Dies ist die Geschichte von Pascal aus Strausberg. Er erlitt schwerste Misshandlungen, doch Pascal hat überlebt.
Pascals Eltern lernten sich im Jahr 2000 kennen. Beide verliebten sich und zogen in Strausberg zusammen. Schon bald wollten sie ein Kind und im März 2001 wird Pascal geboren. Auf einem Bild, aufgenommen kurz nach der Geburt, hält sein Vater seinen kleinen Sohn im Arm und lächelt. Alles ist gut, alle sind glücklich.
Doch schon vier Monate später begegnete Pascals Mutter einem anderen Mann. Einem, der zu Gewalt neigte und auf Grund dessen bereits vorbestraft war. Zudem nahm er allem Anschein nach Ecstasy und Kokain zu sich.
Pascals Mutter trennte sich von dessen Vater und nahm den kleinen Jungen mit.
Mit ihrem neuen Lebensgefährten zog Pascals Mutter abends und an den Wochenenden durch Diskotheken, verprasste das wenige Geld vom Amt. Pascal wurde in der Beziehung immer mehr als bloßer Störfaktor angesehen.
Pascals Vater schöpfte Verdacht. Er nahm immer wieder Kontakt zu Pascals Mutter auf und bot an, Pascal zu sich zu holen. Er war gern mit seinem Sohn zusammen, kümmerte sich, kaufte Windeln, Nahrung und fuhr mit ihm oft auf dem Rummel im Karussell.
Wann die Misshandlungen an seinem kleinen Sohn durch den neuen Lebensgefährten begannen, lässt sich nur vage vermuten. Sicher ist aber, dass sein Vater kurz nach Pascals ersten Geburtstag Hämatome am Körper seines Sohnes feststellte. Er fragte bei Pascals Mutter nach. Sie teilte ihm mit, dass Pascal aus dem Bett gefallen sei. Er vertraute dieser Aussage nicht und suchte mit Pascal einen Arzt auf und informierte das Jugendamt. Später bestritt das Jugendamt jedoch, zu diesem Zeitpunkt schon von etwaigen Misshandlungen in Kenntnis gesetzt worden zu sein.
Von nun an häuften sich die blauen Flecken. Seine kleinen Finger waren gebrochen. Seine Mutter sagte, er habe sich die Hand in der Tür eingeklemmt. Pascal verletzte sich das Schlüsselbein. Seine Mutter sagte, er sei in die Badewanne gefallen.
Pascals Vater wand sich an einen Anwalt, schilderte diesem seinen Verdacht und begann um das Sorgerecht für seinen kleinen Sohn zu kämpfen. Sein Anwalt riet ihm, ein Tagebuch zu führen, weil es keine Zeugen für die Misshandlungen an seinem Sohn gab.
Im August 2002 wurde Pascal von einer Kinderärztin untersucht. Es war ein Routinetermin für eine Impfung. Sofort fielen ihr die Spuren von Gewalteinwirkungen am Körper von Pascal auf. Umgehend informierte sie das Jugendamt.
Einen Monat später, Anfang September 2002, übergab Pascals Vater das nunmehr zwanzig Seiten umfassende Tagebuch an das Vormundschaftsgericht in Strausberg.
Pascal wurde Ende Oktober 2002 für vier Wochen in einer Pflegefamilie untergebracht. Vier Wochen lang wurde Pascal kein Leid zugefügt. Keine Schläge, keine Tritte.
Doch dann wurde Pascal wieder seiner Mutter übergeben. Die Begründung war lapidar: Es habe keine konkrete Gefährdungssituation vorgelegen und Pascal und seine Mutter hätten eine enge Bindung.
Der Richter des Amtsgerichts Strausberg unterstrich diese Einschätzung.
Einzige Auflage für Pascals Mutter und ihren Lebensgefährten war, sie sollten sich psychologisch betreuen lassen. Ob und wie oft das Jugendamt Kontrolltermine in der Familie durchführte, bleibt unklar.
Der Anwalt von Pascals Vater sagte später aus, die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes hätte die Familie nicht ein einziges Mal aufgesucht. Diese bestritt dies und gab an, sie wäre sogar öfter vor Ort gewesen, als eigentlich Pflicht gewesen wäre.
Doch tatsächlich war Pascal den Qualen weiterhin hilflos ausgesetzt gewesen. Seine Augen wurden blau geschlagen, seine Knochen gebrochen, innere Verletzungen zugefügt und bei all dem stellte sich seine Mutter nicht schützend vor ihn, sondern sah ungerührt zu. Seine Verletzungen wurden weiterhin verharmlost und medizinisch gar nicht oder nur mangelnd versorgt.
Pascal hatte schreckliche Angst vor dem Lebensgefährten seiner Mutter. Ein Zeuge berichtete später im Prozess, dass der kleine Junge, sobald der Lebensgefährte zur Tür herein kam, wie ein Hund zitterte.
Bei den kleinsten Verfehlungen wurde Pascal bestraft. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. So musste er oftmals nachts stundenlang mit nassen Windeln in der Zimmerecke stehen.
Richter Ulrich Graebert sagte hierzu, dass der Lebensgefährte versucht habe, Pascal zu dressieren. Er sollte funktionieren wie ein Automat.
Die Staatsanwaltschaft vermutete als Motiv „puren Hass“ auf das Kind.
Am Abend des 03. März 2003 wurde Pascal erneut so schwer verprügelt, dass seine Mutter ihren wimmernden kleinen Sohn in die Rettungsstelle des Strausberger Krankenhauses bachte. Dort erzählte sie, dass Pascal seit dem Vortag nichts mehr essen wolle und Bauchschmerzen habe. Tatsächlich war Pascals Bauch dick und hart. Zudem war sein Gesicht übersät mit blauen Flecken und er zeigte kaum noch Reflexe. Sofort wurde ein Rettungshubschrauber angefordert und Pascal wurde in eine Spezialklinik nach Buch geflogen. Es war kurz vor Mitternacht, als der Rettungshubschrauber in der Spezialklinik eintraf.
Der Oberarzt erinnerte sich, dass Pascal keinen Kreislauf mehr hatte und erschreckend blass war.
Pascal hatte inzwischen das Bewusstsein verloren und wurde noch in derselben Nacht operiert.
Dabei kam das ganze Ausmaß der schrecklichen Misshandlungen zum Vorschein.
Sein Gesicht und sein Körper waren von Blutergüssen übersäht. Pascals Unterkiefer war gebrochen, fast jede seiner Rippen waren von der Wucht der Schläge zertrümmert worden. Ein Oberschenkelbruch, welcher vier Monate zurücklag und nie behandelt worden war. Ebenso wie sein gebrochenes Schlüsselbein und die Fraktur am rechten Unterarm. Er hatte schwerste innere Verletzungen, ein Loch im Dünndarm und eine verletzte Magenwand.
Drei Stunden lang wurde der kleine Junge operiert, drei Stunden lang kämpften die Ärzte um sein Leben. Doch um acht Uhr am Morgen blieb Pascals Herz das erste Mal stehen. Die Ärzte reanimierten ihn, mindestens zwanzig Mal, bis zum Abend jede halbe Stunde, bevor sein Herz endlich wieder von alleine schlug.
Pascals Chancen, die kommenden Stunden, gar die nächsten Tage zu überleben, waren verschwindend gering. Er wurde künstlich beatment und ernährt.
Der Oberarzt sagte, dass es nicht zu übersehen war, dass Pascal sehr viel Gewalt angetan worden sei.
Daraufhin informierte der Arzt die Polizei und erstattete Anzeige wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Pascals Mutter und ihr Lebensgefährte wurden festgenommen. Pascals Vater wurde über die Geschehnisse informiert.
Pascal hat bleibende Gehirnschäden davon getragen. Er kann nicht mehr sprechen, stehen oder sitzen, ist erblindet. Er liegt gelähmt im Bett und muss weiterhin über einen Sonde ernährt werden. Sein Darm und seine Blase funktionieren nicht mehr. Die restliche Zeit seines Lebens ist er nun ein Intensivpflegefall.
Michael Voß vom Landesinstitut für Rechtsmedizin sagte vor Gericht aus, dass Pascal unter einer spastischen Lähmung sowie einer Verkrümmung seiner Wirbelsäule leiden würde. Ebenso könne er nicht mehr richtig sehen, noch laufen oder sprechen. Ein Leben lang würde er auf fremde Hilfe angewiesen sein.
Es ist ungewiss, ob Pascal jemals wieder sehen oder sprechen wird. Ob er sich überhaupt jemals eigenständig in einem Rollstuhl fortbewegen kann.
Zwei Wochen nachdem Pascal ins Helios-Klinikum in Berlin-BUch eingeliefert worden war, hat das Amtsgericht Strausberg seiner Mutter das Sorgerecht entzogen. Als Vormund wurde eine „erfahrene Mitarbeiterin“ des Strausberger Jugendamtes eingesetzt. Die vorherige zuständige Mitarbeiterin hatte sich auf Grund der dramatischen Ereignisse krank schreiben lassen.
Das Jugendamt Strausberg wies alle Vorwürfe zurück und äußerte sich durch den Amtsleiter, dass sie genauso wieder handeln würde, denn der rechtliche Rahmen würde nichts anderes zulassen.
Gerichtsurteil:
Fünf Monate nachdem Pascal fast zu Tode geprügelt worden war, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Misshandlung Schutzbefohlener gegen die Mutter und deren Lebensgefährten. Pascals Mutter wurde ebenfalls Misshandlung sowie Verletzung der Fürsorgepflicht in vier Fällen vorgeworfen. Auch sie soll ihren kleinen Sohn im Sommer 2002 heftig verprügelt haben. Ebenfalls hätte sie Pascal immer wieder unbeaufsichtigt mit dem Lebensgefährten allein gelassen, obwohl sie von den Misshandlungen gewusst hatte.
Wenn sie mit ihrem Sohn aufgrund der gebrochenen Knochen beim Arzt vorstellig wurde, erzählte sie immer eine andere Geschichte. Sie wechselte häufig den Kinderarzt und anscheinend schöpfte niemand Verdacht, bis auf die Kinderärztin bei welcher Pascal geimpft werden sollte.
Im Zeitraum von April 2002 bis März 2003 hatte der Lebensgefährte nachweislich den kleinen Pascal immer wieder misshandelt. Mindestens zehn Mal hat er ihn so sehr gepeinigt, dass Pascal schwere Verletzungen erlitt. Darunter mehrere Knochenbrüche.
Im Prozess brach Pascals Mutter während der Schilderungen in Tränen aus. Ihr Lebensgefährte allerdings zeigte keinerlei Regung, machte vielmehr den Eindruck, er sei gelangweilt.
Mehr als zwei Stunden dauerte die Urteilsverlesung, welche die Mutter und ihr Lebensgefährte völlig regungslos aufnahmen.
In seiner Urteilsbegründung sprach der Richter direkt den Lebensgefährten auf dessen pervertierte Erziehungsmethoden an und sagte, dass er Pascal wie eine Sache, aber nicht wie einen Menschen behandelt habe. Pascal sollte wie ein Hund dressiert worden sein. Auf Befehl sollte er aufhören zu spielen, zu lachen, herumzutollen. Weiter sagte der Richter, dass er es einzig und allein der modernen Medizin zu verdanken hätte, dass er nun hier nicht wegen Mordes stünde.
An dem besagten Abend war der Lebensgefährte gerade einmal 15 Minuten mit Pascal alleine. 15 Minuten, in denen er aus einem zweijährigen Kind ein Pflegefall machte. Mit seinen bloßen Händen drückte er Pascals Bauch so stark zusammen, dass seine inneren Organe barsten.
Laut dem Richter ist Pascal nur noch ein zuckendes Nervenbündel, ohne jegliche Steuerungsfunktionen.
Ebenso erinnerte der Richter während der Urteilsverkündung an das Versagen der Behörden und dem sozialen Umfeld.
Sie hätten durch genaueres Hinsehen das Leid Pascals „mit einer ziemlichen Wahrscheinlichkeit“ verhindern können. „Arbeitsteilige Bummelei, Schlamperei und Gleichgültigkeit. Alle Sicherungssysteme wurden unterlaufen“, sagte Graebert. Auch das soziale Umfeld der Eltern müsse sich „eine moralische Schuld mit anrechnen lassen“. Quelle: ksta, 25.11.2003
Der Vorsitzende Richter hielt mit seiner Kritik am „familiären und institutionellen Umfeld, das die vielen Taten erst ermöglichte“, nicht hinterm Berg. Er nannte die Namen der Ärzte, die nicht einschritten, als sie die massiven Verletzungen am Körper des Kleinkindes beziehungsweise auf den Röntgenbildern bemerkten. Er kritisierte, dass die Kita-Leitung nicht reagierte, als Erzieherinnen die Misshandlungen auffielen. Er nannte es ungeheuerlich, dass eine Mitarbeiterin des Strausberger Jugendamtes eine Ärztin, die an einem Freitagmittag die offensichtliche Kindesmisshandlung anzeigte, fragte: „Wissen Sie, wie spät es jetzt ist?“ Unfassbar sei auch, dass eine Anzeige, die der leibliche Vater von Pascal bei der Strausberger Polizei aufgab, verschwand und bis heute nicht gefunden wurde. Dass letztlich das Landratsamt Märkisch-Oderland auch noch als Nebenkläger auftrat, bezeichnete der Vorsitzende Richter nicht nur als Verschleuderung öffentlicher Gelder, sondern als blanken Hohn angesichts der moralischen Mitschuld der Behörden. Quelle: tagesspiegel, 26.11.2003
Alle hätten versagt, so der Richter, jeder der Beteiligten hätte die Misshandlungen stoppen können:
„Dass so etwas funktionieren muss, können wir verdammt noch mal im Interesse unserer Kinder verlangen!“ Quelle: bz-berlin, 26.11.2003
Am 25. November 2003 wurde Pascals Mutter zu drei Jahren Haft verurteilt. Ihr Lebensgefährte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung zu elf Jahren Haft.
Auch gegen das zuständige Jugendamt wurde ermittelt. Jedoch war das Jugendamt nach wie vor der Überzeugung, dass keine Fehler gemacht worden waren. Es sind keine Aufzeichungen über einen Prozess gegen das zuständige Jugendamt vorhanden. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass auch hier das Jugendamt nicht rechtlich belangt worden ist.
Pascals Mutter brachte indessen einen weiteren Sohn von ihrem Lebensgefährten zur Welt. Dieses wurde in die Obhut einer Pflegefamilie übergeben.
Pascal wurde in eine Reha-Klink verlegt. Seine Verletzungen heilen langsam, sein rechter Unterarm wird vermutlich für immer steif bleiben. Lediglich ein Teil von Pascals Gehirn ist noch funktionsfähig. Zeitlebens wird er geistig und körperlich schwerst behindert sein.
Pascals leiblicher Vater gab seine Tätigkeit auf, besuchte seinen Sohn jeden Tag dort und richtete für Pascal in seiner Wohnung ein Zimmer ein. Er wollte Pascal unbedingt zu sich holen.
Ob dies gelang und wie es Pascal heute geht, konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen. Wir wünschen Pascal und seinem Vater von Herzen alles Gute und jede Unterstützung, die sie brauchen. Der Kampf war lang genug. Mögen sie zur Ruhe kommen und die Zeit, die ihnen zusammen bleibt, in vollen Zügen genießen können.