisch am Ende! Meinem Bruder erging es nicht besser. Er wurde ebenfalls von ihr gequält, wann immer es ging. Ich versuchte meistens, mich schützend vor ihn zu stellen, doch das machte meine Mutter nur umso wütender. Mittlerweile ließ sie sich jeden Tag etwas neues einfallen, um uns zu demütigen, niederzumachen und zu traktieren. Unser Umfeld merkte irgendwann, dass bei uns zuhause etwas nicht stimmte.

Mein Bruder und ich fielen in der Schule durch unser extrem ängstliches und verunsichertes Verhalten auf, meine Mitschüler hatten meinen mit blauen Flecken übersäten Körper bemerkt, die Nachbarn sahen uns mitleidig an. Aber es geschah nichts. Alle wussten, was los war, geholfen hat uns jedoch niemand. Es wurde einfach nicht mit uns gesprochen. Das einzige, was uns in dieser Zeit „rettete“, war der neue Freund meiner Mutter. Dachte ich.

Sie war ganz plötzlich verliebt, verlor damit scheinbar das Interesse an uns und verbrachte viel Zeit mit diesem Mann. Wir hatten zum ersten mal im Leben unsere Ruhe, konnten uns von ihren Grausamkeiten erholen und hofften, dass jetzt vielleicht einiges besser werden würde. Meine Mutter veränderte sich, sie wirkte gelöster, freier und unbeschwerter. Uns gegenüber blieb sie zwar weiterhin distanziert, kühl und abweisend, aber sie schlug uns wenigstens nicht mehr. Kennengelernt haben wir ihren Freund erst nach ungefähr einem halben Jahr. Er machte einen vernünftigen, netten Eindruck und meine Mutter blühte geradezu in seiner Nähe auf.

Mir ging es nicht um ihr Glück, sondern in erster Linie um mich und meinen Bruder. Dieser Mann hatte offenbar eine positive Wirkung auf meine Mutter und das bedeutete, sie lies uns in Ruhe. Ich war wirklich voller Hoffnung, dass unser Martyrium endlich ein Ende hätte. Meine Mutter schmiedete Pläne mit ihm und schnell stand fest, dass wir zu ihm ziehen würden. Er besaß wie meine Eltern früher ein großes Haus und verdiente gut. Ich war zu der Zeit bereits 14 und trotz dass ich noch an eine halbwegs positive Zukunft glaubte, hatten die jahrelangen körperlichen und seelischen Misshandlungen meiner Mutter ihre Spuren hinterlassen. Mein Bruder redete bisher nur sehr selten mit mir über sich und seine Gefühle, bis heute fällt es ihm schwer, sich dahingehend zu öffnen. Auch ich schwieg lange, aus Angst und Scham.

Als der Alltag nach einiger Zeit bei meiner Mutter und ihrem Freund einzog, brach aus ihr wieder die alte Unzufriedenheit hervor. Wieder begann sie uns wegen jeder Kleinigkeit zu maßregeln und körperlich zu strafen. Ihr Freund wusste davon, unternahm aber nichts, um uns zu helfen, im Gegenteil. Ich fand ihn anfangs noch so nett, doch ich hatte mich bitter getäuscht. Er zeigte schnell sein wahres Gesicht, denn es schien ihm regelrecht Freude zu machen, meiner Mutter dabei zuzusehen, wenn sie mich schlug.

Bald legte er auch selbst Hand an, ermutigt von meiner Mutter. Sie gab ihm sogar Anweisungen, wie und wo er mich zu schlagen hatte, verlangte von ihm, mich regelmäßig zu prügeln und zu züchtigen. Ich war 14, aber gegen die beiden hatte ich einfach keine Chance. Ich hatte auch keine Chance, als er eines Nachts in mein Zimmer kam, sich an mir verging und mich solange vergewaltige, bis ich vor Schmerzen kaum noch atmen konnte. Und das tat er fortan fast jede Nacht, ein viertel Jahr lang, auf nur jede erdenkliche Art und Weise missbrauchte er mich, immer wieder drohte er mir, dass er mich umbringen würde, wenn ich irgendjemandem davon erzählte. Diese Drohung kannte ich bereits von meiner Mutter.

Und dann, eines Abends, als sie ihn zufällig dabei erwischte, wie er sich im Keller an mir vergehen wollte, nahm mein Martyrium ein unerhofftes Ende. Anstatt dieses Schwein entsetzt zur Rede zu stellen, war ich in ihren Augen die Schuldige! Sie schrie hysterisch, beschimpfte mich als „Hure“, als „Flittchen“, dass ich mich an ihren Freund heran gemacht hätte und ein durchtriebenes Miststück sei.

Sie schlug und trat nach mir, bespuckte mich und versuchte meine Haare zu packen. Aber dieses mal siegte mein Überlebenswille, ich nahm meine letzte Kraft zusammen, stieß sie von mir, rannte die Kellertreppe nach oben und rettete mich auf die Straße. Ich weiß nur noch, dass ich zu unserer Nachbarin floh, ununterbrochen weinte, zitterte, sie um Hilfe anflehte und sie schlussendlich die Polizei rief. Es war ein milder Abend im Mai 1999, an dem mein Bruder und ich endlich aus dieser Hölle heraus geholt wurden.

Dieser Tag wird mir immer in Erinnerung bleiben, denn für uns begann ein neues Leben ohne tägliche Schläge, Demütigungen und Quälereien. Zum ersten mal in unserem Leben trafen wir auf Menschen, die uns ernst nahmen, uns zuhörten, uns wertschätzten und uns zeigten, dass wir es verdient hatten, geliebt zu werden. Unsere Pflegeeltern waren das Beste, was uns anschließend passieren konnte! Wir durften endlich Kind sein, Liebe, Geborgenheit und Wertschätzung erfahren. Aber der Weg hin zu einem normalen Leben dauerte lange, im Grunde genommen dauert dieser Weg bis heute. Mein Bruder und ich machten eine Traumatherapie und blieben längere Zeit in ambulant-psychologischer Behandlung, was auch dringend notwendig war.

Im Jahr 2000 wurden meine Mutter und ihr inzwischen Ex-Freund verurteilt, er musste 2 Jahre und 4 Monate hinter Gitter, meine Mutter bekam lediglich eine Bewährungsstrafe und musste Sozialstunden ableisten. Vom Schmerzensgeld, das uns außerdem zustand, haben wir bis heute keinen Cent gesehen. Trotz der geringen Strafe war das Urteil wichtig, denn es ging mir um Gerechtigkeit und darum, endlich gehört zu werden.

Meine Mutter zeigte keine Reue für das, was sie uns jahrelang angetan hatte, sie konnte mir im Gericht auch kein einziges mal in die Augen sehen. Ich war fertig mit ihr und wollte nur noch nach vorn blicken. Sie war in meinen Augen nur noch eine jämmerliche, feige Person, die nicht fähig war, ihr eigen Fleisch und Blut zu lieben. Die panische Angst, die ich jahrelang vor ihr hatte, wich der Verachtung. Sie war mir nicht egal, ich hasste sie auch nicht, aber mehr als Verachtung konnte ich nicht empfinden. Die seelischen Wunden heilten langsam, ich schaffte später sogar noch mein Abitur, habe viele gute Freunde gefunden und lernte mithilfe meines Psychologen, die Vergangenheit nach und nach aufzuarbeiten.

Meinen Vater habe ich Mitte 2002 noch einmal getroffen. Er sagte, wie leid ihm alles täte und dass er gern wieder Kontakt zu mir und meinen Bruder hätte, aber er blieb ein fremder Mensch für uns und so sahen wir ihn nie wieder, er starb kurz darauf an Krebs.

Mein Bruder lebt inzwischen in Dänemark, wo er verheiratet ist und zwei tolle Kinder hat. Er ist nach wie vor eher verschlossen und lässt kaum jemanden an seinen Gefühlen bezüglich der Vergangenheit teilhaben. Trotzdem ist er ein wahnsinnig liebenswerter Mensch, der mir bis heute sehr nahe steht, ebenso wie unsere Pflegeeltern, denen wir viel zu verdanken haben.

Von unserer Mutter habe ich seit der Gerichtsverhandlung nichts mehr gehört, angeblich soll sie jetzt in Süddeutschland leben. Ich wünsche ihr nichts Schlechtes, nur das, was sie verdient hat.

Ich kann abschließend nur sagen, dass sich zwei Menschen sehr genau überlegen sollten, ob sie gemeinsam ein Kind in die Welt setzen und es bedingungslos lieben werden, denn jedes Kind verdient Schutz, Geborgenheit, Wärme, Anerkennung und ein unbeschwertes Leben!

Danke fürs Lesen meiner Geschichte und alles Gute,
eure Katrin