Christopher

Dies ist die Geschichte von Christopher aus München. Er kam am 16. Juli 2007 auf diese Welt und verließ sie am 27. September 2008.

Christopher lebte mit seinen Eltern in einer Wohnung in München-Harlaching. Nach einem Jahr Elternzeit wollte die Mutter wieder einer Arbeit nachgehen. In der bisherigen Wohnung sei kein Raum für ein Kinderzimmer gewesen, also wollte die kleine Familie nach einer anderen Wohnung Ausschau halten. Leider reichte das Einkommen von Christophers Vater allein hierfür nicht aus. Auch einen Familienurlaub wollte sich die Familie einmal gönnen, doch hierfür war es notwendig, dass Christophers Mutter wieder arbeiten gehen würde.

Leider stellte sich die Suche nach einen Krippenplatz für Christopher als sehr schwierig, gar aussichtslos dar. Die Eltern vernahmen des öfteren auch, dass sie sich doch schon vor der Geburt von Christopher um einen Betreuungsplatz hätten kümmern sollen.

Schließlich erhielten die Eltern seitens des Jugendamtes eine Empfehlung für eine Tagesmutter. Seit drei Jahren war die Frau, die zukünftig den kleinen Christopher betreuen sollte, bereits als Tagesmutter tätig. Entschieden hatte sie sich für diese Tätigkeit, da sie als alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern, im Alter von zwölf und sechs Jahren, und auf Grund der Epilepsie der jüngsten Tochter, nicht mehr jede Arbeitstelle annehmen konnte. Da sie sich gerne mit kleinen Kindern beschäftigte, lag es quasi auf der Hand, sich zur Tagesmutter ausbilden zu lassen. So wäre auch gewährleistet, dass sie sich immer auch um ihre Töcher kümmern könnte. 115 Unterrichtsstunden absolvierte sie schließlich und auch ihre Wohnung wurde in Augenschein genommen und entsprach den Anforderungen, die das Jugendamt an eine Tagesmutter stellte.

Es folgte ein Kennenlernen zwischen Christophers Eltern und der zukünftigen Tagesmutter. Die Tagesmutter führte die Eltern durch ihre Wohnung und erklärt ihnen den Tagesablauf. Christophers Mutter wurde auch der Schlafpflatz für ihren Sohn gezeigt. Es war ein kleines Reisebettchen, da die anderen beiden zu betreuenden Tagespflegekinder bereits auf den Matratzen ihren Schlafplatz hatten.

Anfang September 2008 wurde Christopher, der inzwischen 13 Monate alt war, von seinen Eltern in die Obhut der Tagesmutter gegeben. Doch der kleine Junge hatte starke Eingewöhnungsprobleme, weshalb vereinbart wurde, dass Christophers Mutter durch die Tagesmutter zu informieren sei, wenn Christopher sich nicht beruhigen ließe und sie ihn dann abholen könne.

Am Abend des 24. September 2008 unterhielten sich Christophers Eltern noch darüber, ob sie die Betreuung nicht unterbrechen sollten. Letztendlich entschieden sie sich aber, noch einen Tag abzuwarten.

Wahrscheinlich hätten sie anders entschieden, wenn sie gewusst hätten, dass sich die Tagesmutter zunehmend vom Kochen, Windelnwechsel, Trösten und Spielen, gestresst fühlte. Auch der Umstand, dass sie Ärger mit einer Nachbarin wegen dem Lärm, der von den Kindern ausging, hatte, trug dazu bei. Sie hatte schlichtweg Angst, ihre Wohnung zu verlieren, gerade weil auch ihre Kinder sich dort so wohl fühlten. Erschwert wurde alles noch, als ihre jüngste Tochter im Kindergarten keinen Mittagsschlaf mehr abhielt und müde heimkehrte. Zudem konnte es vorkommen, dass die Tochter im Umgang auch sehr schwierig sein konnte. Dies war auch durch die Einnahme von Medikamenten aufgrund der Epilepsie geschuldet.

Am 25. September 2008 um 09.00 Uhr wurde Christopher von seinem Vater erneut bei der Tagesmutter abgegeben. Kurze Zeit später bekam Christopher etwas zu essen und wurde danach von der Tagesmutter in sein Reisebettchen zum Schlafen gelegt, wo er dann auch einschlief.

Gegen 12.30 Uhr erhielt die Tagesmutter einen Anruf vom Jugendamt.
Sie hatte diesem, wie vorgeschrieben, mitgeteilt, dass es mit dem kleinen Christopher Eingewöhnungsprobleme geben würde. Doch nun teilte sie mit, dass alles in Ordnung sei.

Christopher erwachte um 13.00 Uhr aus seinem Mittagsschlaf und fing an zu weinen. Die Tagesmutter ging ins Schlafzimmer und sah, dass Christopher an seinen Fingern saugte. Sie gab ihm seinen Schnuller und verließ das Zimmer wieder. Doch kaum hatte sie das Schlafzimmer verlassen, hörte sie Christopher wieder schreien. Sie suchte ihn abermals auf. Christopher stand in dem Reisebett und die Tagesmutter versuchte ihn wieder hinzulegen. Christopher jedoch wehrte sich und schrie weiter. Daraufhin packte die Tagesmutter den Jungen, hob ihn hoch und schüttelte ihn mehrfach. Christopher war nun ruhig. Die Tagesmutter legte den Jungen wieder in sein Bettchen und nach 30 Minuten hörte sie Christopher aus dem Zimmer röcheln. Als sie wieder nach ihm sah, entdeckte sie, dass er sich übergeben hatte und sorgte sich nun, dass sie ihn womöglich ernsthaft verletzt hatte. Kurz nach 14.30 Uhr alarmierte sie den Notarzt und Christophers Mutter.

Als Christophers Mutter und der Notarzt in der Wohnung der Tagesmutter eintrafen, lag Christopher mit geschlossenen Augen und völlig verkrampft auf einer Matte. Der Arzt fragte, was vorgefallen sei. Die Tagesmutter schwieg weinend, die Mutter erwähnte die Impfung vor einigen Tagen. Der Notarzt verabreichte daraufhin ein krampflösendes Mittel.

Auf dem Weg zum Krankenhaus öffnete Christopher die Augen, bevor er wieder Krampfanfälle erlitt. Im Krankenhaus angekommen, vermuteten die Ärzte eine Gehirnhautentzündung und fragten die Mutter, ob in den letzten Tagen etwas vorgefallen sei. Doch wieder verneinte sie dies und erwähnte abermals nur die Impfung und eine Mittelohrentzündung. Die Tagesmutter, welche auch mit ins Krankenhaus gefahren war, schwieg weiter.

Christophers Vater erreichte das Krankenhaus um 16 Uhr. Sein Sohn hatte einen Schlauch im Mund und war an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Wenig später verlegten die Ärzte den kleinen Jungen in ein anderes Klinikum. Die Eltern wurden darüber informiert, dass die Ärzte den Druck in Christophers Kopf mit einer Sonde messen müßten, hierzu aber ein Loch in seine Schädeldecke gebohrt werden müsse. Die Eltern willigten ein.

Letztendlich vermuteten die Ärzte ein Schütteltrauma und baten die Eltern abermals um Erlaubnis für einen Eingriff. Auch diesem Eingriff stimmten die Eltern zu, in der Hoffnung, er könnte ihrem Sohn helfen. Am nächsten Morgen jedoch mussten sie erfahren, dass alles Hoffen vergebens war. Der kleine Christopher wurde noch 24 Stunden künstlich am Leben erhalte,n bis auch ein anderer Arzt seinen Hirntod feststellte.

Am 27. September 2008 wurden die lebenserhaltenden Geräte abgestellt.

Laut Gerichtsmedizin war eine Hirnblutung durch das Schütteltrauma die Todesursache.

Beisetzung:
Christopher fand sechs Tage nach seinem Tod auf dem Ostfriedhof seine letzte Ruhe.

Gerichtsurteil:
Vor dem Landgericht München fand der Prozess um den Tod von Christopher statt.

Die angeklagte Tagesmutter hatte im Dezember 2005 den Grund- und Aufbaukurs, sowie etliche Fortbildungen absolviert und dann die Pflegeerlaubnis erhalten. Bei den jährlichen Hausbesuchen waren, neben des Vorhandenseins der notwendigen Qualifikationen, die Bereitschaft zur Weiterbildung, sowie kindgerechte Räume festgestellt worden. Das in der Verhandlung vorgelegte psychiatrische Gutachten bezeugte ihre psychische Stabilität zur Berufsausübung, sie neige allerdings zur Selbstüberschätzung.

Die Tagesmutter legte bei Verfahrenseröffnung auch ein umfassendes Geständnis ab. Sie habe das nicht gewollt, habe aber keine Kraft mehr gehabt. Sie war bis zuletzt fassungslos und hatte geglaubt, Christopher könne nichts passieren, da er ja schon so „groß“ gewesen sei.

Schließlich verurteilte man sie zu fünf Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge und 10.000,00 EURO Schmerzensgeld.

Dem Richter war bewusst, dass der Tagesmutter die Trennung von ihren beiden Kindern schwer fallen würde, doch die Eltern von Christopher würden dafür ihren Sohn nie wieder sehen.

Der Vater von Christopher sagte nach Urteilsverkündung:

„ Wir hassen sie nicht für das, was sie getan hat, sie war überfordert. Aber das hätte uns das Jugendamt sagen müssen. Uns tangiert es nicht, ob sie für fünf oder für zehn Jahre ins Gefängnis geht. Das bringt uns unser Kind auch nicht mehr zurück. Und da sie mittellos ist, hat das Schmerzensgeld auch eher symbolischen Charakter.“ Quelle: Süddeutsche Zeitung, 18.04. 2015

Nachtrag:
Nach Bekanntwerden der Geschichte wurde bundesweit eine Debatte über die Qualifikationen von Tagesmüttern losgetreten und es wurden genauere Kontrollen bei der Eignungsprüfung, sowie mehr qualifizierte Fachkräfte verlangt.