Dies ist die Geschichte von Nicolas. Der neunjährige Junge aus Straßburg starb am 09.08.2003 nach zwei Monaten Misshandlung durch die Mitglieder seiner Familie an einer Hirnblutung. Sein Körper wies zum Todeszeitpunkt über 70 Wunden, Hämatome und ernsthafte Anzeichen von Dehydration auf. Seine Großmutter hatte ihn als Opfer für ihre Gewalt auserkoren, da er sich ihr als einziges Familienmitglied zu widersetzen wagte. Der Preis dafür war sein Leben.
Nicolas lebte nie auf der Sonnenseite des Lebens. Seine Eltern waren lange arbeitslos, bis der Vater 2002 als einziger Arbeit fand. Sie lebten zunächst mit fünf Personen und ihren Haustieren (sieben Katzen, ein Hund, fünf Schildkröten) in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Die Wohnung war verdreckt. Das Viertel, in dem sie lebten, galt als sozial schwach. In der Schule fiel Nicolas als turbulent und aktiv auf. Zuhause bekam er schon seit frühester Kindheit Schläge. Eine Ohrfeige des Vaters hier, einen Schlag auf den Hinterkopf der Mutter da. Seine drei Schwestern trugen stets Kleidung neuester Mode, wohingegen Nicolas´ Kleidung verdreckt, zerschlissen und alt war. Pausenbrot gab es ebenfalls nur für die Mädchen, nicht für ihn. Eine der Schwestern ging regelmäßig zu einer Nachbarin, um sich Lebensmittel für die Familie zu leihen. Diese hatte ein großes Herz und wusste, dass es der Familie nicht gut ging. Irgendwann aber nahm das Betteln überhand und sie weigerte sich fortan, der Schwester Lebensmittel auszuhändigen.
Als im Juni 2003 dann die Großmutter und ein Onkel zu der Familie zogen, lebten sie zu acht in der Wohnung. Die Großmutter stammte aus Portugal und übernahm umgehend die Rolle des Familienoberhauptes. Sie galt als herrschsüchtig und empathielos.
Nach ihrem Einzug begann Nicolas wieder nachts ins Bett zu nässen. Dies missfiel der Großmutter und für Nicolas begann das Martyrium. Zunächst erhielt er immer weniger zu trinken. Als er nachts aufstand, um sich heimlich etwas zu trinken zu holen, wurde er fortan ans Bett gefesselt. Tagsüber musste er dafür Strafarbeiten schreiben. 2772 x den Satz, dass er nachts nicht aufstehen und heimlich etwas trinken dürfe. Es wurde alles festgehalten in einem von vielen Heften für diese Art von Aufsätzen. Wenn er nachts weinte – vor Schmerz und Durst, wurde er geschlagen und getreten. Auch tagsüber gab es immer häufiger Schläge, für alles und nichts. Wie einen Boxsack haben sie ihn benutzt, sagte die Familie später selber aus.
Der Onkel steigerte die Perfidität, indem er Nicolas vor dem Schlafengehen nicht nur fesselte, sondern ihn zwang, sich vor das Bett zu knien und dort auszuharren. Wenn er umzukippen drohte, wurde er getreten. Zu dieser Zeit hörten die Nachbarn die Schreie häufig, dachten sich jedoch nichts dabei. Auch als die Mutter zu einem von ihnen sagte, dass sie selbst Nicolas eines Tages umbringen würde, nahm dies niemand ernst.
Sich selbst helfen konnte Nicolas nicht. Die Wohnung durfte er seit Beginn der Ferien nicht mehr verlassen. Er versuchte, seinen Durst mit Wasser aus der Toilette zu stillen und wurde weiter geschlagen. Immer heftiger. Er fiel in ein Delirium, musste trotz alledem weiter vor seinem Bett knien. Morgens um vier fiel er immer wieder um und seine Mutter versetzte ihm einen Tritt gegen den Hinterkopf. Dieser verursachte eine starke Hirnblutung, welcher er am Mittag erlag.
Nachdem sein Herz stehen geblieben war, alarmierte die Familie den Notarzt. Als dieser mit der Reanimation begann, konnten sie Nicolas einmal kurz wiederbeleben, doch sein Herz beendete kurz darauf endgültig seine Tätigkeit. Dem Notarzt fielen die Spuren der Misshandlung sofort auf und er setzte die Ermittlungen in Gang. Die Familie wurde in Gewahrsam genommen, die Schwestern vom Jugendamt betreut.
Die Nachbarn reagierten schockiert auf die Tat und setzten sich für ein würdevolles Begräbnis des Jungen ein.
Gerichtsurteil:
Im Prozess gegen Mutter, Vater, Großmutter und Onkel konnten nahezu alle Gewalttaten aufgedeckt werden. Die Eltern waren bemüht, alle Schuld auf die Großmutter zu schieben. Der Vater war tatsächlich nur ein Statist in diesem bizarren Familienschauspiel. Er habe Nicolas zwar hin- und wieder geschlagen und von den Misshandlungen gewusst, war jedoch nie aktiv daran beteiligt. Er schritt auch nicht ein. Seine Strafe betrug 10 Jahre.
Der Onkel war aktiver Bestandteil der Misshandlungen. Er erhielt eine sechszehnjährige Haftstrafe.
Die Mutter war Hauptinstrument der Großmutter und schlug fast im gleichen Maße zu wie die Haupttäterin. Sie habe keine Liebe mehr für ihren Sohn empfunden, beschrieb ihn während des Prozesses immer wieder mit negativen Attributen wie „unruhig“ oder „aufsässig“. Sie erhielt eine Haftstrafe von 26 Jahren.
Die Großmutter erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Sie sagte im Prozess nichts aufschlussreiches, außer, dass sie am besten in Portugal geblieben wäre. Das Gericht sprach seine Urteile auf Basis der Folter und Barbarei mit Todesfolge. Es gab keine Gefühlsregungen von den Beschuldigten während des Prozesses. Nur der Vater brach laut in Tränen aus, als die Misshandlungen verlesen wurden, die Nicolas erleiden musste.
Die Schwestern wurden derweil in Pflegefamilien untergebracht.