Daniel

Das ist die Geschichte des zweijährigen Daniel aus Berlin. Er starb am 07. September 2013 auf der Intensivstation des Klinikums Friedrichshain.

Daniel erblickte am 13. Januar 2011 das Licht der Welt. Seine Mutter, noch minderjährig, hatte sich vom leiblichen Vater bereits getrennt. Die Großeltern halfen so gut es ging und mit einem Jahr besuchte Daniel auch bereits einen Kindergarten. Aber Daniels Mutter hatte oft Streit mit ihren Eltern. Es störte sie, dass beide zu viel Alkohol tranken und Daniel seinen Großvater „Papa“ nannte. So suchte sie Hilfe beim Jugendamt. Bei ihren Eltern wollte sie keinesfalls bleiben, aber alleine mit Daniel zu leben, traute sie sich nicht zu. So zog sie Ende 2012 in ein Mutter-Kind-Heim und feierte dort auch Daniels zweiten Geburtstag mit ihm. An diesem Tag lernte sie ihren neuen Lebensgefährten kennen. Denjenigen Mann, der Daniel später das Leben nehmen würde. Doch im Mutter-Kind-Heim hielt sie es nicht lange aus. Zu viele Regeln, zu viel Kontrolle. Sie kehrte schlussendlich mit Daniel zurück zu ihren Eltern, von denen sie ursprünglich weg wollte.

Im Mai 2013 bezogen Daniels Mutter und ihr neuer Lebensgefährte eine gemeinsame Wohnung in Lichtenberg. Von nun an musste Daniel den neuen Lebensgefährten „Papa“ nennen.

Daniels Mutter wurde weiterhin durch das Jugendamt betreut. Das Jugendamt schilderte das Verhalten der Mutter gegenüber Daniel stets als liebevoll. Am 13. August 2013 erhielt das Jugendamt allerdings einen Anruf von Daniels Großvater, welcher den Verdacht äußerte, dass Daniel geschlagen würde, da er grün und blau im Gesicht gewesen sei.

Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes suchte nach diesem Hinweis umgehend die Familie auf, konnte aber keine Verletzungen an Daniel feststellen, die auf Misshandlung hingewiesen hätten.
Dennoch befürchtete das Jugendamt, Daniels Wohl sei gefährdet und schaltete das Familiengericht ein.

Denn wenn eine Mutter alle Hilfsangebote ablehnt und Auflagen nicht erfüllt, so gehört sie zu einer sogenannten Risikogruppe.

Der Anwalt von Daniels Mutter hielt dieses Vorgehen allerdings für vollkommen übertrieben.
Im Kindergarten fiel den Erzieherinnen auf, das Daniel oftmals zu spät oder gar nicht gebracht wurde. Weiterhin war er nicht altersgemäß entwickelt.

Mit der zur Seite gestellten Familienhelferin wurde die Zusammenarbeit verweigert. Die Wohnung befand sich in einem verwahrlosten Zustand. Daniels Schlafplatz war umlagert von Unrat, teilweise von kaputten Fahrrädern.

Das Jugendamt reichte Anfang Mai 2013 beim Familiengericht eine Gefährdungsmitteilung ein. Daniel sei zwar nicht akut, aber latent gefährdet und es forderte, dass seine Mutter und er wieder in einer Mutter-Kind-Einrichtung betreut werden würden. Das Jugendamt schlug vor, dass auch der neue Lebensgefährte dort untergebracht werden könnte, denn in ihm sah man keine Gefahr.

Das Familiengericht vertagte jedoch die Entscheidung und stellte der Familie einen Verfahrenspfleger zur Seite.

Eine Entscheidung, die zur Folge hat, dass in den kommenden drei Monaten keiner mehr nah dran sein wird an …der Mutter… und Daniel: Das Jugendamt wartet auf die Entscheidung des Gerichts, das Gericht wartet auf die Stellungnahme der Verfahrenspflegerin. Diese wird Daniel in der ganzen Zeit aber nur dreimal treffen, davon nur einmal zusammen mit (Name entfernt). Das sei das übliche Maß, sagt die Verfahrenspflegerin, für mehr werde sie auch nicht bezahlt. Quelle: Die Zeit, 09.04.2014

In drei Terminen kam diese Verfahrenspflegerin dann zu dem Entschluss, Daniel und seine Mutter könnten weiter auf sich allein gestellt leben. Es bestünde kein Anlass zur Sorge. Dass der Lebensgefährte gewalttätig sei und bereits Übergriffe auf Daniels Mutter stattgefunden hatten, wurde nicht bemerkt. So befand auch der Richter am 30. August 2013, dass alles bliebe wie es sei, ohne damit zu wissen, dass Daniel nur wenige Tage später dadurch sterben würde.

Die Beziehung der Eltern eskalierte mehr und mehr, es kam vermehrt zu Streitigkeiten. Daniel hatte Angst vor dem neuen Lebensgefährten seiner Mutter, da dieser zu unkontrollierten Wutausbrüchen neigte und auch die Polizei wurde einmal von Nachbarn hinzu gerufen, eine Meldung ans Jugendamt wurde seitens der Polizei nicht erstattet. Diese Meldung hätte vielleicht Daniels Leben retten können, denn das wäre ein weiteres Signal gewesen, dass sich Daniel in Gefahr befand.

Am 06. September 2013, um 01.30 Uhr nachts wurde Daniel wach und klagte über Bauchschmerzen. Seine Mutter gab ihm etwas Wasser und wechselte seine Windel. Anschließend schlief Daniel, nach Aussagen seiner Mutter, bis 8 Uhr morgens weiter. Nach dem Frühstück legte sie Daniel auf eine Couch, weil es ihm immer noch nicht besser ging und machte ihm eine DVD an. Daniel plagten angeblich öfter  Verstopfungen, wodurch er wohl auch dieses Mal wieder unter Bauchschmerzen litt. Gegen Vormittag kam ein Bekannter vorbei. Daniels Mutter und er beschlossen, einkaufen zu gehen und Pflaumensaft gegen Daniels Verstopfungen zu besorgen.
Daniel und sein Stiefvater blieben allein in der Wohnung zurück.

Gegen Mittag kamen Daniels Mutter und ihr Bekannter vom einkaufen zurück. Daniels Mutter beschloss allerdings, die Einkäufe von ihrem Bekannten in die Wohnung bringen zu lassen und selbst dem Frisör noch einen Besuch abzustatten. Als ihr Bekannter kurz nach 12 Uhr die Wohnung betrat, um die Einkäufe zu übergeben, lag Daniel nach wie vor auf der Couch und sah fern. Er verabschiedete sich und verlies die Wohnung. Um 14 Uhr kam Daniels Mutter wieder nach Hause. Sie fragte ihren Lebensgefährten nach Daniel, doch dieser äußerte nur, dass dieser schlafe und sie ihn nicht stören solle. Doch sie sah nach ihrem Sohn und fand ihn nackt auf dem Bett liegend vor. Daniel atmete schnell und schwer. Überall hatte er blaue Flecken. Auch an seinem Penis. Seine Mutter vermutete, das ihr Lebensgefährte dessen Vorhaut gewaltsam zurückgezogen habe, obwohl Daniel eine Vorhautverengung hatte.

Sie stellte ihren Lebensgefährten zur Rede. Selbiger sagte nur, er hätte Daniel Pflaumensaft gegeben, wovon er sich übergeben und „ausgeschissen“ hätte. Anschließend habe er ihn nur geduscht. Daniels Mutter wollte einen Arzt rufen, doch ihr Lebensgefährte winkte ab und beschwichtigte. Er versuchte Daniel erneut Pflaumensaft einzuflößen, aber Daniel konnte nichts mehr trinken. Seine Mutter schlug ihrem Lebensgefährten die Tasse aus der Hand und schrie, dass Daniel „nicht mehr kann“ und „einen Arzt braucht“!
Doch ihr Lebensgefährte gab nicht nach, bis es an der Tür klingelte. Der Bekannte stand wieder vor der Tür und Daniels Mutter sagte nur noch „Hilf mir!“ Der Bekannte fand Daniel, der sich ständig übergab und am ganzen Körper zitterte. Auch er war der Meinung, ein Arzt müsste aufgesucht werden, doch der Lebensgefährte nahm ihm das Handy aus der Hand. Erst als Daniel einen Kreislaufzusammenbruch hatte, die Augen verdrehte und nicht mehr ansprechbar war, ließ er zu, dass Sanitäter gerufen wurden.

Gegen 15.30 Uhr trafen die Sanitäter ein und versorgten Daniel, der wimmerte und stöhnte, noch im Treppenhaus. Im Krankenhaus war Daniel schon nicht mehr bei Bewusstsein, er hatte blaue Flecken und Blutungen am Kopf und an der Stirn, Hämatome über den gesamten Bauch und auch am Penis blaue Flecken, sein Bauch war hart wie ein Brett.

Daniel wurde sofort operiert. Dabei stellten die Ärzte eine Zerreißung des Darms fest. Trotz Operation ging es Daniel immer schlechter. Wieder wurde er operiert und ihm wurden zwei künstliche Ausgänge am Dünn- und Dickdarm gelegt.

Trotz aller Bemühungen starb Daniel einen Tag später, in den frühen Morgenstunden.

Daniels Mutter gab gegenüber den Ärzten an, dass sie am 06. September 2013 mit Daniel auf dem Spielplatz gewesen sei und er dort einen Unfall hatte. Anfänglich seien ihr nach dem Unfall keine Veränderungen an Daniel aufgefallen, jedoch bekam Daniel einige Zeit später Durchfall, erbrach sich und hatte Atemnot. Kein Wort davon, dass sie tatsächlich einkaufen war, ihr Sohn allein mit ihrem Lebensgefährten in der Wohnung war. Allerdings schenkten die Ärzte den Aussagen der Mutter ohnehin keinen Glauben, denn die Verletzungen konnten nicht von einem Unfall auf dem Spielplatz stammen. Selbst ein Sturz von einer Schaukel oder von einem Klettergerüst hätten nicht derartig schwerwiegende Verletzungen verursacht. Statt dessen deutete alles auf stumpfe Gewalt gegen Daniels Unterbauch hin, worauf die Ärzte die Polizei verständigten.

Einige Tage nach Daniels Tod verhörte die Polizei den neuen Lebensgefährten von Daniels Mutter. Dieser sagte aus, er sei mit Daniel alleine gewesen, genervt und überfordert gewesen, weil Daniel gejammert habe. Nach dem Duschen habe Daniel in der Wanne gesessen und ständig „aua, aua“ gesagt. Zudem hätte er nicht aufgehört zu heulen und zu schreien. Daraufhin habe er Daniel mit der linken Hand am Rücken festgehalten, so dass er nicht wegrutschte und ihm dann mit der rechten Faust einmal in den Bauch geschlagen.
Bei der Obduktion von Daniel stellten Gerichtsmediziner massive Verletzungen fest, die unmöglich durch einen einzigen Schlag entstanden sein konnten. Es mussten mehrere wuchtige und massive Schläge gewesen sein. Über die Verletzungen an Daniels Penis gab es keine Auskunft. Daher kann vermutet werden, dass es sich auch um einen Sexualdelikt gehandelt haben könnte.

Gegen den Lebensgefährten wurde Haftbefehl erlassen, gegen ihn wurde wegen Totschlags ermittelt.
Daniels Mutter wird, nachdem sie sich das Leben nehmen wollte, seit Februar 2014 in einer Psychiatrie behandelt. Für eine Stunde am Tag darf sie die Klinik verlassen, aber selbst das schafft sie kaum. Warum sie ihren Lebensgefährten noch schützen wollte, beantwortete sie in einem Satz:
„Manchmal ist die Wahrheit so schlimm, dass man sie nicht als Wahrheit sehen will.“

Es gab unzählige Hinweise auf die bevorstehende Katastrophe:
• Daniels Mutter rief die Großeltern väterlicherseits, an und bat, Daniel dort unterbringen zu können, da sie selbst derzeit nicht im Stande wäre, sich um Daniel zu kümmern. Die Großeltern nahmen Daniel für ein paar Wochen zu sich, aber das Jugendamt sowie die Verfahrenspflegerin bekamen hiervon nichts mit. Drei Wochen später kehrte Daniel zu seiner Mutter und deren Lebensgefährten zurück.
• Bereits im Juli fiel dem Großvater auf der Wange von Daniel ein Hämatom auf. Daraufhin holte er einen Nachbarn zu Rate, beide kommen zu dem Schluss, dass der blaue Fleck wie der Umriss eines Handabdrucks aussah. Auf Nachfragen des Großvaters, wer ihm den blauen Fleck zugefügt habe, antwortet Daniel „Papa“, demnach der neue Lebensgefährten seiner Mutter. Diesen blauen Fleck sah auch Daniels anderer Großvater und so berieten sich die beiden Großväter, was sie tun könnten. In einer Mail bat der Großvater, welchem der blaue Fleck zuerst aufgefallen war, die Sozialarbeiterin um Rücksprache, das Hämatom erwähnte er jedoch in dieser Mail nicht. Die Sozialarbeiterin reagierte nicht auf die Mail und der Großvater schickte erneute eine Mail mit Fotos der blauen Wange. Diese Mail erreichte aber das Jugendamt nie und auch der Großvater konnte später diese Mail in seinem Account nicht mehr auffinden. Drei Wochen, nachdem das Hämatom aufgefallen war, rief er direkt beim Jugendamt an, doch da war der blaue Fleck auf Daniels Wange bereits nicht mehr zu sehen. Allerdings bestätigen die anderen Großeltern die Verletzungen und das Jugendamt nahm Kontakt mit der Verfahrenspflegerin auf. Daniels Mutter und ihr Lebensgefährte wurden auf die Verletzung angesprochen, beide verneinten, dass Daniel geschlagen worden sei. Damit gaben sich alle, die hier hätten Daniels Schicksal verhindern können, zufrieden.
• Im anschließenden Prozess kam heraus, dass der Lebensgefährte Drogenprobleme hatte. Dem Jugendamt war dies nicht bekannt. Ebenso sagte die Mutter des Lebensgefährten aus, dass Daniel nach der Ohrfeige enorme Angst vor ihrem Sohn gehabt habe. Oft war ihr Sohn mit Daniel und seiner Mutter zu Besuch. Immer, wenn Daniel sich verkrochen hatte, wusste sie, dass wieder etwas passiert war. Vor Gericht sagte sie aus, dass Daniels Mutter wusste, dass ihr Sohn schnell gereizt reagierte. Jedoch half sie Daniels Mutter nicht, gegen ihren Sohn standzuhalten und erst recht half sie dem kleinen Daniel, ihrem Enkel, nicht.

Gerichtsurteil:
Am 14. April 2014 wurde der Lebensgefährte wegen Totschlags zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.
Im Urteil heißt es, der Lebensgefährte habe Daniel durch mehrere Faustschläge in den Bauch misshandelt, sodass dieser wenig später seinen Verletzungen im Krankenhaus erlegen ist. Zudem hatte der Lebensgefährte im Prozess einen Fausthieb zugegeben mit der Begründung, er sei überfordert gewesen.

Das Gericht sah jedoch keine „dramatische Überforderungssituation“, denn Daniels Mutter wäre nur kurze Zeit nicht in der Wohnung gewesen. Zwar habe der Lebensgefährte nicht den Tod von Daniel gewollt, aber ihn zumindest billigend in Kauf genommen. Auch nach den Misshandlungen hatte er die Bemühungen von Daniels Mutter, ihrem Sohn ärztliche Hilfe zukommen zu lassen, unterbunden.

Mit dem Urteil kam das Gericht annähernd den Forderungen der Anklage nach. Die Verteidigung des Lebensgefährten hatte allerdings auf einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge plädiert, nicht auf Totschlag.