Das ist die Geschichte von Jessica. Sie wurde nur sieben Jahre alt und starb am 01. März 2005 in Hamburg. Jessica ist verhungert. Eingesperrt in einem dunklen Zimmer vegetierte sie bis zur ihrem Tod dahin.
Jessica lebte mit ihren Eltern in einer Hochhauswohnung in Hamburg-Jenfeld. Eigentlich sollte Jessica nie geboren werden. Bereits in der Schwangerschaft versuchte Jessicas Mutter sie mit einem Schraubenzieher abzutreiben. Wahrscheinlich begann ihr Martyrium mit dem Einzug in die Hochhauswohnung. Jessica wurde in ihr Zimmer eingesperrt, bekam weder Aufmerksamkeit noch ausreichend Nahrung und verkümmerte im Laufe der Zeit.
Am 01. März 2005, es war früh morgens, sagte Jessicas Mutter, nachdem sie aus dem Kinderzimmer kam, zu ihrem Lebensgefährten: „Ich glaube, Zicke ist tot.“ Jessicas Vater wählte den Notruf. Der eintreffende Notarzt fand ein auf 9,6 Kilogramm abgemagertes, leichenstarres Mädchen vor, dessen Haut wächsern war wie die einer Mumie. Ihre Haut spannte über ihrem Körper, der Bauch war vor Hunger aufgebläht.
Bei ihrem Tod trug Jessica eine Latzhose, die mit Kabelbindern zugeschnürt war. Der Body, den sie darunter trug, war im Schritt mit scharfen Plastikbändern zusammengeknotet. Jessica hätte sich nicht selbst ausziehen können. Nur mit einer Zange konnte sie aus ihren Kleidern befreit werden.
Jessica hatte bereits vor ihrem Tod verlernt zu laufen. Sie konnte sich nur noch krabbelnd fortbewegen. Auch sprechen konnte sie nicht mehr und verständigte sich mit einfachsten Lauten. Toilettengänge wurden ihr verweigert, bis sie auch das verlernte und mit ihren sieben Jahren wieder eine Windel trug. Jessicas Körper konnte auf Grund des Wochen- oder monatelangen Hungers keine Nahrung mehr aufnehmen. Sie war an ihrem Erbrochenen erstickt, weil ihr Magen und ihr Darm schon längst nicht mehr funktionierten. Durch die Unterernährung ragte der steinharte Kot in ihrem Darm heraus und muss Jessica unvorstellbare Schmerzen bereitet haben. Aus verzweifeltem Hunger aß Jessica sogar ihre eigenen Haare. Bis zu ihrem Tod war Jessica bei vollen Bewusstsein.
Weitere Ermittlungen ergaben, dass Jessicas Kinderzimmer von ihren Eltern zu einem Gefängnis in Dunkelheit und Kälte umgebaut worden war. Die Fenster waren mit schwarzer Folie abgeklebt und zugeschraubt. Das Heizungsthermostat war auf Stufe eins festgestellt, auch im Winter. Die Zimmerdecke war voller Schimmel und von der Matratze, auf welcher Jessica schlief, waren nur noch die Sprungfedern übrig. Die Verkleidung des Lichtschalters war abgerissen, es ragte ein unter 220 Volt stehender unisolierter Draht heraus. Vom Boden wurde der Teppich entfernt, bis nur noch der Estrich zu sehen war. Eine Stromfalle mit 220 Volt war gemacht worden für Jessica, die im Dunklen nach dem Lichtschalter oder der Tür suchte. Es deutete alles darauf hin, dass Jessicas Eltern den Tod ihres kleines Mädchens geplant hatten. Es sollte nach einem Unfall aussehen.
Jessicas Eltern wollten sich trotz allem so offensichtlichem den Schuld am Tod ihrer Tochter nicht eingestehen. Im Gegenteil. Nach ihren Aussagen war Jessica selbst schuld. Im Jahr 2003 gab es angeblich einen Streit mit dem Lebensgefährten, anschließend hätte Jessica alles abgeblockt, sich zurückgezogen. Sie wollte nicht mehr nach draußen, habe ihr Zimmer zerstört und das Essen verweigert.
Wenn Menschen nach Jessica fragten, wurden sie konsequent abgewimmelt. Jessicas Vater zeigte misstrauischen Kollegen sogar ein fremdes Kinderbild, welches er für Jessicas ausgab.
Im Leben von Jessicas Mutter gab es viele Alarmsignale. Auch sie wurde bereits von ihrer Mutter geschlagen. Als Jessicas Mutter als Teenager, 1991, das erste Mal schwanger wurde, verheimlichte sie die Schwangerschaft. Acht Monate nach der Geburt übergab sie ihr Kind der Tante. Der kleine Junge war entwicklungsverzögert, konnte nicht sitzen oder krabbeln. Die Tante informierte das Jugendamt und schließlich wurde der kleine Junge zur Adoption frei gegeben. Später heiratete sie wieder und wird, 1992 und 1994, noch zwei Mal schwanger. Ihr Mann war hauptsächlich derjenige, der sich um die beiden Kinder kümmerte. Nach Aussagen ihres damaligen Mannes habe sich Jessicas Mutter vorm Wickeln der Kinder geekelt. Ihrem kleinen Sohn habe sie, wenn er schrie, den Schnuller mit einer Stoffwindel um den Kopf gebunden. Beide trennten sich. Der Vater erhielt das Sorgerecht. Kontakt zu den Kindern bestand auf Seiten von Jessicas Mutter nicht mehr.
Danach lernte Jessicas Mutter ihren neuen Mann kennen. Selbst nach dieser Vorgeschichte wurde niemand aufmerksam als Jessica 1997 geboren wurde. Das Jugendamt wusste nichts von Jessicas Existenz. Nur einmal, als Jessica eingeschult werden sollte und nicht erschien, wurde ein Bußgeldbescheid zugestellt. Danach suchte ein Mitarbeiter die Familie noch drei Mal erfolglos auf. Niemand öffnete ihm die Tür. Er ging wieder, ohne Verdacht zu schöpfen. Auch die Nachbarn im Haus hatten keine Ahnung, in welcher Situation sich Jessica befand. Da Jessica von ihren Eltern vor der Nachbarschaft isoliert worden war, wussten sie noch nicht einmal, dass Jessica existierte.
Beisetzung:
Am 11. März 2005 wurde Jessica auf dem Friedhof im Stadtteil Rahlstedt im Beisein von mehreren hundert Menschen in einem kleinen weißen Sarg beerdigt. Ihre Eltern waren bei der Trauerfeier nicht anwesend.
Gerichtsurteil:
Jessicas Eltern wurden wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Jessicas Mutter legte gegen dieses Urteil Revision ein, die der Bundesgerichtshof jedoch verwarf. Damit war auch ihr Urteil rechtskräftig.