Dies ist die Geschichte von Jennifer aus Lüneburg. Sie starb am 15. März 1996 an den Folgen massiver Gewalteinwirkung ihres Babysitters, von denen die Mutter Kenntnis hatte.
Als Jennys Mutter selber noch ein Baby war, erkrankte sie an einer Hirnhautentzündung. In Folge dessen wurden Areale des Gehirns geschädigt, was eine geistige Beeinträchtigung mit sich brachte. Sie konnte lesen, schreiben und Zusammenhänge erkennen, doch sie vergaß einfachste Abläufe und konnte ihren Alltag somit nicht strukturieren. Sie wuchs in der DDR auf, besuchte dort eine Sonderschule und arbeitete als Küchenhilfe. Nach der Wende ging sie in eine Kleinstadt Norddeutschlands, lernte dort mehrere Männer kennen, mit denen sie schlief. Welcher Jennys Vater wurde, blieb ungeklärt.
Als die Mutter Anfang 1993 von ihrer Schwangerschaft erfuhr, war sie mit der Situation überfordert. Sie fand Hilfe bei der Diakonie, die sich fortan um sie kümmerte. Als Jennifer am 30.09.1993 geboren wurde, schlug die Entbindungsklinik Alarm. Die Mutter habe nicht mit einem Säugling umgehen können, wusste weder wie sie es kleiden noch wie oder was sie dem kleine Mädchen füttern solle. Das Jugendamt stellte ihr eine Kinderpflegerin zur Verfügung, die sie intensiv betreute und ihr einen Tagesablauf erstellte, an den sie sich stets versuchte zu halten. Als in schwierigen Situationen die Pflegerin zweimal nicht zugegen war, schlug und biss die Mutter ihren Säugling. Nach diesen Vorkommnissen wurde Jenny in einer Tagespflege untergebracht, das Sorgerecht blieb bei der Mutter. Als diese sich nicht länger mit einer Fremdunterbringung ihres Kindes einverstanden erklärte, suchte das Jugendamt eine alternative Lösung. Gefunden wurde diese in Stuttgart, in einer kirchlichen Mutter-Kind Betreuung. Diese bot ein umfangreiches Angebot an Hilfen und stellte eine 24-stündige Ansprechbarkeit zur Verfügung. Jenny und ihre Mutter zogen dorthin und verbrachten hier etwa zwei Jahre.
Das Jugendamt teilte der nun zuständigen Behörde zwar mit, dass Mutter und Kind betreut werden müssten, erwähnte jedoch nicht, dass es bereits zu massiven Gewaltausschreitungen gekommen war und eine besondere Kindswohlgefährdung vorlag, wenn beide nicht voll betreut werden. Zwar fielen die Defizite der jungen Frau in der Einrichtung auf, doch sie galt über die Zeit als besonders kooperativ, hielt sich stets an Absprachen und förderte das Gemeinschaftsgefüge.
1995 lernte sie dann einen Mann kennen, mit dem sie eine Beziehung einging. In der Betreuung konnte sie Jenny abgeben, wenn sie mit ihrem Partner ausgehen oder allein einkaufen wollte. Dieses Zugeständnis machte man ihr ob ihrer Kooperationsbereitschaft gern. Zudem wurde sie regelmäßig erinnert, dass Jenny Essen, ein Bad oder eine neue Windel benötigte.
All diese Rahmenbedingungen fielen allerdings weg, als die Mutter sich zwischen Weihnachten und Silvester 1995 zu einem Umzug entschied. Sie wollte mit ihrem Partner in eine gemeinsame Wohnung ziehen und Jenny mitnehmen. Da das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht uneingeschränkt bei der Mutter lagen, sahen weder die Einrichtung, noch die zuständige Behörde einen Handlungsbedarf und so ließ man Mutter und Kind ausziehen.
Mit der Selbstständigkeit und der Anforderung an selbstbestimmte Strukturen brach die Welt der Mutter zusammen. Sie war überfordert, wusste nicht was sie tun sollte, wenn Jennifer, die inzwischen über zwei Jahre alt war, weinte, sich verletzte, Hunger hatte. Sie musste alltägliche Erledigungen fortan mit Jenny allein erledigen und konnte nicht auf Hilfe zurückgreifen, wenn sie sich überfordert fühlte. All dies hatte sie in der Betreuung nicht gelernt. So suchte sie sich in ihrem Freundeskreis ein Pärchen, das auf ihre Tochter aufpasste, wenn sie Zeit für sich und ihren Freund brauchte.
Dass diese Babysitter Jenny aus erzieherischen Maßnahmen schlugen und schüttelten, bemerkte die Mutter entweder nicht oder sie ignorierte es. Hämatome zeugten jedoch deutlich von diesen Taten.
Zwischenzeitlich suchte das Jugendamt eine Tageseinrichtung für Mutter und Kind, in denen sie sich regelmäßig vorstellen sollten. Eine passende Betreuung wurde jedoch bis zu Jennys Tod nicht gefunden.
Am 03.03.1996 erhielt der Leiter des Jugendamtes eine alarmierende Meldung über die Misshandlungen an dem kleinen Mädchen und ordnete eine sofortige Überprüfung an. Das Ergebnis dieser blieb unbekannt.
In dieser Zeit erhielt Jenny immer wieder Tritte von ihrer Mutter und deren Partner. Einmal warf die Mutter sie gegen eine Wand, als sie nicht aufhörte zu weinen. Zudem schlug der Partner gehäuft auf das Kleinkind ein, wenn dieses nicht hörte.
Am 15.03.1996 war Jenny erneut in Obhut ihrer Babysitter, weil Mutter und Partner ausgingen. Als Jenny nicht einschlafen konnte oder wollte, wurde sie durch den Mann des Paares so massiv geschüttelt und geschlagen, dass sie starb.
Gerichtsurteil:
Gegen alle vier Beteiligten der Misshandlungen an Jennifer wurde Anklage erhoben und gegen sie alle wurden Urteile gesprochen.
Der Babysitter wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu acht Jahren Haft, seine Partnerin zu drei Jahren Haft wegen Beihilfe verurteilt. Die Mutter erhielt eine Haftstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten wegen Misshandlung Schutzbefohlener, ihr Lebensgefährte wurde zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten wegen Körperverletzung in drei Fällen verurteilt.
Im Anschluss erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Sozialarbeiter des Jugendamtes in Norddeutschland und einen Sozialpädagogen der Einrichtung in Süddeutschland. Der Sozialarbeiter sollte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden, erhielt letztlich eine Geldstrafe von 2100 DM wegen fahrlässiger Körperverletzung. Der Sozialpädagoge wurde freigesprochen. Aufgrund der nicht vorhandenen Information des ersten Jugendamtes konnte der zweite Träger die drohenden Gefahren nicht erkennen – so die Aussage des Richters.
Wenngleich Jenny bereits fast zwanzig Jahre tot ist, hat ihre Geschichte nicht an Aktualität verloren. Einem Zeitungsbericht aus dem Jahre 2009 zufolge hat ihr Fall in der süddeutschen Jugendamtsarbeit viel bewegt und war bis dahin für jeden Beteiligten stets präsent. Jennys Tod gilt für die zuständige Behörde also bis heute als Mahnmal. Ob es tatsächlich Änderungen oder gar Besserungen gab, vermögen wir nicht zu beurteilen.
Ruhe in Frieden Jenny. Wir bedauern, dass auch dir die Chance auf ein erfülltes Leben verwehrt blieb und gedenken deiner.