Das ist die Geschichte von Lukas. Mit gerade einmal elf Monaten starb er am 21. Februar 2004. Lukas wurde bewusst von seinen Eltern vergessen. Vergessen zu füttern, vergessen zu pflegen und vergessen zu lieben, bis Lukas eines Tages nicht mehr atmete.
Lukas lebte mit seinen Eltern, seiner älteren Schwester sowie seinem Großvater zusammen in Thaden nahe Hanerau-Hademarschen (Schleswig-Holstein) in einem heruntergekommenen Haus. Das obere Geschoss des Hauses wurde von Lukas Eltern und seiner Schwester bewohnt. Schon vor seiner Geburt war Lukas nicht erwünscht und seinen Eltern lästig. Es reichte ihnen schon, dass sie sich um seine Schwester, welche zwei Jahre vor ihm zur Welt kam, kümmern mussten. Lukas wurde oft alleine gelassen. Fuhren seine Eltern die Großeltern besuchen, nahmen sie seine Schwester mit, doch Lukas ließen sie daheim zurück. Lukas, so sein Vater, würde immer nerven und man müsste auch viel zu viele Sachen mitschleppen, das sei einfach zu stressig. Auch der mit im Haus lebende Großvater interessierte sich nicht für ihn. Lukas wurde von allen Familienmitgliedern ignoriert, nicht wahrgenommen. Lukas war für alle einfach nur störend.
Irgendwann wurde Lukas ausquartiert, dorthin, wo man ihn nicht hörte und nicht sah. Ins Erdgeschoss zu seinem Großvater, weit weg vom täglichen Leben seiner Familie. Seiner Mutter war zwar bewusst, dass Lukas mehr und mehr vor sich hinvegetierte und sein Zustand immer bedenklicher wurde. Einen Arzt aufzusuchen wäre gar nicht möglich gewesen, da das Auto keinen TÜV mehr hatte. Lukas Vater verbat der Mutter mit anderen auch nur ansatzweise über Lukas zu sprechen, denn das Problem bekommt man schon alleine in den Griff. Je mehr Lukas verfiel, desto mehr wuchs die Angst, dass man ihnen die Tochter nehmen könnte, wenn jemand Lukas in diesem jämmerlichen und menschenverachtenden Zustand sehen würde. So wurde Lukas über Wochen hinweg wissentlich und willentlich im Erdgeschoss vergessen. Niemand sah ihn mehr, niemand sprach mit ihm, niemand fütterte ihn, niemand nahm ihn aus seinem Bettchen, um seine Windel frisch zu machen oder einfach nur um ihn zu berühren. Niemand kam, wenn er vor Verzweiflung und Hunger schrie. Lukas war auf sich allein gestellt, oben fand das Leben statt, im Erdgeschoss wurde er zum Sterben alleine gelassen.
Als Lukas schließlich still und leise, abgemagert auf 4,8 Kilo, sein einsames Leben ohne Liebe und Zuwendung verlassen hatte, erbarmten sich seine Eltern doch noch einen Arzt zu rufen. Nun war es jedoch zu spät.
„Lukas wird in einem Zustand, der »mit dem Leben nicht mehr vereinbar« ist, in die Rechtsmedizin Kiel gebracht. Sein ausgezehrter Körper besteht nur noch aus Knochen, die großen, toten Augen schauen aus dem Greisengesicht mit leidendem Blick ins Leere. Am Hinterkopf hat er kaum noch Härchen, weil er sich lange nicht bewegt hat und auch nicht berührt worden ist. Krabbeln und sitzen hat Lukas nie gelernt. Sein Unterleib befand sich im fortgeschrittenen Zustand der geschwürigen Auflösung – niemand hat ihn gewickelt. Bei der Obduktion kommt kaum mehr Blut, so ausgedörrt ist der kindliche Leichnam.“ Quelle: Zeit online, 21. April 2005
Gerichtsurteil:
Beide Elternteile verweigerten im Prozess die Aussage. Da Lukas Mutter erst zwanzig Jahre alt war, fiel sie unter die Schutzbestimmungen des Jugendstrafrechts. Auch der Großvater von Lukas wurde wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt, denn er hatte tatenlos zugesehen, wie sein Enkel qualvoll verhungerte und verdurstete.
Die Jugendstrafkammer verurteilte Lukas Eltern schließlich zu Haftstrafen von jeweils fünf Jahren wegen Totschlags durch Unterlassen/Körperverletzung mit Todesfolge. Die Strafe für Lukas Vater wurde auf sechs Jahre und vier Monate erhöht, da er vier Jahre zuvor seine damalige Ex-Freundin kurz nach der Geburt ihres Kindes vergewaltigt hatte. Diese Tat unterstreiche, so das Gericht damals, die Rücksichtslosigkeit und die Gleichgültigkeit von Lukas Vater.
Der Großvater erhielt eine Bewährungsstrafe von 21 Monaten.