Dies ist die Geschichte von Dennis aus Hagen. Sein Leben endete im Alter von 13 Monaten aufgrund massiver Dehydration und Unterernährung. Auch das Engagement eines ehemaligen Freundes der Eltern gegenüber dem Jugendamt konnte den Tod des kleinen Jungen nicht verhindern.
Vorgeschichte:
Die Eltern lernten sich im August 1989 kennen. Bereits einen Monat später wurde das Mädchen, als Minderjährige, schwanger und begab sich sieben Monate später in eine Mutter-Kind-Einrichtung in Hagen. Im Juni 1990 erblickte das erste Kind der beiden das Licht der Welt. Fast ein halbes Jahr später verließ die Mutter die Einrichtung aufgrund immer wiederkehrender Konflikte mit der Einrichtungsleitung wieder. Sie zog in die Wohnung der Eltern des Vaters, welcher zu der Zeit einen Job als Zeitsoldat ausübte und kaum vor Ort war. Da die Mutter immer noch nicht volljährig war, übernahm die Schwiegermutter in spe die Verantwortung für das Kind auf Anfrage des Jugendamtes. Aufgrund dessen gab es aus staatlicher Sicht keinen weiteren Handlungsbedarf.
Ein Vierteljahr später bezogen die Eltern eine gemeinsame Wohnung, ebenfalls in Hagen. Die Beziehung stellte sich allerdings als unreif heraus, da es zur Untreue seitens der Frau kam. Dennoch heirateten die Eltern über ein Jahr später, was die Beziehung der beiden jedoch immer noch nicht festigte. Ganz im Gegenteil. Die Situationen eskalierten immer häufiger durch gewaltsame Übergriffe seitens des Ehemanns auf seine Frau und endeten mit einer Anzeige wegen Körperverletzung ihrerseits. Zusätzlich waren die Ein- und Auszüge der Ehefrau, sowie das Einreichen und Zurückziehen von Scheidungsanträgen weitere Fakten der negativen Beziehung. Die, bis auf kurzzeitige Ausnahmen, ständige Arbeitslosigkeit der Eltern förderte die schädliche Atmosphäre dieser Ehegemeinschaft. Letztendlich übergaben sie die Verantwortung für ihr bis dato erstes Kind dauerhaft an die Schwiegereltern väterlicherseits.
Dennis
Kurze Zeit später wurde die Frau ein zweites Mal schwanger. Angeblich fehlte das Geld für geeignete Verhütungsmittel. Der Ehemann zweifelte aufgrund der vorangegangenen Untreue seiner Frau die Vaterschaft an. Am 11. Februar 1994 wurde Dennis geboren und wog 3050 Gramm. Knapp vier Monate später bemerkte eine Babysitterin, dass etwas mit Dennis´ linkem Auge nicht stimmte. Zuerst tränte es und kurz darauf legte sich ein milchiger Schleier auf die Pupille. Auf Initiative der Babysitterin suchte man umgehend einen Arzt auf und es wurde ein Glaukom (auch „Grüner Star“ genannt) bei dem kleinen Jungen diagnostiziert. Das Kind kam zeitnah, zur stationären Operation und Nachbehandlung in eine Augenklinik wurde allerdings während der ganzen Zeit nicht von seinen Eltern besucht. Lediglich der Vater erkundigte sich einmal telefonisch nach dem Befinden seines Sohnes. Die ärztlich angeordneten Nachuntersuchungen wurden, sowie die Standard Früherkennungsuntersuchungen (U1 – U9) nicht wahrgenommen.
Stattdessen häuften sich die Ausgänge der Eltern, sodass Dennis abends, nachts und schließlich auch tagsüber sich selbst überlassen wurde. Zum Desinteresse an dem eigenen Kind kam eine allgemeine Resignation wegen Überschuldung und mangelnder Zukunftsperspektive hinzu.
Zwischenzeitlich bemerkte eine Nachbarin, was für einen abgemagerten Eindruck das Kind machte und wollte das Jugendamt informieren. Daraufhin drohte der Vater ihr körperliche Gewalt an. Eines Tages kam ein Freund des Ehemanns zu Besuch. Dieser empfand den Gesamtzustand der Wohnung als unsauber und unaufgeräumt. Insbesondere aus dem Kinderzimmer meinte er einen Katzenurin-ähnlichen Geruch wahrzunehmen (Anmerkung: Dieser Umstand tritt unter anderem bei Personen ein, deren Urin wegen Dehydrierung nach Ammoniak riecht). Der Freund stellte die Eltern lautstark zur Rede. Dieser Umstand sei für das Wohl des Kindes aus seiner Sicht nicht tragbar. Als Konsequenz der Auseinandersetzung wurde er der Wohnung verwiesen. Dennoch benachrichtigte er gleich am nächsten Tag das Jugendamt und schilderte seine Beobachtungen. Zudem äußerte er sich zutiefst besorgt über den Gesundheitszustand des Kindes. Der Bauch des Jungen sei klebrig und der Genitalbereich vom Pilzbefall betroffen. Man könne ebenso eine Unterernährung erkennen. Der Mann fügte ebenfalls hinzu, dass Dennis oft allein gelassen würde und es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf die Mutter kommen würde. Sollte das Jugendamt nicht unverzüglich handeln, betonte der Mann, würde er das Kind selbst aus der Wohnung holen.
Die Mitarbeiter des Jugendamtes entschlossen sich zum sofortigen Handeln und begaben sich noch am selben Tag zur Wohnung der Eltern. Es wurde niemand angetroffen, da die Wohnungstür nicht geöffnet wurde. Ein weiterer Versuch wurde gleich am nächsten Tag unternommen. Der Mitarbeiter des Jugendamtes kündigte den Besuch eine Stunde vorher an. Diese Zeit nutzten die Eltern um Dennis zu versorgen und Ordnung in das Chaos zu bringen, soweit es die verbleibende Zeitspanne zuließ. Die beiden Beamten des Jugendamtes trafen die Eltern an und machten sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort. Die Eheleute gaben an, dass sich der besagte Freund lediglich für einen missglückten Annäherungsversuch an die Ehefrau rächen wolle. Dennis lag während des ganzen Gespräches ungewöhnlich ruhig auf dem Boden und wirkte schmal und blass. Die Vertreter des Jugendamtes stellten ebenfalls den Pilzbefall im Genitalbereich und Po fest. Allerdings sei das Kind bereits in Behandlung, sagte die Mutter aus, mit Nennung des Kinderarztes. Anstatt den Rest der Wohnung zu besichtigen, insbesondere das Kinderzimmer, gab es Ratschläge zum Kontaktieren von Ehe- und Mütterberatungsstellen. Einen akuten, sofortigen Handlungsbedarf erkannten die Beamten nicht und verließen die Wohnung. Somit besiegelten sie den Tod des völlig ungeschützten und ausgelieferten Jungen. Stattdessen versuchte man die Eltern lediglich durch bürokratische Kontrollmethoden in die richtige Richtung zu lenken. Auf Einladungen und Anforderungen von Untersuchungsunterlagen reagierte das Ehepaar über Monate hinweg nicht.
In der darauffolgenden Zeit wurde Dennis immer mehr und letztendlich voll vernachlässigt. Während er in seiner hoffnungslosen Existenz sich selbst überlassen wurde, hielten sich seine Eltern täglich, ab der Mittagszeit, in der Gaststätte gegenüber der Wohnung auf. Insbesondere die Mutter war dort für ihren einschlägigen Alkoholkonsum bekannt. Das Angebot der Gaststättenbetreiber, Dennis während ihres Besuches vor Ort versorgen und beaufsichtigen zu lassen, wiegelten die Eltern mit einer Lüge ab. Die Großmutter sei in der Wohnung und gäbe auf das Kind acht. Ab und an verließ der Vater die Gaststätte, um zu Hause an der Tür zu horchen, ob Dennis schrie. Tat der kleine Junge dies, versorgte er ihn, ansonsten verließ er die Wohnung wieder, ohne sie zu betreten.
Am 07. März 1995, gegen 14 Uhr, fand der Vater Dennis regungslos und nicht mehr atmend vor. Doch ohne Hilfsmaßnahmen in die Wege zu leiten, holte er seine Frau, die zum gleichen Ergebnis kam wie er. Danach ging es, ohne weiteres Handeln, in die Gaststätte gegenüber, bis der Ehemann seine Mutter anrief, um ihr das Geschehene mitzuteilen. Diese sorgte dann auch für das Eintreffen des Notarztwagens, aber für Dennis kam jede Hilfe längst zu spät. Die Obduktion am nächsten Tag ergab, dass der Junge an extremer Unterernährung und Dehydrierung starb und nur 4350 Gramm wog, gerade mal ein gutes Kilo mehr als bei seiner Geburt. Dennis war an seinem Todestag zu schwach um zu schreien, als er in seinem Gitterbettchen starb.
Gerichtsurteil:
Die Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Haftstrafen wegen Mordes. Auszüge aus der Anklageschrift beschreiben den Sachverhalt als ‚abgemagert bis aufs Skelett‘, ‚Hungertod gestorben‘, ‚restlos ausgetrocknet‘. Diese Worte lassen nur erahnen, was Dennis bis zu seinem qualvollen Tod erleiden musste. Weiterhin führte die Anklage auf, dass die Eltern ihr Kind haben verdursten und verhungern lassen und sich somit bewusst und unbarmherzig über das Lebensrecht des Kindes hinwegsetzt haben. Das Ehepaar verteidigte sich mit schwer zu glaubenden Aussagen angesichts des grausamen Sachverhalts, wie zum Beispiel, dass sie das alles nicht wollten, sie hätten Dennis doch geliebt, sie hätten nicht mitbekommen, was passiert sei.
Acht Sachverständige und 34 Zeugen wurden angehört. Darunter auch Gutachter, in Form von Psychiatern und Psychologen, welche der Mutter eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostizierten, was die Unreife und eine seelische Abartigkeit der Frau zum Vorschein bringe. Bei dem Vater konnte keine Störung in irgendeiner Form festgestellt werden.
Die Eltern von Dennis wurden schließlich wegen Totschlags zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Richter begründete, dass keine Merkmale für einen Mordvorwurf vorhanden seien. Die Angeklagten wollten Dennis nicht beseitigen, sondern hätten sich in eine Scheinwelt geflüchtet, um der Realität zu entkommen. Moralische Aspekte würden keine Rolle spielen, so der Richter.
Laut Staatsanwaltschaft wurden Ermittlungen gegen die beiden Mitarbeiter des Jugendamtes, die das Leben des kleine Jungen hätten retten können, eingeleitet. Ob das Verfahren gegen die Beamten eröffnet oder fallengelassen wurde, ist nicht bekannt.