Das ist die Geschichte von Anna aus Lübeck. Sie wurde am 5. Mai 1980 im Alter von sieben Jahren von einem pädophilen und bereits vorbestraften Nachbarn erwürgt.
Annas Mutter wurde sehr streng erzogen und wurde oft gedemütigt von ihrem Stiefvater, nachdem ihr leiblicher Vater die Familie verlassen hatte. Bereits in ihrer Kindheit wurde sie sexuell missbraucht. Mit 16 Jahren wurde sie zum ersten Mal schwanger und mit 18 folgte das zweites Kind. Während der zweiten Schwangerschaft wurde sie vergewaltigt. Beide Kinder gab sie sofort nach der Geburt zur Adoption frei. 1973 wurde Anna geboren, die nach der Geburt bei ihrer Mutter blieb.
Anna war ein sehr fröhliches und aufgeschlossenes Kind. Jedoch wurde schon sehr früh von ihr erwartet selbstständig zu werden. Denn ihre Mutter hatte wenig Zeit für Anna. Sie betrieb mit ihrem Lebenspartner, der auch der Vater der kleinen Anna war, ein Lokal in der Lübecker Altstadt. Viele ihrer Stammgäste waren Sonderlinge, Aussteiger, Hausbesetzer und Außenseiter. Für Anna nichts Besonderes. Sie hatte keine Angst vor solchen Menschen, denn sie verbrachte viel Zeit im Lokal der Eltern und kannte von klein auf nichts anderes. Da bis spät in die Nacht gearbeitet wurde, schlief die Mutter oft bis mittags und Anna kam zu spät oder gar nicht in die Schule. So hielt sie sich auch viel auf der Straße auf – unbeaufsichtigt.
Was erst im Laufe der Ermittlungen herauskam war, dass die Mutter auch Anna weggeben wollte. Sie wollte nicht mehr länger die Verantwortung für ihr Kind übernehmen, so dass sie mit dem Gedanken spielte, es in eine Pflegefamilie abzugeben. Bei den Behörden war Annas Mutter bekannt.
Am 5. Mai 1980 hätte Anna zur Schule gehen müssen. Nach einem Streit mit ihrer Mutter schwänzte sie aus Trotz und besuchte den Unterricht nicht. Am Nachmittag wollte sie ihre Freundin besuchen, doch diese war nicht Zuhause. Während Anna die Straße entlang lief, fiel sie dem 35-jährigen Nachbarn sofort ins Auge. Er war ein vorbestrafter Sexualstraftäter. Er wohnte mit seiner Lebensgefährtin im gleichen Haus wie Anna und ihre Eltern. Das kleine Mädchen durfte oft mit seiner Katze spielen. Er sprach die hübsche Anna mit den dunkelblonden Haaren an und lockte sie in seine Wohnung. Anna vertraute ihrem Mörder, denn er war ihr Nachbar.
Über mehrere Stunden hielt er das Mädchen in seiner Wohnung gefangen. In dieser Zeit soll er sie vergewaltigt haben. Anna durchlebte Todesängste, bis ihr Leben gegen 15 Uhr beendet wurde. Ihr Mörder schlang eine Strumpfhose um ihren Hals und zog so lange und immer fester zu, bis sie aufhörte zu atmen.
Nachdem er das kleine Mädchen erdrosselt hatte, fesselte er die Leiche und packte sie in einen Karton. Dann fuhr er mit dem Karton zum Ufer eines Kanals und verscharrte dort die Leiche. Er wollte verhindern, dass jemand seine abscheuliche Tat entdeckt.
Am gleichen Abend wollte er sich mit seiner Verlobten in einem Lokal treffen, doch diese überraschte ihn kurz nach der Tat. Sie war schockiert und konnte ihr Tatwissen nicht geheim halten. Aus diesem Grund vertraute sie sich einem Bekannten an, der daraufhin die Polizei verständigte. Die Beamten konnten Annas Mörder noch am selben Abend in seiner Wohnung verhaften.
Beisetzung
Anna wurde auf dem Burgtorfriedhof in Lübeck beerdigt. Das Grab wurde 2014 eingeebnet.
Gerichtsurteil
Annas Fall erlangte traurige Berühmtheit in der deutschen Kriminalgeschichte. Noch heute erinnern sich die Menschen an den Fall Bachmeier. Während das Schicksal des kleinen Mädchens eher in Vergessenheit geriet, blieb das, was ihre Mutter später tat, unvergessen. Sie wurde mit ihrer Tat zum Medienstar, als sie den Mörder ihres Kindes am 6. März 1981 in einem Lübecker Gerichtssaal mit sieben Schüssen niederschoss.
Annas Mörder war ein Pädophiler und Außenseiter in der Gesellschaft. Er war gelernter Schlachter und ein mehrfach vorbestrafter Sexualstraftäter. Seine erste Sexualstraftat konnte man ihm im Jahr 1975 nachweisen. Damals hatte er ein Kind sexuell missbraucht. Für diese Tat erhielt er eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. Es folgte eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Damals hatte ihm eine Gutachterin aufgrund seiner abnormen sexuellen Triebrichtung ein Suchtverhalten diagnostiziert. Des Weiteren kam die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass von dem Täter eine große Gefahr vor allem für Kinder ausginge. 1976 ließ sich der Täter freiwillig kastrieren, um seine Haftstrafe auf Bewährung auszusetzen. 1977 wurde er sodann mit einer positiven Prognose aus der psychiatrischen Klinik entlassen. Die Ärzte waren der Meinung, dass von ihm keine Gefahr mehr ausginge. Nach seiner Entlassung aus der psychiatrischen Klinik wurde die Reststrafe auf Bewährung ausgesetzt.
1978 suchte Annas Mörder einen Urologen auf für eine Hormonbehandlung. Dieser Behandlung wurde vom Gericht zugestimmt, da er körperliche Beschwerden entwickelte und eine Verlobte an seiner Seite hatte. Zwischen 1978 und 1980 sprach der Urologe sieben Mal mit dem Mörder, spritzte und verschrieb ihm Hormonpräparate. Durch die Hormonbehandlung war sein Sexualtrieb nun wieder genauso wie vor der Kastration. Seitens der Ärzte sah niemand ein medizinisches Fehlverhalten. Annas Eltern erstatten gegen den Urologen ohne Erfolg Strafanzeige. Sie waren überzeugt davon, dass ihre Tochter noch am Leben wäre, wenn der Urologe die Hormonbehandlung nicht durchgeführt hätte.
Am 3. März 1981 begann vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Lübeck die Hauptverhandlung gegen Annas Peiniger. Er war wegen Mordes angeklagt. Der Beschuldigte gestand, er habe Anna mit einer Strumpfhose erwürgt. Jedoch bestritt er die Vergewaltigungsvorwürfe. Stattdessen gab er dem kleinen Mädchen eine Mitschuld. Sie habe ihn um 5 Mark erpresst: Entweder er gäbe ihr das Geld oder sie sage ihrer Mutter, dass er sie gestreichelt habe. Erst daraufhin geriet er in Panik und erdrosselte das wehrlose Mädchen.
Am dritten Verhandlungstag fällte Annas Mutter ihr eigenes Urteil gegen den Mörder ihres Kindes. Sie konnte die Aussage des Angeklagten nicht ertragen, dass ihre Tochter die Schuld an allem habe. Sie zog aus der Tasche ihres langen, dunklen Mantels eine Pistole und gab sieben Schüsse auf den Angeklagten ab. Sechs davon trafen den Angeklagten tödlich. Es waren gezielte Schüsse und man sah, dass Annas Mutter gut mit der Waffe umgehen konnte. Zeugen berichteten, die Mutter habe heimlich das Schießen geübt. Sie wurde noch im Gerichtssaal festgenommen. Annas Vater stand strahlend im Flur des Gerichtssaals und wiederholte mehrmals:
„Sie hat es getan. Sie hat es wirklich getan!“
Quelle: Kieler Nachrichten, 05.03.2016
Nun war auch sie eine Mörderin. Ab dem 5. März saß sie in Untersuchungshaft. Sie spaltete die Nation. Die einen sympathisierten mit dieser „Rache-Mutter“, während die anderen die Selbstjustiz von Annas Mutter mit einem Rechtsstaat nicht in Einklang bringen konnten.
Am 2. November 1982 wurde Annas Mutter zunächst wegen Mordes angeklagt. Die Anklage ließ jedoch den Mordvorwurf später fallen. Das Verfahren gegen sie zog immenses öffentliches Interesse auf sich. Die Medien, genauso wie die Menschen, die gebannt den Fall Bachmeier verfolgten, waren hin- und hergerissen. Viele gaben der Justiz eine Mitschuld an der Tat, weil man Annas Mörder erlaubte, mit Hormonen seinen Sexualtrieb wieder herzustellen. Andere sahen in ihr eine schlechte Mutter. Man war der festen Überzeugung, dass sie ihr Kind vernachlässigt hatte und nur das Interesse der Medien erwecken wollte. Dann gab es noch jene Menschen, die eine große Sympathie für den Racheakt hatten. Annas Mutter stand nun in der Öffentlichkeit mit ihrer Tat und es schien, als hätte sie den Medienrummel genossen.
Die Anwälte der Verteidigung versuchten glaubhaft zu machen, dass die Mutter die Tat nicht geplant habe und machten mildernde Umstände geltend. Das Gericht folgte der Argumentation. Am 2. März 1983 wurde Annas Mutter durch die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Lübeck wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes zu sechs Jahren Haft verurteilt. Selbstjustiz wurde ihr vom Gericht nicht vorgeworfen. Ihre Handlung wurde als spontan angesehen. Dieser Prozess galt als einer der aufsehenerregendsten Prozesse der Nachkriegszeit.
Marianne Bachmeier wurde nach drei Jahren Haft wegen Suizidgefahr vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. 1985 kehrte sie Deutschland den Rücken und zog mit ihrem Ehemann nach Nigeria wo sie bis zur Scheidung 1990 lebte. Danach zog sie nach Sizilien, wo sie als Sterbebegleiterin in einem Hospiz in Palermo bis zu ihrer Krebsdiagnose lebte. Dort schrieb sie auch ein autobiografisches Buch. Als sie erfuhr, dass sie sterben wird, kehrte sie nach Deutschland zurück. Die Mutter starb am 17. September 1996 mit 46 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie wurde im Grab ihrer Tochter Anna beigesetzt.