Das ist die Geschichte von Jennifer aus Lübbenow in der Uckermark (Brandenburg). Jennifer hat überlebt!
Jennifer wurde am 06. Februar 1996 geboren. Das erste und das letzte Mal, das Jennifer einem Kinderarzt vorgestellt worden ist, war 1998. Damals stellte der Kinderarzt eine Verzögerung in ihrer Sprachentwicklung fest und empfahl eine Wiedervorstelung. Zwei Jahre später zog die Familie von Berlin nach Lübbenow. Dort wurde Jennifer versteckt gehalten, abgeschottet von der Außenwelt. Ihre einzigen Bezugspersonen waren ihre beiden Geschwister sowie ihre Eltern. Diese versorgten ihre Tochter jedoch nur mit dem Nötigsten. Ernährt wurde Jennifer aber es gab keine Zuwendungen und auch um ihre Körperhygiene wurde sich nur mäßig gekümmert. Jennifer blieb in ihrer Gesamtentwicklung immer mehr zurück. Sie hatte niemanden, der sie in den Arm nahm, der sich um sie kümmerte, der sich um sie sorgte. Sie durfte ihr Gefängnis nie verlassen, besuchte keine KiTa, durfte nicht nach draussen gehen um ihre Umgebung zu entdecken um soziale Kontakte zu knüpfen und sie wurde auch nicht mehr bei einem Kinderarzt vorstellig.
Im Jahr 2005 schaltete die damalige Bürgermeisterin der Großgemeinde Uckerland das Jugendamt ein. Es betraf allerdings nicht Jennifer, die ohnehin kaum jemand zu Gesicht bekommen hatte. Es ging vielmehr um ihre Schwester. Der Bürgermeisterin fiel auf, das es bei Jennifers Schwester, die kurz vor der Einschulung stand, Entwicklungsstörungen sowie Defizite gab. Sodann fand eine Kontaktaufnahme seitens des Jugendamtes mit der Familie statt. Das Jugendamt empfand die Eltern als kooperativ, denn sie stimmten zu, dass Jennifers Schwester eine KiTa besucht um dort entsprechend gefördert zu werden. Daraufhin konnte sie dann auch im Herbst eingeschult werden. Jennifer blieb allerdings, trotz allem, wohl vom Jugendamt unentdeckt.
Auch in der Nachbarschaft war zwar bekannt, dass in dem Haus drei Kinder lebten, doch machte sich anscheinend niemand wirklich Gedanken darüber, warum immer nur Jennifers Geschwister auf der Strasse zu sehen waren aber nie Jennifer selbst.
Schließlich ging dann doch im Jahr 2006 ein anonymer Hinweis aus der unmittelbaren Umgebung beim Jugendamt ein. Dem Jugendamt wurde mitgeteilt, dass ein häufiges wimmern von Jennifer zu hören sei und man konnte sehen, wie sie mit ihren Fäusten gegen das Fenster schlug.
Bei einem Besuchstermin vom Jugendamt erklärten die Eltern, dass Jennifer wegen ihrer Behinderung nicht zur Schule gehen könne. Sie wäre im Moment von der Schule freigestellt und besucht eine Sprachtherapie. Diese Angaben wurden vom Jugendamt nicht überprüft. Es wurde von dem Mitarbeiter lediglich eine Aktennotiz über die problematische Wohnsituation angefertigt. Das Jennifer noch nicht sprechen konnte und auch keine sozialen Kontakte hatte, fiel wohl nicht auf. Letztendlich wurde der Fall Jennifer einfach zu den Akten gelegt. Für Jennifer gab es kein Entkommen. Statt dessen wurde für sie alles nur noch schlimmer. Damit Jennifer nicht mehr am Fenster zu sehen war, wurden ihre Kinderzimmerfenster verhangen.
Fragten daraufhin Nachbarn nach dem Mädchen, so gaben die Eltern an, dass sie in einem Heim untergebracht worden sei.
Auch als eine Aufforderung zur Einschulungsuntersuchung für Jennifer erfolgte, gab die Mutter eine gefälschte Bescheinigung ab, dass ihre Tochter bereits einer Behinterteneinrichtung vorgestellt worden sei. Wieder wurde dies nicht überprüft. Weder das Einwohnermeldeamt, das Schulamt, das Gesundheitsamt noch das Jugendamt wunderten sich, dass Jennifer einfach nicht zur Schule angemeldet worden ist. Jennifer einfach nirgendwo auftauchte.
Am 15. Juli 2009 alarmierte ein Nachbar schließlich die Polizei und Jennifer, die nun inzwischen schon 13 Jahr alt war, nach neun Jahren der Isolation, endlich befreit.
Ihr Zustand wurde als verwahrlost beschrieben. Sie trug noch eine Windel, hatte kaum noch Zähne und konnte nicht sprechen.
Ein Gutachten ergab später, dass Jennifer als gesundes Mädchen geboren wurde und nicht auszuschließen ist, dass sie nur durch den Umstand mangelnder Förderung körperlich sowie geistig zurückgeblieben sei. Hinweise auf körperliche/sexuelle Misshandlungen konnten nicht nachgewiesen werden.
Den Eltern wurde teilweise das Sorgerecht für ihre Tochter Jennifer entzogen aber nicht für ihre beiden Geschwister. Laut Kreisverwaltung waren Jennifers Geschwister nicht auffällig und in einem ordentlichen und sauberen Zustand. Nachdem Jennifer gefunden worden ist, wurden die Eltern und die beiden Geschwister ausserhalb ihres Wohnortes untergebracht. Im Hinblick auf das Wohl der Geschwister wollte man diese, nach Herausnahme ihrer Schwester aus der Familie, nicht auch noch von ihren Eltern trennen, denn dies wäre, so die Ansicht einer Mitarbeiterin des Kreises Uckermark, einfach zu viel.
Jennifer wurde in einer Klink versorgt und anschließend in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht. Sie wurde ganz langsam an ihr neues Leben herangeführt. Sie lernt dort nun auch Sprechen, Lesen, Schreiben und sogar das Einmaleins. Auch besteht wieder, unter Aufsicht, Kontakt zu ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern.
Obwohl Jennifer von ihren Eltern über Jahre hinweg eingesperrt und vernachlässigt worden ist, sei Ziel, so der Landrat, sie zu ihrer Familie zurückzuführen. Denn ihre Eltern und ihre Geschwister seien nun mal ihre Bezugspersonen und es müsste abgewartet werden, wann die Familie wieder so stabil sei, dass sie Jennifer wieder aufnehmen könnte.
Gerichtsurteil:
Im August 2010 wurden die Eltern in einem nicht öffentlichen Prozess wegen Verletzung der Fürsorge- und der Erziehungspflicht schuldig gesprochen. Beide erhielten eine Haftstrafe von jeweils neun Monaten, welche zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Zudem ordnete das Gericht für Jennifers Vater an, dass dieser als Bewährungsauflage eine Geldbuße in Höhe von 200 EURO zu zahlen hat. Jennifers Mutter sollte 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Sie wurde ebenfalls wegen Urkundenfälschung verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Der Jugendhilfeausschuss beschloss, obwohl es eine Vielzahl von Fehlern gegeben hat, es keine personellen Konsequenzen für die zuständigen Behörden geben wird. Es konnte seitens des Jugendamtes nicht nachgewiesen werden, wer der Schuldige ist. Auch die Schulleiterin, die nicht meldete, dass Jennifer im Jahr 2002 nicht zum Schuleintritt erschienen ist, hatte keine Konsequenzen zu fürchten. Die Schulleiterin räumte ihren Fehler ein und bedauterte diesen aber letztendlich sei der Fall nun verjährt.