Juliette

Das ist die Geschichte von Juliette aus Rostock. Das kleine Mädchen starb im Alter von kaum 5 Monaten in einer Rehabilitationsklinik Anfang November 2007.

Juliettes Mutter lebte mit ihrem beiden Söhnen und ihrem neuen Lebensgefährten in einer Wohnung in Rostock. 2007 kommt die kleine Juliette als erstes gemeinsames Kind des Paares zur Welt. Wie die Mutter später schilderte, sei ihre Tochter kein Wunschkind gewesen, aber dann doch von ihr und ihrem Partner gewollt.

Nach Juliettes Geburt kümmerte sich das Paar anfangs gemeinsam fürsorglich um ihre Tochter, vor allem der Vater sei sehr stolz auf seine Tochter gewesen und betreute sie Tag ein Tag aus rund um die Uhr.

Elf Wochen später nahm Juliettes Mutter wieder ihre Arbeit als Reinigungskraft auf. Der Vater, der keiner Tätigkeit nachging, sollte sodann vollständig die Betreuung seiner kleinen Tochter übernehmen.

Am Abend des 04. September 2007 verließ die Mutter die gemeinsame Wohnung, um erstmalig ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Der Vater war nun mit Juliette und seinem Stiefsohn allein.

Einige Zeit später wählte er die Nummer des Notrufs. Inzwischen war auch Juliettes Mutter, die von ihrem Sohn telefonisch informiert worden war, auf dem Weg nach Hause. Als sie in der Wohnung eintraf, waren die Notärzte gerade dabei, ihre leblose Tochter zu reanimieren.

Nach erfolgreicher Reanimation wurde Juliette umgehend in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort diagnostizierten die behandelnden Ärzte ein schweres Schütteltrauma.

Die kleine Juliette, die sich durch das Schütteltrauma schwerste Hirnverletzungen zugezogen hatte, verstarb zwei Monate später während der Behandlung in der Rehabilitationsklinik an einer Lungenentzündung.

Gerichtsurteil:
Zum Prozessauftakt erklärte Juliettes Vater, was am Abend des 04. September 2007 geschehen war. Demnach war seine Tochter an diesem Abend sehr unruhig und weinte viel. Daraufhin habe er Juliette aus ihrem Kinderbettchen genommen, um ihr ein Fläschchen zu geben. Nachdem Juliette etwas getrunken hatte, habe sie sich verschluckt und aufgehört zu atmen. Da er sich nicht anders zu helfen gewusst hatte und in Panik geraten war, habe er Juliette kopfüber an den Füßen gepackt und angefangen, sie zu schütteln. Er dachte, wenn er seine Tochter kopfüber halten würde, würde die verschluckte Milch wieder aus ihr herauslaufen. Nachdem dies aber nicht zum gewünschten Erfolg führte und Juliettes Zustand auch nicht besser wurde, habe er den Notarzt verständigt. Unter Anweisungen, welche er noch am Telefon erhielt, nahm er Erste Hilfe Maßnahmen an Juliette vor.

Juliettes Mutter, welche ebenfalls im Prozess gehört worden war, glaubte den Ausführungen ihres Lebensgefährten. Nach dem Vorfall sei ihr Lebensgefährte stark in sich gekehrt gewesen und auf ihren Vorschlag hin, sich doch psychologische Hilfe zu holen, reagierte er mit Ablehnung.

Die Staatsanwaltschaft hingegen war davon überzeugt, dass der Vater die kleine Juliette aggressiv geschüttelt haben musste, wodurch ihr kleines Köpfchen ungebremst hin und her geflogen sei. Dadurch kam es zu Hirnschäden, welche schlussendlich auch zum Tod von Juliette geführt hätten. Dies hätten auch die gerichtmedizinischen Gutachten gezeigt. Wäre Juliette nicht geschüttelt worden, wäre sie noch am Leben.

„Er wusste damals genau, dass man ein Baby nicht schütteln darf“, sagte die Staatsanwältin. Sie habe nach all den vielen Verhandlungstagen keine Reue bei ihm feststellen können, fügt sie hinzu.
Quelle: SVZ, 13.10.2009

Die Verteidigung führte dahingehend auf, dass jeder seine Reue anders zum Ausdruck bringen würde. Der Vater habe Juliette lediglich helfen wollen, dafür aber die falsche Methode gewählt.

Ein Anästhesist sagte zudem, dass bei Juliette aus dem Rachenraum Flüssigkeit, vermutlich war es Milch gewesen, abgesaugt worden sei. Es wäre nachvollziehbar, dass sich Juliette durchaus verschluckt haben könnte und dadurch keine Luft mehr bekommen hätte. Allerdings hätte er selbst noch nie erlebt, dass Kinder, die zu schnell trinken, in eine lebensbedrohliche Lage gekommen wären.

Das Gericht konnte der Vater mit seinen Ausführungen nicht überzeugen. Zum einen würde ein Baby sich intuitiv bei Verschlucken zu helfen wissen, beispielsweise in dem es husten würde. Zum anderen hätte dem Vater absolut klar sein müssen, dass das Schütteln seiner Tochter zu schwersten Schädigungen führen kann. Dies habe er billigend hingenommen. Auch das medizinische Gutachten stand den Ausführungen des Vaters entgegen. Schädigungen in dem Ausmaß, wie Juliette sie aufgewiesen hätte, wären nicht durch ein einfaches Hin- und Herschwingen hervorgerufen worden. Vielmehr sei ihr Kopf, der im Verhältnis zu ihrem Körper viel schwerer gewesen sei, ein paar Mal hin und her geflogen. Weiterhin war die Rede von einem „massiven Untergang ganzer Hirnregionen“.

Juliette hatte Einblutungen im Gehirn und in den Augen. Ebenso hatte ihr Stammhirn schwere Verletzungen erlitten. Arme, Beine und Augen konnte sie nicht mehr kontrolliert steuern. Reflexe wie Schlucken und Husten waren nicht mehr vorhanden.

Erschwerend kam zu allem noch hinzu, dass der Vater durch ein „rigrides Erziehungsmodell“ gegenüber seinen beiden Stiefsöhne aufgefallen sei. Seinen Stiefsohn, im Teenageralter, der an dem besagten Tatabend auch in der Wohnung gewesen war, versuchte er in der Verhandlung unter Druck zu setzen mit den Worten:

„Du weißt doch, was Du heute zu sagen hast.“
Quelle: Süddeutsche, 21.10.2009

Der Stiefsohn war so eingeschüchtert und durch den Tod seiner Schwester stark traumatisiert, dass er vor Gericht nicht aussagen wollte, was an dem Tatabend geschehen sei. Zitternd und weinend gab er lediglich zu Wort, dass das Geschehene etwas sei „was nicht raus will“.

Zum Ende des Prozesses stand dem Vater ein Schlusswort zu. Er sagte, ihm wäre bewusst, dass er einen tödlichen Fehler gemacht habe. Dies täte ihm leid.

Im Oktober 2009 wurde Juliettes Vater wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre gefordert.