Benjamin-Pascal

Das ist die Geschichte vom Leidensweg des zweijährigen Benjamin-Pascal.

Eine Dokumentation von Hildegard Niestroj

I. Vorbemerkung

Diese Dokumentation wurde in der Absicht erstellt, sich in einem Fall von schwerer Kindesmisshandlung ein Stück weit Klarheit zu verschaffen. Benjamin-Pascal kam als 2-Jähriger zu Tode, weil er vor den Gefahren und Schädigungen durch seine leiblichen Eltern nicht wirksam geschützt wurde. Über Jahre hinweg wurden er und mindestens zwei seiner Geschwister in böswilliger Weise vernachlässigt. Die Wächterfunktion des Staates hat hier versagt, obwohl Jugendamt und Familiengericht frühzeitig eingeschaltet waren. Anhand unterschiedlicher Pressemitteilungen wird versucht die einzelnen Informationen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Durch die tabellarisch geordnete Erfassung der Lebensgeschichte des Kindes Benjamin-Pascal in chronologischer Abfolge kann der Prozesscharakter des ganzen Geschehens transparent werden. Zudem rückt der zeitliche Aspekt des sich in Lebensgefahr befindenden Kindes deutlich ins Blickfeld, so dass die volle Tragweite unterlassener familiengerichtlicher Entscheidungen sichtbar wird.

Aufgrund des vorliegenden Informationsmaterials konnten hier lediglich Fragmente des grausamen Geschehens schriftlich festgehalten werden. Doch es kann erahnt werden, was Benjamin-Pascal tagtäglich in familiärer Abgeschlossenheit gerade von denjenigen Menschen erfahren musste, von denen er Sicherheit und Geborgenheit erhoffen musste. Denn bei der Durchsuchung des Hauses und Geländes waren noch überall Spuren der Unmenschlichkeit sichtbar. Mit Aktivierung des eigenen Vorstellungsvermögens und entsprechender Sachkenntnis können durch die Dokumentation zumindest Umrisse von Benjamin-Pascals persönlicher Geschichte entstehen. Diese bilden eine Voraussetzung dafür, dass die unerträglichen Lebens- und Leiderfahrungen dieses Kindes in Erinnerung behalten werden, denn: Benjamin-Pascal darf nicht „im Nebel verschwinden“.Was ihm geschehen ist, soll und darf nicht in Vergessenheit geraten, damit anderen gefährdeten Kindern, in ähnlich aussichtslosen Situationen rechtzeitig eine Zukunftsperspektive außerhalb ihrer Herkunftsfamilie eröffnet wird. Denn der Staat ist nicht nur bei Abwehr von Gefährdungen des Kindeswohls zum Eingriff in die elterliche Sorge legitimiert, sondern verpflichtet, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Benjamins unmenschliche Behandlung, die Erniedrigungen und Demütigungen, der quälende Mangel seiner ungestillten Bedürfnisse, die kalte Gleichgültigkeit ihm gegenüber, und schließlich sein vermeidbarer Tod sind Anklage, zugleich aber auch Verpflichtung, die jedem Menschen innewohnende Würde auch und gerade bei einem schutzbedürftigen Kind zu achten.

II. Überblick des Fallgeschehens

Name:… Vorname: Benjamin-Pascal
geboren im April 2003, gestorben im März 2005, durch Obduktion festgestellte Todesursache: Unterernährung

Zum Tod von Benjamin:
Die Leiche des 2-jährigen Benjamin-Pascal  wurde am Dienstagnachmittag (28. Februar 2006) bei der Durchsuchung des von den Eltern bewohnten Grundstücks in Schlagenthin (Jerichower Land) gefunden. Die stark verweste Leiche des Kleinkindes lag verpackt in einem Jute- und Plastiksack in einer Kunststofftonne. Die Obduktion der Leiche ergab als Todesursache Unterernährung: „Völlig unterernährt, aber keine Anzeichen von Gewaltanwendung, so das erste Gutachten der Gerichtsmediziner. „Die Mutter will den Tod des Jungen nicht gemeldet haben, da sie befürchtete, dass ihr die anderen Kinder weggenommen würden.“

Ans Licht gekommen war der Fall durch die Aufmerksamkeit einer Ärztin des Krankenhauses in Burg: Bei der Untersuchung eines anderen Kindes der Familie hatte sie deutliche Symptome von Vernachlässigung festgestellt: Wundstellen im Windelbereich, fehlendes Unterfettgewebe, Unterernährung, Erfrierungen an den Füßen, Kopfläuse und eine totale Verschmutzung. Er musste stationär ins Krankenhaus aufgenommen werden. Als die Polizei daraufhin die Familie aufsuchte, bemerkten die Beamten, dass eines der insgesamt sechs Kinder der Familie fehlte. Die Abwesenheit des Jungen in Schlagenthin war von den Eltern immer wieder damit begründet worden, dass das Kind sich bei den Großeltern in Dessau bzw. bei der Schwester des Kindsvaters aufhalte. Nach etlichen Ausreden habe die Mutter schließlich gestanden, dass der im April 2003 geborene Junge im Frühjahr 2005 gestorben sei. „Gestorben, weil er nichts mehr gegessen habe und sie den Kleinen dann irgendwann entnervt >mit Quark zugefüttert< habe. Danach sei er >wohl an seinem Erbrochenen erstickt<, während des Mittagsschlafs, im Kinderbettchen neben dem Hundekorb.“

Kindesmutter:
26 Jahre (bei Geburt des ersten Kindes 18 J.);
Kindsvater:
28 Jahre (bei Geburt des ersten Kindes 20 J.)
Beide Eltern gingen keiner geregelten Arbeit nach.

Kinder des Paares:
(die Daten sind aus unterschiedlichen Pressemitteilungen zusammengestellt)
Jessica
8 Jahre (geb. 1997 od. 1998); „Die älteste Tochter ging zur Schule (1. Kl.), fiel nur auf, wenn sie vom Schulbus nach Hause lief.“
Justin
besuchte bis zum Mittag den örtlichen Kindergarten
Jasmin
war zusammen mit ihrem Bruder in der selben Kindergartengruppe; die Kinder seien vom Vater gebracht und mittags wieder von ihm abgeholt worden. Für ihr Alter seien die Kinder viel zu klein gewesen. Aufgefallen seien die riesigen Lunchpakete.
Benjamin-Pascal
geb. April 2003, Benjamin war das vierte der insgesamt sechs Kinder
Constantin
geb. 2004. Bei einer Untersuchung des Einjährigen im Krankenhaus wurden deutliche Symptome einer Vernachlässigung festgestellt.
Martin
geb. am 11. Okt. 2005; beim Fund der Leiche seines Bruders am 28.2.06 ist er 4 Monate alt. Laut Zeitungsinformation lebte er bereits in einer Pflegefamilie.

III. Versuch einer tabellarischen Erfassung der Daten anhand der – teils unterschiedlichen – Presseinformationen

Jahr 1999-2002
Wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht wurde die Mutter – nach Informationen der Mitteldeutschen Zeitung v. 3.3.06 – im Zeitraum von 1999 bis 2002 mehrmals angezeigt.

3 Jahre vor Benjamins Geburt – Jahr 2000
Bereits im Jahr 2000 wird die junge Mutter wegen >Misshandlung von Schutzbefohlenen< angeklagt, nachdem bei einer ärztlichen Untersuchung ihrer Kinder Unterernährung und Entwicklungsrückstände festgestellt worden sind. Die Entscheidung, gefällt von einer Jugendstrafkammer des Dessauer Amtsgericht, ist milde: “..die Mutter.. muss ein halbes Jahr lang mit dem örtlichen Jugendamt kooperieren.“ „Nach Medienberichten war Benjamins Mutter bereits in Dessau vor sechs Jahren wegen der Misshandlung Schutzbefohlener angeklagt worden. Eine Jugendstrafkammer des Amtsgerichts hatte eine Auflage gegen die damals 21-Jährige verhängt, wonach sie sechs Monate lang mit dem Jugendamt kooperieren musste, hieß es in Berichten des Hamburger Nachrichtenmagazins >DER SPIEGEL< und der >Bild am Sonntag<.“ Dass es zu Informationsverlusten zwischen den Behörden gekommen sei, wurde auf der Pressekonferenz am 02.03.06 festgestellt. Landrat Finzelberg und Landgerichtspräsident Remus bestätigten hier die Angaben, nach denen Jugendamt und Familiengericht nicht über ein Gerichtsverfahren informiert gewesen seien, bei dem die Eltern des Jungen in Dessau im Jahr 2000 wegen Kindesmisshandlung verurteilt worden waren…. Zwar habe man – so Finzelberg – von Aschersleben/Straßfurt einen Bericht über die Familie erhalten, ein Hinweis über die Verurteilung sei darin aber nicht enthalten gewesen.“ „Auch in ihrem früheren Wohnort Dessau waren die Eltern von Benjamin ein Fall für die Behörden. Im Jahr 2000 erhielten sie hier laut Jugendamt erstmals Hilfe zur Erziehung.“

Jahr 2001
„2001 erstattete das Jugendamt Anzeige wegen Kindesmisshandlung und beantragte den Entzug des Sorgerechts. Das Gericht entschied aber auf eine nochmalige Erziehungshilfe.“

Geburt Benjamin – April 2003
Geburt von Benjamin-Pascal als viertem Kind der Eltern …. Seine älteren Geschwister sind Jessica, Justin und Jasmin, wovon das älteste bei Benjamins Geburt 5 oder 6 Jahre alt gewesen sein müsste.

Benjamin 4 Monate alt – Anfang August 2003
Umzug der Familie aus dem Kreis Aschersleben – Straßfurt nach Stresow in den Landkreis Jerichower Land. „Als die Familie nach diversen Wohnungswechseln, im August 2003, ins Jerichower Land zieht, ist Benjamin bereits geboren und die alte Sache scheinbar im Behördenverkehr untergegangen. Sein Vater, dem wegen Arbeitsverweigerung die Sozialhilfe gekürzt worden ist, versucht gerade, eine Kleintierzucht aufzubauen, die Wohnung gleicht nach Zeugenaussagen einer Menagerie aus Hunden, Katzen, Schlangen und Echsen, zwischen deren Exkrementen die Kinder aufwachsen.“ „Der Vermieter in Stresow habe berichtet, dass das Haus (nach Auszug der Familie) vermüllt und nicht mehr bewohnbar gewesen sei.“

Benjamin 4 Monate alt – 07. August 2003
Wenige Tage nachdem die Familie aus dem Kreis Aschersleben – Straßfurt nach Stresow bei Burg umgezogen war: Hausbesuch des Jugendamtes. Grund dafür: Eine Information über die katastrophalen Zustände innerhalb der Familie.

13. August 2003
Es erfolgt der nächste Hausbesuch seitens des Jugendamtes. Daran nimmt auch ein Mitarbeiter des Familiengerichts Burg teil. „Bereits eine Woche nach dem Einzug klingelt das zuständige Jugendamt Burg. Der Vater rastet aus und bedroht die Mitarbeiter („Wenn ich eine Axt hätte!“), die am 13. August wiederkommen – diesmal in Begleitung der zuständigen Familienrichterin. Der Haushalt, das muss auch die Juristin feststellen, wirkt „verwahrlost“.

Benjamin ist ca. ½ Jahr alt – 01. Oktober 2003
Einsetzen einer sozialpädagogischen Familienhilfe. „Die Zusammenarbeit mit der hinzugezogenen Familienhelferin geht eine Zeitlang gut, die Mutter will von der Frau sogar lernen, wie man mit Kindern spielt. Dann aber verweigern die Eltern der Pädagogin erst den Zugang zu den Kinderzimmern, zeigen ihr den kleinen Benjamin nicht mehr und lassen sie schließlich gar nicht mehr ins Haus.“

Benjamin ist ca. 7 Monate alt – 22. Oktober 2003
Beendigung des gemachten Hilfsangebots einer sozialpädagogischen Familienhilfe, da die Sorgeberechtigten nicht bereit sind, die Hilfe anzunehmen: „Allerdings wurde diese drei Monate später beendet, weil das Paar mit dem Jugendamt nicht weiter zusammenarbeiten wollte.“

Benjamin ist ein Jahr alt – April 2004
Die Eltern verweigerten im April 2004 die Hilfe zur Erziehung. Seitens des Jugendamtes seien trotzdem regelmäßige Hausbesuche erfolgt, nachdem die Kindseltern die Zusammenarbeit verweigert hatten. „Drei- bis viermal im Monat war ein Mitarbeiter dort“, sagte der Jugendamtsleiter. Oft wurde er nicht ins Haus gelassen, einmal habe er sogar eine Morddrohung … erhalten. Anzeige wurde nicht erstattet. Stattdessen sei seitens des zuständigen Jugendamtes wegen Gefährdung des Kindeswohls im April 2004 ein erster Antrag und bis Oktober 2005 sechs weitere Anträge beim Familiengericht gestellt worden den Eltern das Sorgerecht für ihre vernachlässigt wirkenden Kinder zu entziehen (bzw. dieses einschränken zu lassen). Denen sei das Familiengericht nicht gefolgt. „Die Eltern, die die Leiche versteckten, hatten im Jahr 2004 eine Familienbetreuung abgebrochen. Das Jugendamt war mit Anträgen zur Entziehung des Sorgerechts für die sechs Kinder … vor Gericht gescheitert. Eine akute Gefahr, die das Amt berechtigt hätte, die Kinder aus der Familie zu holen, wurde nicht erkannt. Nach Angaben des Jugendamtes hat die Behörde im April 2004 einen Antrag gestellt, die Familie auf die Erziehungsfähigkeit hin zu begutachten. Die Gutachterin habe im April 2005 mit den Untersuchungen begonnen. Am 17. Februar 2006 lag schließlich das Ergebnis dieser Expertise vor.“

Benjamin ist 1,2 Jahre alt – Juni 2004
„Es folgt ein Auf und Ab, ein anonymer Anruf wegen Katzengestanks, eine Kontrolle, bei der wieder alles in Ordnung scheint. Bis auf die Gesundheit der Kinder: Ärzte attestieren Benjamin und seinen Geschwistern im Juni 2004  Hautauffälligkeiten mangels Hygiene, fehlende Impfungen, schlechte mentale und motorische Entwicklung.“

Benjamin ist 1,3 Jahre alt – 06. Juli 2004
Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB durch das Landratsamt an das Familiengericht. Hierzu auch die Mitteldeutsche Zeitung: „Der seit 2004 existierende Antrag des Jugendamtes, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen, sei nun noch einmal erneuert worden, so Werner (Jugendamtsleiter).“ Hierzu auch Röbel: „Am 6. Juli 2004 sieht das Jugendamt das Kindeswohl derart gefährdet, dass es beim Familiengericht den `Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes` der Eltern beantragt, ein Gutachten über deren `Erziehungsfähigkeit` oder wenigstens die Übergabe der Gesundheitsvorsorge an das Amt. Die Richterin aber sieht dafür `keine Entscheidungsgrundlage` – nur die Erstellung eines Gutachtens will sie prüfen. Schließlich sei der Eingriff ins elterliche Sorgerecht eine schwerwiegende Maßnahme. Allein diese `Prüfung` wird mehr als zehn Monate dauern und beim Jugendamt das Gefühl `zunehmender Ohnmacht` auslösen. Insgesamt sechsmal ersucht die Fürsorge die Justiz schriftlich um die Einschränkung des elterlichen Sorgerechts – etliche Male informiert sie über Fehlzeiten in Schule oder Kita und über die mangelnde Bereitschaft der Eltern, Hilfe anzunehmen. Zeitweise seien die Kinder gar `im Nebel verschwunden`, da man ohne Gerichtsbeschluss keinen zwangsweisen Zutritt zur Wohnung riskieren mochte.“

Benjamin ist 1,4 Jahre alt – 31. August 2004
Wegen anhaltender Gefährdung des Kindeswohls: Beantragung eines Gutachtens zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Kindseltern.

Benjamin ist 1,5 Jahre alt – 15. September 2004
Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB durch das Landratsamt an das Familiengericht.

17. September 2004
„Am 17. September 2004 wird Benjamin das letzte Mal lebend von einer Amtsperson gesehen. Er sitzt brav auf der Wohnzimmercouch und bekommt Brei zu essen.“

Benjamin ist 1,7 Jahre alt – 17. November 2004
„Bei einer Zwischenverhandlung vor dem Familiengericht, im November 2004, wurden zwei Kinder – mit Einverständnis der Eltern – in Pflegefamilien gegeben. Dass Benjamin irgendwann fehlte, war – laut Landesgerichtspräsident Remus – allen Behörden aufgefallen. Mal sollte er sich angeblich bei den Großeltern, mal bei der Schwester des Vaters aufhalten. Wirklich überprüft wurden die Angaben der Eltern nie. „Da wurden Jugendamt und Gericht gelinkt“, sagte Remus.“

Benjamin ist 1 3/4 Jahre alt – 31. Dezember 2004
Antrag auf Entzug bzw. Einschränkung der elterlichen Sorge wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB durch das Landratsamt an das Familiengericht.

Benjamin ist 2 Jahre alt – März 2005
Tod von Benjamin-Pascal. Nach Aussage der Kindsmutter stirbt er im März 2005. „Wie lange der Junge hungern musste, werde sich wohl nicht klären lassen, so der Staatsanwalt Thomas Kramer. Bisher habe die Mutter nur ausgesagt, der Junge habe in letzter Zeit vor seinem Tod schlecht gegessen.“

Benjamin ist seit einem Monat tot – April 2005
Die vom Gericht bestellte Gutachterin beginnt lt. Pressemeldung (siehe April 2004) mit den Untersuchungen zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Kindseltern.

Benjamin ist seit 2 Monaten tot – Juni 2005
„Bereits zwei Monate vor dem Umzug der Familie nach Schlagenthin im August 2005 habe die Bürgermeisterin Petra Jarosch den Landkreis auf den „Problemfall“ in Stresow aufmerksam gemacht. „Der zuständige Sachbearbeiter teilte ihr (Bürgermeisterin) jedoch mit, dass es sich lediglich um einen „Grenzfall handelt“, sagte sie gestern der Volksstimme. Die Familie habe wohl nur andere Vorstellungen von Ordnung als die Bürgermeisterin.“

Benjamin ist seit 4 Monaten tot – August 2005
Umzug der Eltern von Stresow nach Schlagenthin. Benjamin ist bereits seit 4 Monaten tot. Mit dem Wohnsitzwechsel „verschwindet“ Benjamin-Pascal auch offiziell. „Den Behörden war auch nicht aufgefallen, dass die Mutter im August 2005 beim Umzug von Stresow ins benachbarte Schlagenthin zwar sechs Kinder am früheren Wohnort abgemeldet, aber nur fünf am neuen Wohnort angemeldet hatte. Die bis dahin auf dem Dachboden versteckte Kinderleiche von Benjamin-Pascal wird mitgenommen und nun auf dem Grundstück in Schlagenthin in einer Kunststofftonne versteckt gehalten. „Die Mutter habe in den Vernehmungen unter anderem angegeben, sie habe geplant, ihr totes Kind zu begraben, wenn es skelettiert sei.“ Nach dem Fund der Leiche von Benjamin-Pascal sagte ein Nachbar der Presse: „Ich habe schon vor einem halben Jahr (das heißt im August 04) den Bürgermeister über die Zustände hier informiert.“ „In dem Haus in Schlagenthin herrschten laut Kramer (Staatsanwalt) ebenfalls verheerende hygienische Zustände. Es sei ‘verdreckt, verkotet und zugemüllt’ gewesen.“ „Einmal (jedoch) sei ein LKW bei der Familie vorgefahren und habe eine Ladung Müll vor ihrer Haustür abgekippt, berichtet der Bürgermeister. >Das war Müll aus der Wohnung in Stresow, den sie nicht weggeräumt hatten<, will er wissen. Auch damals habe man sich nicht eingemischt.”

Benjamin ist seit 5 Monaten tot – September 2005
Antrag auf Entzug bzw. Einschränkung der elterlichen Sorge wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB durch das Landratsamt an das Familiengericht.

Benjamin ist seit 6 Monaten Tot – 11. Oktober 2005
Ambulante Geburt von Martin im Krankenhaus Burg. „Nach der Geburt von Martin am 11. Oktober 2005 wurde der Antrag auf Entzug des Sorgerechts ergänzt.“Das Jugendamt legt dem Krankenhaus ein Protokoll vor, um eine Entlassung des Neugeborenen aus dem Krankenhaus in die katastrophalen häuslichen Verhältnisse zu verhindern. Das Fazit lautet: „Der Säugling kann nach Einschätzung des Jugendamtes ohne vorliegende Prüfung der häuslichen Verhältnisse nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden.“

21. Oktober 2005
„Am 21. Oktober 2005 hatte das Jugendamt einen Hausbesuch in Schlagenthin durchgeführt, um sich über die Wohnverhältnisse zu informieren. „Der Vater öffnete die Tür, verweigerte jedoch den Zutritt.“ Der Vater der sechs Kinder habe die Mitarbeiter beschimpft und den Sachbearbeiter mit einer Axt bedroht. Zudem sagte er, dass er auch in Zukunft nicht gewillt sei, das Jugendamt ins Haus zu lassen. Ein Gespräch mit seiner Lebenspartnerin … untersagte er. „Ein Blick durch die Tür erlaubte die Sicht in Flur und Küche. Es bot sich ein chaotisches Bild, welches von äußerst starker Unsauberkeit und Unordnung gekennzeichnet war. Dazwischen diverse Haustiere. Es soll sich um fünf Hunde, vier Katzen, sowie Kaninchen, Ratten und Schlangen gehandelt haben.“

24. Oktober 2005
„In einem Eilantrag durch den Landkreis vom 24. Okt. 2005 wurden der Entzug des elterlichen Sorgerechts für die Kinder Jessica, Justin, Jasmin, Benjamin (war da bereits verhungert, die Redaktion), Constantin und Martin, sowie die Übertragung der Vormundschaft auf das Jugendamt gefordert. Dem Gericht lagen zu diesem Zeitpunkt bereits Anträge vor, die das Sorgerecht der Mutter für Jessica, Justin, Benjamin und Constantin einschränken sollten. Nach der Geburt von Martin am 11. Oktober 2005 wurde der Antrag auf Entzug des Sorgerechtes ergänzt.“

27. Oktober 2005
Antrag auf Entzug bzw. Einschränkung der elterlichen Sorge wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB durch das Landratsamt an das Familiengericht. In der Magdeburger Volksstimme heißt es hierzu wörtlich: „Anzeigen wegen `Gefährdung des Kindeswohls` durch das Landratsamt an das Familiengericht datieren vom 6. Juli, 31. August 2004 (Beantragung des Gutachtens), 15. September und 31. Dezember 2004, sowie vom 20. September 2005, 24. Oktober und 27. Oktober 2005.“

Benjamin ist fast seit einem Jahr tot – 17- Februar 2006
Das im April 2004 vom Jugendamt beantragte Gutachten liegt vor. (Aufnahme der Untersuchungen zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Kindseltern: April 2005). „Über die Kernaussage des Gutachtens wurde gestern durch Landgerichtspräsident Dieter Remus informiert: Es sei „grenzwertig“, die Eltern seien aber als erziehungsfähig eingestuft worden.“„Das Gutachten lag, nach sieben Besuchen, erst im Februar 2006 vor und verneinte die Erziehungsfähigkeit der Eltern nicht, auch wenn es den Fall als „grenzwertig“ bezeichnete.“

Fund der Leiche von Benjamin – 28. Februar 2006
Bei der gezielten Durchsuchung eines Hauses in Schlagenthin (Jerichower Land) entdeckt die Stendaler Mordkommission auf dem Grundstück die verweste Leiche Benjamins. Wann und wie der Junge starb, soll die Obduktion ergeben. Die Ermittler gehen von „Tötung durch Vernachlässigung“ aus.

2 Tage nach dem Fund seiner Leiche – 02. März 2006
Pressekonferenz in Burg mit Landgerichtspräsident Dieter Remus als Vertreter des Familiengerichts, Lothar Finzelberg als Landrat vom Jerichower Land, sowie dem Jugendamtsleiter Wilfried Werner aus Burg (Kreisbehörde), wobei „zwei Tage nach dem Fund der Leiche niemand den Schwarzen Peter haben will.“

  • Wegen Gefährdung des Kindeswohls seien, nach Verweigerung der Hilfe zur Erziehung durch die Eltern, im April 2004 der erste und im Laufe der Zeit sechs weitere Anträge bis Oktober 2005 gestellt worden, den Eltern das Sorgerecht für ihre vernachlässigt wirkenden Kinder zu entziehen. Denen sei – so Landrat Finzelberg – das Familiengericht nicht gefolgt.
  • Eine akute unmittelbare Gefahr habe man nicht erkennen können, so Finzelberg. Nur die hätte das Amt nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zum sofortigen Eingreifen berechtigt, sagte er.
  •  „Die Qualität der Tatsachenermittlung und die Unaufrichtigkeit der Eltern, urteilte Dieter Remus, hätten der Justiz keine eindeutige, zwingende Handhabe geboten.“(54)
  •  Während der Pressekonferenz verweist Landrat Finzelberg, ebenso wie auch Landgerichtspräsident Remus, auf das hohe Gut der Unverletzlichkeit von Familie und Wohnung.(55)
  • Die Familienrichterin und eine Gutachterin, die im April 2005 beauftragt wurde (im April bzw. Aug. 2004 war das Gutachten durch das JA beantragt worden), hätten sich ein Bild der Zustände vor Ort gemacht, aber nicht derart katastrophale hygienische Bedingungen entdeckt, wie sie jetzt von der Staatsanwaltschaft und den Medien beschrieben wurden: verdreckt, verkotet, vermüllt. „Wenn wir kommen, dann ist aufgeräumt“, so Remus.
  • Es ist zu fragen, warum ausgerechnet das Kind/die Kinder das Risiko zu tragen hatte/n (im wahrsten Sinne des Wortes, denn Benjamin hat mit seinem Leben dafür bezahlt!). Da eine Gefahr an Leib und Leben durch seine/ihre Eltern nicht auszuschließen war, hätte die Beweislast umgekehrt werden müssen. Die Kindseltern selbst hätten den Beweis zu erbringen gehabt, dass das Kindeswohl durch sie nicht gefährdet sei, und bei einem Verbleib weder Jessica, Justin, Jasmin, Benjamin-Pascal, Constantin noch Martin eine Schädigung für ihr Leben, die Gesundheit und ihre weitere Entwicklung davontragen müssten.

Benjamin wäre 3,7 Jahre alt gewesen – 15. November 2006
Das Landgericht Stendal verurteilt die Kindeseltern … wegen Misshandlung Schutzbefohlener zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren. Das Paar habe – so die Pressemeldung – Benjamin und mindestens zwei weitere Kinder über Jahre hinweg in böswilliger Weise vernachlässigt. Da die Todesursache Benjamins – vermutlich Unterernährung – nicht mehr eindeutig festzustellen sei, könnten sie nicht auch wegen Totschlags verurteilt werden.

IV. Einige Szenenschilderungen aus den Pressemitteilungen

Isolation:
Monatelang seien die Kinder nicht gesehen worden, die Zustände im Haus – ein Zusammenleben mit fünf, sechs Hunden, Schlangen, Ratten und Mäusen unter einem Dach – hielten die Anwohner für untragbar. „Zur Miete haben sie auf dem etwa 600 Quadratmeter großen Grundstück gelebt. >Am dörflichen Leben haben sie nie teilgenommen<, sagt Manfred Bothur, ein Nachbar. Von der Familie habe niemand etwas gewusst. Die älteste Tochter besuchte in der örtlichen Grundschule die erste Klasse…..Zwei benachbarte Frauen, die sich über den Gartenzaun hinweg Neuigkeiten zum grausamen Familiendrama austauschen, bestätigen, dass sie weder die Kinder noch die Eltern jemals auf der Straße gesehen hätten. Gehört habe man ebenfalls nie etwas.“

Gewalterfahrungen:
Das Jugendamt führt in Schlagenthin, am 21. Okt. 05, einen Hausbesuch durch. Benjamin-Pascal ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit 6 Monaten tot. Seine Leiche haben die Eltern versteckt. Der Kindsvater … öffnet die Tür, verweigert den Mitarbeitern jedoch den Zutritt. Der Vater der Kinder beschimpft die Mitarbeiter des Jugendamtes und bedroht den Sachbearbeiter mit einer Axt. Er sagt, dass er auch in Zukunft nicht gewillt sei, das Jugendamt ins Haus zu lassen. Ein Gespräch seitens des Jugendamtes mit seiner Lebenspartnerin …. untersagt er. Frage: Wenn bereits die Jugendamtsmitarbeiter Angst vor dem Kindsvater hatten, wie mag es dann erst den Kindern ergangen sein, die diesem Tag für Tag ausgeliefert waren?

Die Kinder versuchen auf ihre schlimme Lage aufmerksam zu machen:
„Ins Haus gelassen hat der Vater niemanden, heißt es im Dorf. Selbst als die Polizei einmal gerufen wurde, weil die Kinder allein waren und an die Scheiben klopften, habe der hinzukommende Vater den Zutritt verweigert.“ Welche ungeheure Anstrengung ein Kind aufbringen muss, um Menschen innerhalb des sozialen Umfelds auf seine ausweglos scheinende Situation aufmerksam zu machen oder zumindest anzudeuten, dass es Hilfe benötigt, wird deutlich, wenn ein Kind – wie beispielsweise Hannah – äußert: „Wenn ein Kind etwas (über seine schlimme Lage) sagt, so muss man dies auf jeden Fall sofort beachten, denn vielleicht hat es später nicht mehr die Kraft dazu und sagt nie mehr etwas.“

Eindruck der Mutter eines anderen Kindergartenkindes:
Simone Schönwald, deren Sohn in dieselbe Kindergartengruppe geht, wie zwei Kinder des festgenommenen Paares, erzählt: Der Vater habe die Kinder in den Kindergarten gebracht und mittags wieder abgeholt. Die Mutter selbst habe sie nur ein einziges Mal gesehen. Aufgefallen seien die riesigen Lunchpakete der Kinder. Mindestens drei Stullen hätten die Kleinen immer dabei gehabt. Jedoch seien die Kinder für ihr Alter viel zu klein gewesen. Sie sähen jünger aus als sie seien. Vom Vater der Kinder habe sie keinen guten Eindruck gewonnen. Er habe unangenehm gerochen, kaum noch einen Zahn im Mund gehabt und sei immer in Jogginghose gekommen, sagt sie.

V. Fazit

Der dargestellte Fallverlauf zeigt deutlich, wie sowohl die anbietende, als auch die aufsuchende Fürsorge im Fall „Benjamin-Pascal“ versagten. Er bezahlte für ausbleibende eingreifende Hilfe – wie auch Kevin aus Bremen – mit schlimmen Leiderfahrungen und letztendlich mit seinem Leben. Die zuständigen Mitarbeiter in den Jugendbehörden haben versucht, das ihnen Mögliche zu tun: sie haben die Notwendigkeit der Hilfe rechtzeitig erkannt und diese angeboten, den ausbleibenden Erfolg registriert, die Familie von Benjamin-Pascal aufgesucht, vergebens Kooperationsangebote unterbreitet und folgerichtig, wegen voraussehbarer Erfolglosigkeit, den Eingriff in das Sorgerecht der vernachlässigenden und gewaltbereiten Eltern mehrfach beim Familiengericht beantragt.

Demgegenüber sind der zuständigen Richterin und auch der Gutachterin schwerwiegende Fehler vorzuwerfen:

  • Die Richterin sah wegen des schwerwiegenden Eingriffs in die elterliche Sorge keine Entscheidungsgrundlage zum Schutz der Gefährdung des Kindeswohls.
  • Sie hätte die deutlichen Warnhinweise und die erfolglosen Bemühungen des Jugendamtes ernst nehmen und – bei Zweifeln – selbständig ermitteln und auf eine zeitnahe Vergabe und Bearbeitung des Gutachtens hinwirken müssen.
  • Die Gutachterin hat nicht erkannt, dass das Kind zu Beginn der Begutachtung bereits tot war.
  • Das Begutachtungsergebnis mit Feststellung der Erziehungsfähigkeit der Kindseltern wird der Realität nicht gerecht, steht es doch in krassem Widerspruch zum Strafverfahren, in welchem diese wegen Misshandlung Schutzbefohlener verurteilt wurden, da sie Benjamin und mindestens zwei weitere Kinder über Jahre hinweg in böswilliger Weise vernachlässigt haben.

Wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen schwerster Kindesmisshandlung wird hier deutlich:

  • dass eingreifende und familienersetzende Jugendhilfemaßnahmen zum Schutz von Kindern dauerhaft erziehungsunfähiger Eltern unverzichtbar sind;
  •  Juristen und Sachverständige in Familiengerichtsangelegenheiten sich dringend Kenntnisse zur Thematik traumatisierender Kindesmisshandlungen und –vernachlässigungen aneignen müssen;
  •  bei einem effektiven Kindesschutz das Zusammenwirken von Jugendhilfe und Justiz bei Wahrung der jeweiligen Aufgaben im Interesse der gefährdeten Kinder zu stehen und im Zweifelsfall das Kindeswohl gegenüber dem Elternrecht Vorrang hat.

Quelle: http://www.agsp.de/html/a83.html