Andre

Das ist die Geschichte von Andre. Er starb im Alter von drei Monaten, am 22. Juni 2007.

Andre lebte mit seiner Mutter, deren Lebensgefährten, seiner elfjährigen Stiefschwester, sowie seinem sechzehn Monate alten Stiefbruder, in einer Dachgeschosswohnung, im nordrhein-westfälischen Iserlohn.

Die Familie wurde, bereits seit Oktober 2006, umfassend vom Jugendamt betreut. Seit März 2007 wurde die Familie, sechs bis acht Stunden pro Woche, von einer Familienhelferin aufgesucht.

Am 04. Juni 2007 suchte auch ein Polizeibeamter die Familie auf, um einen Haftbefehl für den Bruder von Andres Mutter zuzustellen, da der Aufenthalt des Bruders dort vermutet worden ist. Nach diesem Besuch erstattete der Polizeibeamte Mitteilung an das Jugendamt aufgrund der absolut unhaltbaren hygienischen Zustände in der Wohnung. Nachdem Mitarbeiter des Jugendamtes daraufhin die Wohnung aufsuchten, hätte sich die Wohnung am nächsten Tag, nach Eingreifen dieser Mitarbeiter, wieder in einem vertetbaren Zustand befunden.

Drei Tage vor Andres Tod, am 19. Juni 2007, besuchte wieder eine Familienhelferin die Familie. Andres Mutter erzählte noch, dass ihr kleiner Sohn wohl eine Erkältung habe und es wurde, für den 22. Juni 2007, ein Arzttermin vereinbart. Die Familienhelferin schenkte der Erkältung keine weitere Aufmerksamkeit und auch sonst fielen ihr keine Auffälligkeiten an Andres Zustand auf. Auch am 20. Juni 2007 erschien die Familienhelferin noch einmal bei der Familie, Andre sah sie an diesem Tag jedoch nicht.

Am 22. Juni 2007 erlitt Andre atemnot woraufhin seine Mutter den Notarzt rief. Als der Notarzt allerdings in der Wohnung eintraf, konnte er nichts mehr tun, Andre war bereits tot.

Die eintreffenden Ermittler fanden eine Wohnung im desolaten Zustand vor.

Auch eine Nachbarin erzählte später, sie habe auf Andres Geschwister aufgepasst, als Andre vom Notarzt abgeholt worden ist. Andres Bruder sei verdreckt gewesen und seine Trinkflasche völlig verschmutzt.

Andre hatte ein greisen Gesicht und seine Augen waren eingefallen. Er wog nur noch 4100 Gramm. Seit seiner letzten Vorsorgeuntersuchung im Mai 2007, sieben Wochen zuvor, hatte Andre nur noch 200 Gramm zugenommen. Zunächst wurde ein plötzlicher Kindstod vermutet, laut Obduktionsbericht starb Andre allerdings an Mangelernährung und fehlender Flüssigkeitszufuhr. Andre wurde nicht ausreichend mit Milchnahrung versorgt. Ob Mitarbeiter des Jugendamtes Andre vor seinem Tod die Unterernährung und die damit verbundene Austrockung hätten ansehen können, blieb im Bericht unbeantwortet.

Auf das Obduktionsergebnis, über welches das Jugendamt am 27. Juni 2007 informiert worden ist, wurde nicht reagiert. Erst am 13. Juli 2007 wurden Andres Geschwister vorsorglich in die Obhut einer Pflegefamilie übergeben.

Das Jugendamt wies alle Vorwürfe, eine Mitschuld an Andres Tod zu tragen, zurück und der Jugendamtsleiter sagte später, das dies ein dienstlicher Alptraum sei es aber nun mal keinen lückenlosen Kinderschutz gäbe. Die Worte des Oberstaatsanwalts Wolfgang Rahmer jedoch dürften dem Jugendamt noch lange in Erinnerung bleiben! Denn er würde erwarteten, dass einem Kind von einer Behörde mehr Verantwortung entgegenbracht werden sollte, als es von desolaten Familien zu erwarten sei.

Der Tod von Andre wurde nur durch Zufall öffentlich bekannt als nämlich Andres Mutter und ihr Lebensgefährte auf Grund einiger Betrugsdelikte verurteilt worden und der Richter bei der Urteilsverkündung erwähnte, dass noch ein weiteres Verfahren auf die beiden wegen des Todes ihres kleines Sohnes auf sie zukommen würde.

Beisetzung:
Der kleine Andre wurde am 03. Juli 2007 beigesetzt.

Nachtrag:
Alle Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen Andres Mutter und deren Lebensgefährten sowie auch gegen das Jugendamt wurden schließlich eingestellt. Es läge kein hinreichender Tatverdacht vor, da ein erneutes rechtsmedizinisches Gutachten den Tod von Andre auf Grund einer Mangelernährung nicht bestätigen konnte. Andre habe demnach an einem fieberhaften Virusinfekt gelitten welcher in Folge seines jungen Alters zu einem Flüssigkeitsmangel und dadurch zu seinem Tod geführt habe. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob Andre bei rechtzeitiger medizinischer Versorgung hätte gerettet werden können. Dem Jugendamt kann ebenso kein Fehlverhalten nachgewiesen werden, da diese beim Besuch, drei Tage vor Andres Tod, die ernsthafte Erkrankung nicht hätten erkennen können, wenn diese zu diesem Zeitpunkt denn überhaupt schon ausgebrochen war. Im Zweifel für den Angeklagten.

Die Frage, die sich nach Andres Tod jedoch hätte stellen müssen lautet, warum müssen drei Kinder unter unhaltbaren hygienischen Umständen leben worauf mehrfach von Aussenstehenden hingewiesen worden ist? Andre hätte, auf Grund der nicht hinnehmbaren Zustände in der Wohnung wöchentlich von einem Arzt untersucht werden müssen. Dies ist nicht geschehen.