Dies ist die Geschichte von fünf Neugeborenen aus Wernigerode (Sachsen-Anhalt). Sie wurden von ihren Eltern unmittelbar nach der Geburt getötet:
Junge, † Juli 1984
Junge, † Juli 1985
Junge, † Juli 1986
Junge, † Oktober 1987
Mädchen, † 16.12.1988
Die Mutter wuchs als Einzelkind in Wernigerode auf und besuchte 7 Klassen der Polytechnischen Oberschule (Schulsystem der damaligen DDR mit insgesamt 10 Klassen) bevor sie eine Teilausbildung als Wirtschaftshilfe absolvierte. Geld verdiente sie jedoch hauptsächlich als Kellnerin.
Der Vater wuchs ebenfalls als Einzelkind auf. Da sein Vater Alkoholiker war und die Eltern sich scheiden ließen, lebte er zeitweise in einem Kinderheim. Sowohl Schule als auch eine Ausbildung zum Maurer hatte er frühzeitig abgebrochen. So war er wechselnd tätig als Hilfsarbeiter, Heizer, Maurer, Maler und Hausmeister. Während eines Urlaubs in Wernigerode begegnete er seiner zukünftigen Frau. Er zog in ihr Elternhaus ein und wurde von ihrer Familie freundlich aufgenommen. Grund für den Umzug war die erneute Heirat seiner Mutter mit einem Alkoholiker.
1971 heiratete er schließlich die damals 18-Jährige. Noch im gleichen Jahr kam ihr erster Sohn Mirko zur Welt. Zwei weitere Kinder folgten in den Jahren 1973 und 1974. 1978 gebar sie in einer Klinik ein Mädchen, das 14 Stunden nach der Geburt starb. Zwei weitere Kinder brachte sie 1979 und 1983 zur Welt.
Zusammen mit ihren fünf Kindern lebten sie in einem Mehrfamilienhaus. Da sich die Mutter um die Kinder kümmerte, konnte sie nicht arbeiten gehen.
Eine Hausbewohnerin berichtete, dass die Wohnung in keinem ordentlichen Zustand war. Dies bestätigte eine Jugendhelferin, die jährlich zu einem Kontrollbesuch kam. Einer der Söhne war Bettnässer, doch die Betten waren weder bezogen noch wurde die Wäsche gewaschen.
Im Jahr 1984 begann die Mutter Alkohol in größeren Mengen zu konsumieren. Durchschnittlich waren es vier bis fünf Flaschen Schnaps pro Woche.
Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits mit dem siebten Kind schwanger. Es war ein Junge, den sie im Juli heimlich Zuhause entbunden hatte. Er durfte jedoch nicht mit seinen Geschwistern aufwachsen, sondern wurde allein in einem Schließkorb zurückgelassen bis er erstickte. Der Vater verbrannte seinen Leichnam im Ofen eines Kurheims wo er als Heizer arbeitete.
Drei weitere Jungen kamen im Juli 1985, Juli 1986 und Oktober 1987 zur Welt und mussten das gleiche Schicksal erleiden. Auch sie wurden zum Sterben unter Lumpen oder einer Matratze in den Schließkorb gelegt. Die verzweifelten Schreie gingen in ein Wimmern über, bis sie schließlich erstickten. Besonders grausam war hierbei die Emotionslosigkeit des Vaters. Der Schließkorb befand sich in seinem Schlafzimmer. Während die Neugeborenen langsam und qualvoll erstickten, legte er sich schlafen. Eine psychologische Gutachterin bezeichnete dies als „soziale Verwahrlosung“.
Verheimlichen konnte die Mutter all die Schwangerschaften nicht. Hausbewohner und Nachbarn sprachen sie stets darauf an. Sie redete sich jedoch mit notdürftigen Erklärungen wie Blutstau heraus. Geglaubt hatte ihr niemand und vor Gericht sagte eine Bewohnerin aus, dass alle im Haus von den Schwangerschaften wussten. Unternommen hatte niemand etwas. Alle schwiegen. Keiner alarmierte die Polizei. Man ging stattdessen davon aus, dass die Kinder zur Adoption freigegeben wurden.
Die Jugendhelferin bemerkte die Schwangerschaften ebenfalls. Die Begründung des dicken Bauches aufgrund all der Geburten glaubte sie der Mutter nicht. Als ihr bei mehreren Hausbesuchen die Tür nicht mehr geöffnet wurde, war die Sache für sie erledigt. Auch sie schaute weg anstatt Hilfe zu holen.
1988 begann sie in einem Betrieb als Reinigungskraft zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit ihrem elften Kind schwanger. Ihre Kolleginnen bemerkten dies schnell, doch sie redete sich wie gewohnt heraus und stritt die Schwangerschaft ab. Am 16. Dezember 1988 brachte sie Zuhause ein Mädchen zur Welt. Ihr 17-jähriger Sohn Mirko musste ihr beistehen und seine kleine Schwester töten. Eine Aufgabe, die sonst der Vater übernommen hatte. Mirko musste dem Neugeborenen Zellstoff auf das Gesicht legen und es dann in eine Decke einwickeln. Ein jüngerer Bruder half ihm dabei, das Baby in den Schließkorb zu legen. Bevor sie ihn verschlossen, legten sie zusätzlich eine Matratze obenauf.
Als eine ihrer Kolleginnen nach längerer Krankheit im Januar 1989 wieder zur Arbeit kam, sprach sie die Mutter auf die Geburt an, da sie nicht mehr schwanger aussah. Sie gab an, eine Fehlgeburt gehabt zu haben. Doch als sie auf Nachfragen berichtete, dass sie weder in der Klinik war noch ein Arzt gerufen wurde, flogen die Kindstötungen auf. Die Personalbetreuerin veranlasste, dass die Mutter eine Frauenklinik aufsuchte. Dort konnte sie dem Druck der Ärzte nicht standhalten und gab schließlich zu, das Mädchen direkt nach der Geburt getötet zu haben.
Gerichtsurteil:
Die Urteilsverkündung der Eltern erfolgte zwar nach dem Mauerfall im November 1989, doch noch vor Auflösung der DDR im Oktober 1990. Sie wurden daher nach geltendem Strafrecht der DDR verurteilt.
Dass das Ehepaar nicht ins Weltbild des Sozialismus passte, bekam es bereits zu Beginn des Verfahrens zu spüren. Niemand wollte mit ihnen zu tun haben. Selbst Anwälte lehnten das Mandat ab und unterstrichen den Abscheu, den die Gesellschaft empfand.
Morde und schwere Verbrechen wurden zu DDR-Zeiten vor der Öffentlichkeit und auch vor den Opfern bzw. deren Angehörigen oft vertuscht. Was verboten war, sollte es nicht geben.
Die Pflichtverteidiger, die kurz vor Verfahrensbeginn bestellt wurden, betonten deutlich, dass es ihnen nur um die Verteidigung ginge und die Einhaltung einer rechtsstaatlichen Verfahrensweise. Sie distanzierten sich deutlich von den Eltern.
Die Gutachten über die Eltern wurden erstellt von einer klinischen Psychologin sowie einer stellvertretenden Leiterin einer Psychiatrie. Über die Mutter hieß es:
„Erhebliche Bequemlichkeitshaltung“, „mangelnde Anstrengungsbereitschaft“, „hat sich nicht um Problemlösung wegen der Schwangerschaften bemüht“, „hat sich nicht um eine gesetzliche Lösung bemüht, obwohl sie wusste, dass es sie gab.“
Sie wurde als „moralisch verwahrlost“ bezeichnet ohne jegliche Ansprüche an das Leben. Ihre Ziele würden sich auf Tagesbedürfnisse reduzieren. Betont wurde auch die Bequemlichkeit der Mutter. Sie hätte Arbeit suchen sollen, um ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Ganz nach den Grundsätzen der „Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik“. Im Gutachten wurde festgehalten, dass sich die Mutter nur „treiben ließ“ und in den „Tag hineinlebt“.
Beim Vater wurde eine „Intelligenzminderung“ festgestellt. Zudem könne er sich nicht durchsetzen und sei nicht in der Lage das Leid seiner Mitmenschen nachzuempfinden.
Erklären musste die Mutter vor Gericht auch, warum sie nicht verhütet oder wenigstens abgetrieben hatte. Außer den üblichen Klischees gab es jedoch keine Erklärungen. Ein Kondom sei nicht gewollt gewesen, die Pille verursachte Übelkeit und das Berechnen des Zyklus hatte nicht funktioniert. In der Klinik wurde ihr nach dem sechsten Kind sogar die Spirale oder Sterilisation empfohlen worden. Sie lehnte ab.
Die Mutter redete sich heraus mit einer Angst vor Ärzten. Insbesondere vor Frauenärzten. Bei ihrer dritten und vierten Geburt in den Jahren 1974 und 1978 hatte sie die Klinik frühzeitig gegen den Willen der Ärzte verlassen.
„Sie sagt, bei dem Kind 1985 habe sie Angst vor einer Fehlgeburt gehabt. Angst vor der Fehlgeburt eines Kindes, das sie später ohnehin zu töten gedachte? „Dann wäre das Problem der Schwangerschaft doch gelöst gewesen!“ Die Juristen sind fassungslos. „Ich hatte versucht, das Kind auf eigene Gefahr mit Rotwein abzutreiben“, antwortet sie leise. „Ich habe Rotwein heiß gemacht, damit das Kind damit kaputtgeht.“ Der Anwalt besteht darauf zu erfahren, wovor sie Angst gehabt habe. „Dass vom Kind etwas drin bleibt . . . ich hätte dann müssen in die Schwangerschaftsberatung zur Ausschabung . . . dass man merkt, dass ein Kind fehlt . . .“
Die Gutachterinnen bezweifelten diese Ängste jedoch, da gerade dann weitere Schwangerschaften eigentlich hätten vermieden werden sollen.
So wurden letztendlich beide Elternteile zu jeweils 15 Jahren Haft verurteilt. Die Mutter wegen Kindstötung und Anstiftung zum Mord. Der Vater wegen fünffachen Mordes.